Der Anfang 1930 ausgeschriebene Architektenwettbewerb für die Kirche St. Engelbert in Köln-Riehl war schnell entschieden. Der Pfarrer und die Gemeinde sprachen sich für den Entwurf von Dominikus Böhm aus. Das Generalvikariat aber bat, „zu prüfen, ob es möglich ist, durch Milderung des Neuartigen dem Bauwerk das Befremdliche zu nehmen“.
„Moderner Sakralbau in Köln“. Hrsg. v. Hiltrud Kier und Martin Struck.Verlag der Buchhandlung Walther KönigDer Baumeister, der 1926 an die neugegründeten Kölner Werkschulen berufen worden war, konnte die Bedenken entkräften und realisierte den expressionistischen, mit rotem Backstein verkleideten Stahlbetonbau ohne Abstriche. Sein „Sternkuppelprojekt mit frei stehendem Turm“, im Volksmund „Zitronenpresse“ genannt, gilt als Schöpfungsbau der modernen Kirchenarchitektur.
Die Vorbehalte gegenüber Stahl, Beton und Glas minderten sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch die mit ihnen möglichen Konstruktionstechniken, Spannweiten und Raumformen stießen in den Gemeinden nicht durchweg auf Gegenliebe. Neoromanik und Neogotik, die bis 1914 verbindlich waren, blieben Mehrheitsgeschmack und entsprachen dem Bild, wie eine richtige Kirche auszusehen habe.
Im Erzbistum Köln aber wurden, anders als in den meisten Diözesen, Bauentwürfe nicht von der kirchlichen Behörde, sondern – oft nach kleineren Wettbewerbsverfahren – durch freischaffende Architekten erstellt, die mit unkonventionellen, nicht selten kühnen Plänen um die Wette eiferten. Auch theologisch fortschrittlich eingestellt, nahmen sie in ihren Konzepten die Konzilsforderungen nach einer „bewussten und tätigen Teilnahme aller Gläubigen an der Eucharistie“ vorweg. Josef Kardinal Frings förderte die Moderne und nutzte auch die Baubezuschussung aus der Kirchensteuer, um seine Vorstellungen durchzusetzen.
Diese Konstellation bescherte Köln ein Jahrzehnt der Sakralarchitektur, die in ihrer Qualität, Vielfalt und Fülle einzigartig ist: Zwischen 1955 und 1965 wurden 85 katholische und 68 evangelische Kirchen, große Kapellen und Gemeindezentren neu errichtet. Vor allem auf katholischer Seite formierte sich eine Phalanx von Kirchenbaumeistern, die, geführt von Rudolf Schwarz, dem Generalplaner des Wiederaufbaus, seinem frühen Förderer Dominikus Böhm und dessen Sohn Gottfried, in freundschaftlicher Konkurrenz verbunden waren: Emil Steffann, Karl Band, Josef Bernard, Fritz Schaller und Hans Schilling gehörten zu den Exponenten, denen ein Kreis von Künstlern, die mit der Ausstattung betraut wurden, zur Seite stand.
St. Johannes der Evangelist in Köln-Stammheim, erbaut 1969–1970 nach Entwurf der Kölner Architekten Karl und Gero Band; 2025 abgebrochenWikimedia Commons/Magnus ManskeUm diesen Kirchenboom zentriert sich das Buch „Moderner Sakralbau in Köln“, das einen größeren Bogen schlägt und ein Jahrhundert, von 1918 bis heute, umspannt: Von Bruno Tauts Glashaus, 1914 für die Werkbundausstellung entstanden (und auch wenn es so aussieht, kein Sakralbau), und Otto Bartnings ebenfalls temporärer Stahlkirche für die „Pressa“-Ausstellung 1928 bis zum Islamischen Kulturzentrum in Müngersdorf, einem kuppelgekrönten Komplex des Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner, der 2026 eröffnet werden soll, reicht das Kompendium – 208 Gebäude insgesamt, darunter auch Synagogen und Moscheen, Kapellen und Gebetshäuser von Freikirchen und Glaubensgemeinschaften.
Die evangelischen Gotteshäuser kommen im katholischen Köln nicht zu kurz: Die Melanchthonkirche (1930) in Zollstock von Theodor E. Merrill wurde als erster Sakralbau des „neuen Bauens“ ähnlich zum Vorreiter wie St. Engelbert von Dominikus Böhm.
Der Bautypus Kirche ist Vergangenheit. Den letzten katholischen Neubau, St. Katharina von Siena, haben Heinz und Nikolaus Bienefeld 2003 in dem neuen Vorort Blumenberg errichtet. Nicht erst seitdem werden Kirchen geschlossen, profaniert, in Kolumbarien, Altenheime, Eventlocations umgewidmet, zerstört oder abgerissen.
Auch Hingucker wie St. Johannes der Evangelist („Nurdachbau“) von Karl Band in Stammheim oder St. Laurentius von Emil Steffann in Lindenthal sind in Gefahr: Der eine wurde im Sommer 2025 geschleift, der andere steht, in der Nähe der Universität und als Hörsaal geeignet, unter Denkmalschutz – und seit sechs Jahren leer. Vandalismus durch Unterlassung.
Der Umgang mit Kirchenräumen ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Publikation unternimmt nicht mehr als eine Bestandsaufnahme, kompakt, katalogartig und nach Stadtbezirken geordnet. Die Autoren – Martin Bredenbeck, Philipp F. Huntscha, Kirsten Lange-Wittmann, Margit Ramus, Carsten Schmalstieg, Ludmila Siman und die Herausgeber – halten sich mit Wertungen zurück: Der Reichtum, der verloren zu gehen droht, ist selbsterklärend. Indem es dazu einlädt, genauer hinzusehen, stößt das Buch einen Blickwechsel an, der das Problem als Chance versteht. Dieser Kirchenschatz lässt sich nicht im Museum abstellen. Nutzungsphantasie ist gefragt.
„Moderner Sakralbau in Köln“. Hrsg. v. Hiltrud Kier und Martin Struck. Mit einem Vorwort von Henriette Reker. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2025. 480 S., Abb., br., 18,– €.

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