Italienisch also, in dem Fall in der Giuoco Pianissimo-Variante, übersetzt in etwa: Das sehr ruhige Spiel. Das zeigt wohl auch, in welche Richtung es heute gehen könnte: ein ruhiges, strategisches Spiel, nicht so aggressiv wie gestern.
Charakteristisch für das Italienische ist der Läufer auf c4, der auf den schwarzen Bauern auf f7 zielt, eine Schwachstelle in der schwarzen Stellung. Die Eröffnung ist auch für Anfänger oder durchschnittliche Vereinsspieler ein guter Ansatz, da sie aus logischen Eröffnungszügen entsteht. Das sehen wir hier: Die Springer haben sich schon bewegt, Weiß will das Zentrum kontrollieren. Gukesh mit Schwarz antwortet mit ganz ähnlichen Zügen.
Ding zieht den Bauern auf e4, mit demselben Zug begann Gukesh die Partie gestern. Heute sehen wir aber keine Französische Verteidigung, stattdessen kommt die Italienische Eröffnung aufs Brett.
Da kommt er. Mittlerweile sitzt er auch auf seinem Stuhl.
Fünf Minuten noch bis zum Partiebeginn, Gukesh sitzt schon auf seinem Platz. Ding Liren ist noch nicht da.
Bei chess.com präsentieren die Experten gerade folgende Statistik: Elfmal hat Schwarz die erste Partie bei einer WM gewonnen, neunmal gewann der Spieler dann auch die Weltmeisterschaft. Schachikone Judit Polgár will aber nicht zu viel in diese Statistik interpretieren: »Den Spielern wird da egal sein«, sagt sie.
Gukesh hat nach der Partie gestern gesagt, er habe Ding nicht unterschätzt. Er sei immer davon ausgegangen, gegen die beste Version von Ding Liren zu spielen. Das dürfte auch der Rat gewesen sein, den Ex-Weltmeister Viswanathan Anand seinem Schützling gegeben hat. Anand sagte mir vor der WM, Gukesh werde nicht mal eben so Weltmeister: »Titel sammelt man nicht, man gewinnt sie.«
Wie wird Ding Liren die Partie nun angehen? Auf die Frage hatte er nach seinem Sieg gestern auch noch keine Antwort. Da sagte er, er wisse noch nicht, welche Eröffnung er wählen werde. Mit der Führung im Rücken muss er allerdings nicht allzu aggressiv auf Sieg spielen. Ich vermute, er wird eine ruhigere Partie spielen, seine Chancen suchen, sie aber nicht versuchen zu erzwingen. Ein Remis wäre für ihn ein gutes Ergebnis.
Tja, was ist da gestern passiert? Der 18 Jahre alte Gukesh galt aufgrund seiner starken Form und Dings mentalen Problemen als Favorit. Er begann mit einer aggressiven Eröffnungsvariante, die er vorbereitet hatte. Ding fand aber eine starke Antwort, Gukesh übersah gute Züge seines Konkurrenten und geriet dann auch noch in Zeitnot. Unter dem Druck spielte er ungewöhnlich instabil und gab in einer hoffnungslosen Stellung schließlich auf.
Vielleicht war es die Nervosität in seiner ersten WM-Partie, vielleicht hatte er seinen Gegner unterschätzt. Gukesh lässt sich von solchen Niederlagen normalerweise aber nicht zu sehr demoralisieren, beim Kandidatenturnier etwa verlor er eine Partie und gewann in der nächsten Runde dann direkt mit Schwarz. Ich bezweifle aber, dass er heute direkt auf den Ausgleich zielen wird. Ich denke, er will heute solide spielen und nimmt im Zweifel das Remis.
Zur Erinnerung noch mal der Modus: Ding und Gukesh spielen bis zum 13. Dezember maximal 14 klassische Partien gegeneinander. Ein Sieg gibt einen Punkt, ein Remis 0,5 Punkte. Wer zuerst 7,5 Punkte hat, ist Weltmeister. Endet das Duell nach 14 Partien 7:7, gibt es ein Tiebreak. Nach der ersten Partie führt Ding 1:0.
Zur Bedenkzeit: Pro Partie haben beide Spieler am Anfang je 120 Minuten Bedenkzeit. Nach 40 Zügen erhalten sie weitere 30 Minuten. Und pro Zug werden ihnen dann noch mal 30 Sekunden angerechnet.
Hallo und herzlich willkommen zur zweiten Partie der Schach-WM zwischen Weltmeister Ding Liren und Herausforderer Dommaraju Gukesh. In der ersten Partie gewann Ding überraschend, und das auch noch mit Schwarz. Nun hat der Chinese Weiß und könnte darauf zielen, seinen Vorsprung auszubauen. Ich bin gespannt, was für eine Partie wir heute sehen werden. Um 10 Uhr geht's los.