Russland-Sanktionen: Leere Drohungen

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Fünfzig Tage sind nicht kurz. Sieben Wochen, in denen Russland weiter Raketen auf ukrainische Städte regnen lassen kann. Insofern war die Verwunderung in Brüssel groß, als US-Präsident Donald Trump seine Drohung, er werde Russland mit harten neuen Sanktionen bestrafen, sollte es weiter Krieg in der Ukraine führen, am Montag an ebendiese Frist von 50 Tagen koppelte.

„50 Tage sind eine sehr lange Zeit, wenn jeden Tag Zivilisten getötet werden“, merkte die Außenbeauftragte der EU, Kaja Kallas, hörbar irritiert an. Was sie meinte: eine viel, viel zu lange Zeit. Ein europäischer Diplomat, der anonym bleiben wollte, wurde deutlicher: „Wie zum Teufel kommt Trump auf 50 Tage“, fragte er. „Warum 50? Warum nicht zehn Tage? Wie lange braucht man, um zu erkennen, dass Putin Krieg will?“

Die zeitliche Lücke, bis Trump zu dieser Erkenntnis gelangt, wollen die Europäer mit eigenen Sanktionen füllen. Bei einem Treffen der Außenminister und -ministerinnen der EU am Dienstag in Brüssel stand das 18. Paket mit Strafmaßnahmen gegen Russland auf der Tagesordnung. Die erhoffte Grundsatzeinigung kam zunächst allerdings nicht zustande – die Slowakei blockierte das Paket. Das Land fordert von der EU-Kommission Garantien, dass es keine Nachteile erleidet, wenn die Europäische Union Ende 2027 den Import von russischem Gas komplett stoppt. Eigentlich, so sagen frustrierte Diplomaten in Brüssel, habe die Kommission der Regierung in Bratislava, die Moskau immer noch große Mengen Erdgas abnimmt, längst alle notwendigen Zugeständnisse gemacht. Der prorussische slowakische Regierungschef Robert Fico sieht das jedoch offenbar anders.

Brüssel hat Russlands Schattenflotte im Visier

In Brüssel hofft man nun, dass das Paket möglichst bald abgesegnet wird. Im Vergleich zu etlichen früheren Sanktionspaketen, die mangels Einigkeit unter den 27 EU-Staaten oft kaum neue Strafen enthielten, ist das 18. deutlich härter. Das „Hauptziel“, so heißt es in EU-Kreisen, sei dieses Mal, die Einnahmen anzugreifen, die Russland durch den Verkauf von Öl und Gas erwirtschaftet und mit denen es den Krieg finanziert. „Es ist das größte Paket seit langer Zeit“, sagt ein Diplomat.

Ein wichtiger Baustein in dem Sanktionspaket sind weitere Strafen gegen die sogenannte russische Schattenflotte. Damit sind Tankschiffe gemeint, auf denen Russland Erdöl transportiert, das es unter Umgehung westlicher Sanktionen zu einem Preis von mehr als 60 Dollar pro Barrel verkauft. Moskau und Brüssel liefern sich seit Monaten eine Art Katz-und-Maus-Spiel um diese Flotte: Russland kauft immer weitere Tanker an, oft alte, kaum noch seetüchtige Schiffe, die europäische Reedereien loswerden wollen, und benutzt sie unter Billigflagge zum Ölschmuggel. Die EU identifiziert diese Tanker und setzt sie auf ihre Sanktionslisten, damit die Schiffe in Europa nicht mehr versichert werden und in europäischen Häfen nicht mehr andocken können.

Im 18. Sanktionspaket werden 105 neue Schattentanker mit Strafen belegt – zusätzlich aber auch mehrere Firmen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Aserbaidschan, Hongkong, Mauritius und Singapur, die für den Betrieb der Schattenflotte verantwortlich sind. Außerdem soll der Ölpreis-Deckel von derzeit 60 Dollar je Barrel abgesenkt werden, um die Einnahmen zu mindern, die Russland legal verdienen kann. Das stößt im EU-Land Malta auf Widerstand, wo viele Reedereien sitzen. Maltas Einspruch war ein zweiter Grund, warum die Außenminister das 18. Paket am Dienstag noch nicht absegnen konnten.

Zudem planen die Europäer Sanktionen gegen eine Raffinerie in Indien, die in russischem Besitz ist. Nach Erkenntnissen der EU kauft diese Raffinerie russisches Erdöl für mehr als 60 Dollar je Barrel ein und füllt damit die Kriegskasse des Kreml. Die Raffinerie verarbeitet das Öl dann und exportiert die Produkte von Indien aus, unter anderem nach Europa. Russland nutzt diese Konstruktion, um die bereits bestehenden Ölsanktionen der EU zu umgehen.

Nach Angaben aus EU-Kreise ermöglicht das Sanktionspaket zwar auch Strafen gegen „andere Akteure in anderen Staaten“. In Brüssel scheut man sich allerdings, von sogenannten sekundären Sanktionen zu sprechen. Damit sind Strafmaßnahmen gegen Drittstaaten oder deren Unternehmen gemeint, die nur mittelbar zur Umgehung von Sanktionen beitragen. Die USA nutzen sekundäre Sanktionen schon seit Langem als politisches Zwangsmittel, die EU hat es bisher jedoch stets als illegal zurückgewiesen.

Sekundäre Sanktionen sind auch Teil der Strafen, die Präsident Trump nach Ablauf der 50-Tage-Frist gegen Moskau erwägt: Wie er am Montag sagte, könnte er die Importe in die USA aus Ländern wie China und Indien, die weiterhin Öl und Gas von Russland kaufen, pauschal mit Strafzöllen in Höhe von 100 Prozent belegen. Das käme den Europäern sehr entgegen – auch wenn ein Zoll in dieser Höhe weitaus niedriger läge als die 500 Prozent, die ein vom republikanischen Senator Lindsey Graham vorbereitetes Sanktionsgesetz vorsieht. Ob Trump am Ende seiner Frist aber tatsächlich Sanktionen gegen die Käufer russischer Energierohstoffe verhängt, ist offen.

Die EU will Geschäfte mit den Betreibern von Nord Stream verbieten

Ein Passus im 18. Sanktionspaket zielt auf Russlands mögliche künftige Einnahmen aus Rohstoffverkäufen: Die EU verhängt ein Geschäftsverbot mit den Firmen, die die deutsch-russischen Nord-Stream-Pipelines betreiben. Durch die nach einem Anschlag teilweise beschädigten Röhren in der Ostsee fließt derzeit zwar kein Erdgas, zudem müsste die Bundesregierung einer Inbetriebnahme zustimmen. Doch seit Pläne bekannt geworden sind, dass amerikanische Investoren die Pipelines betreiben und russisches Gas nach Deutschland exportieren wollen, ist Berlin lieber auf der sicheren Seite: EU-Sanktionen gegen die Nord-Stream-Pipelines würden der Bundesregierung Rückendeckung geben, sodass sie einem amerikanischen Investor, der vielleicht sogar Trumps Unterstützung hat, nicht allein die Stirn bieten müsste.

Zum ersten Mal enthält das neue EU-Sanktionspaket auch Strafen gegen zwei chinesische Banken. Sie sind nach europäischen Erkenntnissen daran beteiligt, der russischen Rüstungsindustrie bei der Umgehung von Sanktionen zu helfen. China gilt in diesem Zusammenhang als das mit Abstand problematischste Land, die EU hat in der Vergangenheit bereits einzelne chinesische Firmen sanktioniert. Aber noch nie Finanzinstitute. In Peking, wo nächste Woche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa zu einem chinesisch-europäischen Gipfeltreffen erwartet werden, dürfte dieser Schritt nicht gut ankommen.

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