Die Beziehungen von Baby-Schimpansen zu ihren Müttern scheinen erstaunliche Ähnlichkeiten zu menschlichen Mutter-Kind-Beziehungen zu haben. Das beschreibt ein Team um Eléonore Rolland vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig im Fachblatt »Nature Human Behaviour«.
Junge Schimpansen entwickeln demzufolge ebenfalls verschiedene Arten von Bindungen zu ihren Müttern. Allerdings fanden Forscher bei frei lebenden Menschenaffen (Pan troglodytes verus) keine sogenannten desorganisierten Bindungen, die bei Menschen und bei Schimpansen in menschlicher Obhut häufig vorkommen und mit emotionalen sowie psychischen Problemen in Verbindung gebracht werden.
Offenbar sei eine schwer gestörte Eltern-Kind-Bindung bei den Affen nicht hilfreich fürs Überleben, schließen die Forschenden. Das bedeutet: Falls es bei wild lebenden Schimpansen gelegentlich zu desorganisierten Bindungen kommt, ist es unwahrscheinlich, dass diese Tiere die ersten Lebensjahre überstehen und sich später fortpflanzen.
Über vier Jahre wilde Schimpansen beobachtet
Ein Forschungsteam identifizierte der Studie zufolge erstmals verschiedene Typen von Mutter-Kind-Bindungen bei frei lebenden Schimpansen. Über vier Jahre hinweg wurden dafür frei lebende Schimpansen in einem Nationalpark in der Elfenbeinküste beobachtet. Einige Tiere fühlen sich sicher, verlassen sich in Zeiten der Not auf ihre Mutter und erkunden selbstbewusst ihre Umgebung. Andere haben eine unsicher-vermeidende Bindung, was bedeutet, dass sie unabhängiger sind und nicht so sehr den Beistand der Mutter suchen.

Caila, ein fünf Wochen altes Schimpansen-Junges, bei seiner Mutter Zedonja im Gehege des Pilsner Zoos
Foto: Miroslav Chaloupka / CTK / dpaIn freier Wildbahn wachsen Schimpansen in stabilen Familienstrukturen auf und sind dem natürlichen Überlebensdruck durch Raubtiere ausgesetzt, was die Bindung zu den Eltern womöglich stärkt. Dagegen haben der Studie zufolge 23,5 Prozent der Menschenkinder eine desorganisierte Bindung. Bei Schimpansenwaisen, die in menschlicher Obhut leben, weisen 61 Prozent diesen Bindungstyp auf.
Bei einer unsicher-vermeidenden Bindung wirken Kinder, ebenso wie Schimpansen-Junge, unabhängig, sind aber innerlich gestresst. Bei der Trennung von ihrer Mutter zeigen sie wenig Emotionen, auch nicht bei deren Wiederkehr. Trost bei der Mutter zu suchen, wird vielfach gar nicht erst versucht.
Beobachtungsdaten von 50 Schimpansen-Müttern
Um herauszufinden, ob sich solche Muster auch bei unseren nächsten Verwandten im Tierreich finden, wertete das Team um Rolland knapp 3800 Stunden Beobachtungsdaten von 50 wild lebenden Schimpansen-Müttern und ihrem Nachwuchs aus.
Beim Menschen entsteht eine desorganisierte Bindung, wenn ein Kind Angst, Trauma oder Aggression durch seine Bezugsperson erlebt oder diese fehlt. Als Folge kann das Kind widersprüchliche Verhaltensweisen zeigen, indem es Zuneigung sucht, aber auch Angst vor der Bezugsperson hat. Diese Art der Bindung kann zu Problemen bei der Emotionsregulation, der sozialen Integration und zu langfristigen psychischen Problemen führen.
Neues Verständnis des Umfelds von Kindern
»Unsere Ergebnisse vertiefen unser Verständnis der sozialen Entwicklung von Schimpansen und zeigen, dass Menschen und Schimpansen gar nicht so verschieden sind«, erklärte Rolland. »Aber sie geben uns auch zu denken: Haben sich einige moderne Erziehungsmethoden und Institutionen von dem entfernt, was für die Entwicklung von Säuglingen am besten ist?«