Russland: Alles halb so schlimm

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Es hätte auch viel schlimmer kommen können, so oder so ähnlich kann man die Moskauer Reaktionen auf Donald Trumps Ultimatum zusammenfassen. Es sind abwiegelnde, abwartende Kommentare, auch aus dem Kreml.Trumps Aussagen seien sehr ernst, sagte Sprecher Dmitrij Peskow am Dienstag zwar, man brauche Zeit für die Analyse. Wladimir Putin werde sich äußern, falls er dies für notwendig halte.

Bisher hielt er es nicht für notwendig. Von russischen Experten und Propagandisten wird die Sache dann auch eher heruntergespielt, in die übliche Propaganda eingebettet: Russlands lasse sich keine Ultimaten stellen. Stattdessen müsse Washington endlich Druck auf Kiew ausüben, Moskaus Bedingungen zu akzeptieren. Das ist die übliche Stoßrichtung in den russischen Medien.

Man wolle verstehen, was hinter Trumps Aussagen steckt, sagt Lawrow

Daran ändern auch Trumps Drohungen erst mal nichts. Wenn er innerhalb von 50 Tagen keinen Deal habe, hatte der US-Präsident am Montag gesagt, werde er „Zölle von etwa 100 Prozent“ erheben. Er droht damit nicht nur Russland. Trump will auch diejenigen Länder mit Zöllen belegen, die weiterhin russischen Öl und Gas kaufen. Würde er wirklich China und Indien dafür bestrafen, dass sie Geschäfte mit Putin machen, hätte das für den Kreml sehr viel schwerwiegendere Folgen als direkte Zölle auf russische Exporte in die USA. Die sind ohnehin gering. China aber ist Russlands wichtigster Handelspartner, gefolgt von Indien und der Türkei.

Die angedrohten Zölle waren dann auch das größere Thema in Moskau, weit mehr als alles, was Trump zu Waffenlieferungen in die Ukraine sagte. Russische Medien erinnerten an frühere Aussagen des US-Präsidenten: „Wenn Russland und ich uns nicht auf einen Deal zur Beendigung des Blutvergießens in der Ukraine einigen können und wenn ich denke, dass Russland daran schuld ist, werde ich sekundäre Zölle auf Öl erheben, auf alles Öl, das aus Russland kommt“, hatte Trump schon Ende März gedroht und es so dargestellt, als könne er diese Zölle „jeden Moment“ erheben.

Nun freut man sich in Moskau fast über die 50-Tage-Frist. In dieser Zeit könne viel passieren, so der Tenor. „Wir wollen natürlich verstehen, was hinter dieser Aussage steckt – 50 Tage“, sagte Außenminister Sergej Lawrow und ließ durchblicken, dass er diese Frist nicht allzu ernst nahm. „Früher waren es 24 Stunden, dann waren es 100 Tage, wir haben das alles durchgemacht und wollen wirklich verstehen, was den US-Präsidenten motiviert.“

Manche spekulierten sogar, dass Trump Putin Zeit geben wollte, gewisse Kriegsziele zu erreichen. Sergej Osnobischtschew, Militäranalyst am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau, erinnert an die vier besetzen ukrainischen Gebiete. Sie kontrolliert der Kreml nicht vollständig, sind aber bereits als Teil Russlands in die Verfassung geschrieben worden. Russland könne von dieser Position nicht abrücken, zitierte ihn das Onlinemedium RBK. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump uns 50 Tage Zeit zugestanden hat, diese Gebiete zu besetzen - das ist der Kompromiss.“

Überhaupt gibt man sich in Moskau Mühe, weiterhin von Trumps Wohlwollen auszugehen. Lawrow sucht die Schuld für das neue Ultimatum zunächst bei anderen: Der US-Präsident stehe unter „enormen Druck“ durch EU und Nato, so der russischen Außenminister. Trump wolle sich nach wie vor nicht in den Konflikt einmischen, keine volle Konfrontation mit Russland, schreibt Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow im Kommersant. Aus Trumps Sicht sei dessen Ankündigung ein „sehr moderater Kompromissansatz“.

Mehrere russische Medien erwähnen den Gesetzentwurf im US-Senat, der ebenfalls Sanktionen gegen Länder vorsieht, die russische Öl kaufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gesetz nun verabschiedet werde, steige nach Trumps Auftritt deutlich, zitiert der Kommersant Iwan Timofejew, der den russischen Rat für internationale Angelegenheiten leitet. Timofejew erwartet, dass betroffene Länder lieber weniger russische Rohstoffe einkaufen werden, als Trump zu verärgern.

„Ich würde nicht sagen, dass wir am Rande einer neuen Eskalation stehen.“

Andere Experten sehen Trumps Alleingang und die 50-Tage-Frist eher als Zeichen dafür, dass der US-Präsident sich von dem geplanten Gesetz distanzieren wolle. „Ich würde nicht sagen, dass wir am Rande einer neuen Eskalation stehen“, sagt Nikolaj Silaew vom Moskauer Institut für internationale Beziehungen zu RBK. „Es gibt keine unmittelbaren Sanktionen. 50 Tage sind eine weitere Frist in einer Reihe von Fristen, die Trump zuvor gesetzt hat.“

Es ist die alte Mischung: In Moskau nimmt man nur halb ernst, was Trump alles sagt. Gleichzeitig will ihn dort niemand verärgern und der Ukraine die Schuld an der Fortdauer des Kriegs zuschieben: Wenn Trump Fortschritte erzielen wolle, schrieb Leonid Sluzkij, in der Staatsduma für internationale Beziehungen zuständig, auf Telegram, dann müsse er „dem Selenskij-Regime gegenüber die Faust zeigen und nicht Russland sekundäre Sanktionen androhen“. Am Mittwoch legte Putins Sprecher Peskow nach: Der Kreml rufe alle Seiten dazu auf, Druck auf die Ukraine auszuüben, damit eine neue Verhandlungsrunde stattfinden könne.

An Moskau Verhandlungsposition erinnerte der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow: Jedes Ultimatum sei inakzeptabel, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Tass. Wenn Moskau seine Ziele nicht durch Diplomatie erreiche, werde es seine „Spezialoperation“, also seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine, eben fortführen.

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