Regierung in Israel: Netanjahu kann diesen Konflikt nicht ewig vertagen

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Die Ultrareligiösen ziehen sich aus Netanjahus Regierung zurück. Ihr Widerstand gegen die Wehrpflicht offenbart ein zentrales Problem der israelischen Gesellschaft.

17. Juli 2025, 10:08 Uhr

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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu droht zumindest formal, seine Regierungsmehrheit zu verlieren. Wie israelische Medien berichten, will sich die ultraorthodoxe Schas-Partei aus der Regierung zurückziehen. Zuvor hatte das Parteienbündnis Vereinigtes Tora-Judentum (UTJ) seinen Rückzug erklärt. Hintergrund ist der Streit um die Wehrpflicht: Die strengreligiösen Parteien fordern weiterhin eine Ausnahme von der in Israel verpflichtenden Einberufung zum Militärdienst.

 Zwar gilt es als wahrscheinlich, dass beide Parteien Netanjahu im Parlament weiterhin unterstützen werden. Vorerst könnte er somit dem Kollaps seiner Koalition entgehen. Doch mit ihrer Entscheidung machen die Ultraorthodoxen auf ein Problem aufmerksam, das angesichts des anhaltenden Gazakriegs, der steigenden Siedlergewalt im Westjordanland, der Angriffe auf den Iran und der Lage in Syrien zuletzt kaum Aufmerksamkeit bekam: Der Streit um die Ausnahme von der Wehrpflicht schwelt seit Jahren – und birgt Sprengkraft. Er könnte sich noch als größer erweisen als Netanjahus Wille, an der Macht zu bleiben.

Die Strengreligiösen machen mit knapp 14 Prozent zwar eine Minderheit unter Israels etwa zehn Millionen Einwohnern aus, sind jedoch die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe. Ultraorthodoxe Frauen bekommen im Schnitt sechs Kinder, doppelt so viele wie säkular-jüdische und arabische Frauen in Israel. Die Männer arbeiten in der Regel nicht, sondern widmen sich allein dem Studium der Tora. Das kostet den Staat und bringt die Ultraorthodoxen in die Notwendigkeit, mitzuregieren, um sich so Sonderregeln zu sichern. 

Anfang 2023 etwa setzten Shas und UTJ durch, eine erst von der Vorgängerregierung eingeführte Steuer auf Einwegplastikgeschirr und gesüßte Getränke wieder abzuschaffen. Die Frommen behaupteten, die Steuer sei ein ungerechter Eingriff in ihre Lebensweise, zu der Zuckergetränke und Plastikgeschirr gehörten. Israels Gesundheitsbehörden warnten eindringlich: Schon jetzt sei die Diabetesrate unter strengreligiösen Kindern erhöht. Vergeblich. Der Fall zeigt, wie wenig Gewicht rationalen Argumenten beigemessen wird ‒ und warum es zum aktuellen Streit gekommen ist.

Der Konflikt um die Wehrpflicht schwelt seit Jahren. Schätzungsweise sind rund 80.000 Männer diensttauglich; Kräfte, die Israels Armee nach zwei Jahren Krieg dringender bräuchte denn je. Knapp 900 Soldaten wurden seit Kriegsbeginn getötet. Die Strengreligiösen beharren darauf: Ihre Männer dürften das Tora-Studium nicht vernachlässigen, auch nicht für den Dienst an der Waffe. Israels Oberstes Gericht sah das anders: Bereits vergangenen Sommer entschied es, dass ultraorthodoxe Männer zum Wehrdienst eingezogen werden müssen. Seitdem ist juristisch klar: Die Regierung Benjamin Netanjahus ist verpflichtet, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen.

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