Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Flaschen und Steine wurden an die Fassade geworfen.«
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»Innerhalb der letzten fünf Jahre haben sich rechte Angriffe gegen sogenannte politische Gegner:innen tatsächlich verdoppelt.«
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Und das ist ein Stück weit auch das, was man in Kauf nimmt, wenn man sich antifaschistisch organisiert.«
Demonstrantinnen und Demonstranten:
»Siamo tutti antifascisti«
Alexander Dobrindt (CSU), Bundesinnenminister:
»Die größte Gefährdung für die Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus.«
Birgit Großekathöfer, DER SPIEGEL:
»Wieso haben Sie den Jugendklub angezündet?«
Springerstiefel, White-Power-Zeichen und rassistische Parolen: In den vergangenen Jahren haben Neonazis auf den Straßen Zulauf bekommen. Junge Rechtsextreme sind in den sozialen Medien aktiv, vernetzen sich; Sie marschieren gegen CSD-Paraden auf, hetzen gegen Queere, gegen Andersdenkende. Und einige Neonazis greifen gewaltsam Menschen an. Vieles erinnert an die Anfänge der sogenannten Baseballschlägerjahre. Kommt die Gewalt aus den Neunzigerjahren zurück?
Salzwedel, Sachsen-Anhalt. Die kleine Hansestadt ist für ihre Fachwerkhäuser und ihren Baumkuchen bekannt. Hier haben bei der Bundestagswahl 34 Prozent der Wahlberechtigten die AfD gewählt.
Das Autonome Zentrum »Kim Hubert« in Salzwedel wurde am 16. Februar 2025 Ziel eines rechten Angriffs.
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum
»Gegen 00:45 Uhr ist eine Gruppe von zunächst drei Neonazis die Altperverstraße heruntergekommen, begann dann gegen die Tür des Autonomen Zentrums zu treten und überraschenderweise ist es ihnen dabei geglückt, die Tür auch aufzutreten. Die Neonazis haben sofort angefangen, die Menschen, die sie da gesehen haben, mit Flaschen zu bewerfen. Das war sehr aggressiv. Das hatte definitiv das Ziel, Menschen auch zu verletzen.«
Nur einer von vielen Angriffen auf das Autonome Zentrum. Aber diesmal gelang es den Aktivistinnen und Aktivisten, die Täter zu filmen. Dazu später mehr.
Lena, die hier im Haus aktiv ist, war bereit, mit dem SPIEGEL über den Angriff zu sprechen – allerdings nur unter der Bedingung, nicht erkannt zu werden. Zu groß ist ihre Angst, von Rechtsextremen identifiziert und angegriffen zu werden – eine reale Gefahr.
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum
»Wir sind einen Ort, wo sich junge Menschen, Jugendliche, junge Erwachsene selbst verwaltet und unabhängig von Parteien, Initiativen treffen, organisieren, Zeit miteinander verbringen, diskutieren, kulturelle Angebote organisieren, aber eben auch linke und antifaschistische Politik machen und treiben.«
Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Landtag von Sachsen-Anhalt geht hervor, dass die Polizei den Angriff als rechtspolitisch motivierte Gewalttat eingestuft hat. Tatverdächtig sind fünf Männer, einer von ihnen jünger als 21 Jahre.
Bei rechter Gewalt ist Rassismus nach wie vor das vorherrschende Motiv – mehr als die Hälfte aller Taten werden von den Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt so eingeschätzt. Aber:
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»Wenn wir dann auf politische Gegner:innen als zweite große Gruppe schauen, dann sehen wir, dass es allein im letzten Jahr einen Anstieg um zwei Drittel gab. Und das ist der größte Anstieg in den Motivgruppen, den wir im letzten Jahr verzeichnet haben.«
Der Verband erfasst rechte Gewalttaten durch Auswertung von Medienberichten, Kleinen Anfragen in den Landtagen sowie durch die Betroffenenberatungsstellen. 2024 zählte der Verband 3.453 politisch rechts motivierte Angriffe – einen Höchststand. Das Bundeskriminalamt zählte 2024 1.488 Gewalttaten, bei denen Ermittlungen eingeleitet wurden – einen Anstieg um 17 Prozent.
Ziel dieser rechten Gewalt sind auch immer wieder alternative Räume.
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»Rechte Gewalt gegen alternative, nicht-rechte Jugendklubs, Treffpunkte, Wohnprojekte, soziokulturelle Projekte; das ist wirklich seit Langem schon ein Problem.«
In Seehausen – knapp 40 Kilometer von Salzwedel entfernt – zündeten im Oktober 2022 zwei junge Erwachsene das Bahnhofsgebäude an. Es wurde von Klimaaktivistinnen und -aktivisten genutzt, die in der Nähe einen Wald besetzt hatten. Die Täter wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Im Oktober vergangenen Jahres brannte der »Kultberg« ab – ein Kulturhaus im südbrandenburgischen Altdöbern. Ermittlungen zufolge soll die »Letzte Verteidigungswelle« für den Brandanschlag verantwortlich sein – jene rechtsextreme Gruppierung, gegen die gerade erst eine bundesweite Razzia lief – die Vorwürfe: Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Im Februar dieses Jahres folgte der Angriff auf das Autonome Zentrum in Salzwedel. Am 1. März griffen mutmaßlich Rechtsextreme den Jugendklub »Jamm« in Senftenberg an. Am 24. Mai wurde das Hausprojekt »Zelle79« in Cottbus mutmaßlich von Rechtsextremen angegriffen. Und das sind nur wenige Beispiele.
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»Diese Angriffe sind ja Botschaftstaten. Nämlich: Es gibt keine sicheren Räume für Menschen, die nicht bereit sind, sich einer rechten Hegemonie oder auch einem rechtsextremen Weltbild zu beugen. Es gibt keine Sicherheit vor dieser Gewalt und der Gewaltandrohung – das ist die Botschaft, die damit einhergeht.«
Eine Erfahrung, die auch Sebastian gemacht hat. Er war dabei, als vor fünf Jahren während eines Konzerts die »Friese« angezündet wurde – ein Jugend- und Kulturraum im Bremer Viertel. Die Täter: Rechtsextreme.
Sebastian, Betroffener aus Bremen:
»Also, während wir hier das Konzert veranstaltet haben, sind Personen in die ›Friese‹ gekommen, haben sich in den Räumlichkeiten aufgehalten, ohne dass wir das mitbekommen haben, und haben hier Feuer gelegt. Das hat schon auf jeden Fall eine große Betroffenheit ausgelöst, eine große Unsicherheit. Und hat einfach diese Sicherheit, die ich mit diesem Laden, mit dem mit den Veranstaltungen in Verbindung bringe, doch ganz schön durchgerüttelt.«
Der Anschlag war im Februar 2020. Einige Konzertbesucher erlitten Rauchgasvergiftungen, viele kämpfen noch heute mit den Erinnerungen. Höhe des Schadens am Haus: rund 200.000 Euro.
Sebastian S., Betroffener aus Bremen:
»Wir hatten natürlich auch erst mal die Fantasie: Das war ein Unfall oder vielleicht eine Unachtsamkeit oder was auch immer. Im Laufe des Abends haben wir dann aber Aufkleber gefunden, die relativ eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen waren und die auch an diesem Abend angebracht worden sind. Also das war sehr sicher. Und da fing es bei uns an, dass wir schon das Gefühl hatten, dass wir hier Opfer eines rechten Anschlags geworden sind.«
Es ist wohl nicht der Polizei allein zu verdanken, dass fünf Jahre nach der Tat diese drei Männer in Bremen vor dem Landgericht stehen.
Nils Dietrich, Anwalt der Nebenklage:
»Es gab irgendwann einen anonymen Hinweis, in dem auch die heutigen Angeklagten als Tatverdächtige benannt worden sind. Und das hat, meine ich, hier für die Ermittlungen, für den Umstand, dass wir heute eine Hauptverhandlung führen und beenden, mehr gebracht als die Ermittlungen der Polizei.«
Alle drei Täter waren über Jahre in rechtsextremen und neonazistischen Kreisen unterwegs, besuchten Demonstrationen. Zwei der Männer waren Teil des rechtsextremen Vereins »Phalanx 18«, den die Bremer Innenbehörde 2019 verboten hat. Beim Hauptangeklagten Jan E. fanden die Ermittler zahllose Nazi-Devotionalien.
Ende Mai fällt das Urteil am Bremer Landgericht.
Jan Stegemann, Sprecher des Landgerichts Bremen:
»Die Kammer hat heute den Hauptangeklagten wegen schwerer Brandstiftung und wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die beiden übrigen Angeklagten sind wegen unterlassener Hilfeleistung und wegen anderer Delikte jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt worden.«
Birgit Großekathöfer, DER SPIEGEL:
»Wieso haben Sie den Jugendklub angezündet?«
Jan Stegemann, Sprecher Landgericht Bremen:
»Der Vorsitzende hat ganz deutlich gemacht, dass das Tatmotiv hier eine zentrale Rolle gespielt hat und dass der Hauptangeklagte hier aus Hass und Verachtung gegenüber politisch Andersdenkenden gehandelt hat.«
Politisch Andersdenkende, das sind für die extreme Rechte Menschen, ...
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»… die als links, als antifaschistisch oder einfach nur als alternativ, als nicht rechts gelabelt werden.«
Sebastian, Betroffener aus Bremen:
»Das macht ja noch mal deutlich, dass es ausreichend ist, dass man sich in bestimmten Räumlichkeiten aufhält, dass man eine bestimmte Art von Kultur, von Musik unterstützt.«
Umso mehr rücken antifaschistische Projekte wie das Autonome Zentrum »Kim Hubert« in Salzwedel in den Fokus rechter Gewalt. Laut Aktivisten drangen bereits 2018 mindestens zehn vermummte und bewaffnete Personen in der Nacht in die Räume ein. Die Lokalmedien berichteten.
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Wir sind ein Symbol in der Stadt dafür, dass Jugendliche, junge Menschen auch anders sein können, auch anders leben können. Dass Rassismus nicht Alltagskultur sein muss, dass Menschen queer sein können, dass Mädchen und Frauen nicht in ihren zugewiesenen Rollen leben müssen, einfach weil sie Mädchen und Frauen sind. Und das ist etwas, was rechte Jugendliche, Neonazis als Provokation empfinden und als Symbol auch angreifen.«
Beim jüngsten Angriff im Februar konnten die drei Täter zunächst zurückgedrängt werden.
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Die Gruppe ist dann, soweit wir wissen, geflohen in die Richtung, von wo sie herkamen – ist dort auf zwei weitere Männer getroffen, und spontan, so interpretieren wir das, ist es dann wieder dazu gekommen, dass die Gruppe zusammen noch mal umgekehrt ist und diesen Angriff fortgeführt hat.«
Im Video ist zu sehen, wie die Angreifer Gegenstände auf das Haus werfen – gezielt auch auf die Fenster, hinter denen gefilmt wird. Es sind Tritte gegen die Tür zu hören.
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Der Angriff auf das Autonome Zentrum stellt keine Spitze der Gewalt dar, wie wir sie hier erleben, sondern ist eigentlich nur sozusagen ein Videoschnipsel, der gelungen ist von einer Situation, einer Konfrontation mit Gewalt, mit der wir es hier in Salzwedel und auch im ostdeutschen ländlichen Raum die ganze Zeit zu tun haben. Das ist etwas, was die Menschen hier einschüchtert und verunsichert und ängstlich macht. Ganz sicherlich ist das der Fall. Und auf der anderen Seite ist es aber auch etwas, was Menschen hier gerade antreibt und Kraft gibt.«
Dass die linken Aktivistinnen und Aktivisten hier den Rechten nicht das Feld überlassen wollen, zeigt sich auch wenige Stunden nach dem Interview bei einer Demonstration etwa 60 Kilometer weiter östlich in Stendal. Antifa-Gruppen aus Sachsen-Anhalt hatten dazu aufgerufen, sich der rechten Raumnahme entgegenzustellen.
Gleich zu Beginn provoziert ein Mann die Demonstranten, versucht Gesichter abzufilmen. Wenig später taucht eine Handvoll rechter Gegendemonstranten auf, die der Demo mit etwas Abstand folgen. Mit dabei eine Flagge aus dem Deutschen Kaiserreich, genauer gesagt: die Flagge des »Reichskolonialamts«. Einschüchterungsversuche, immer und immer wieder.
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Und das ist ein Stück weit auch das, was man in Kauf nimmt, wenn man sich antifaschistisch organisiert, wenn man das Autonome Zentrum zum Beispiel nutzt. Jeder Neonazi, der seine Gewalt darin ausübt, Linke und Antifas anzugreifen, greift in dem Moment keine rassistisch marginalisierten Menschen auf der Straße an, begeht keine queerfeindlichen Taten. Das war immer das Ziel antifaschistischen Engagements so ein bisschen auch die Zielscheibe woanders hinzurichten.«
So versuchten sich Antifaschisten auch 1992 dem rechten Mob in Rostock-Lichtenhagen entgegenzustellen – während zeitweise bis zu 3.000 Umstehende Beifall klatschten, als Brandsätze auf das Sonnenblumenhaus geworfen wurden.
Originalton:
»Die Polizei hat sich zurückgezogen. Die Chaoten haben unten das Haus angesteckt.«
Es sind Szenen, die die sogenannten Baseballschlägerjahre prägten. Neonazis verübten Anschläge, legten Brände, verprügelten und ermordeten Menschen. Einige Tatorte der Nachwendezeit sind – wie die Bilder der Taten – im kollektiven Gedächtnis geblieben: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Hoyerswerda, Solingen.
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»Mit den Baseballschlägerjahren sind leider auch die Jahre der Brandanschläge zurück, und wir haben allein im Vergleich von 2023 zu 2024 eine Verdopplung von Brandanschlägen. Und die sind eben besonders gefährlich, weil die Täter, Täter:innen eben schwerste Verletzungen bis hin zu tödlichen Folgen billigend in Kauf nehmen.«
Diese Brandanschläge treffen nicht nur linke Zentren wie in Bremen oder in Seehausen – sondern auch Geflüchtetenunterkünfte, Wohnungen von Migranten oder Häuser, die zu Unterkünften werden sollen.
Heike Kleffner, Bundesverband der Betroffenenberatung:
»Also die Lehren aus den Baseballschlägerjahren und Brandanschlagsjahren der Neunzehnhundeneunziger, sind vor allem schnelle und effektive Strafverfolgung, Benennung der Tatmotive, Solidarität mit den Angegriffenen, und zwar eine Solidarität auch durch politisch Verantwortliche.«
Lena, Aktivistin im Autonomen Zentrum:
»Wenn wir als Gesellschaft keine gute und entschlossene Antwort auf die AfD und ihre neonazistischen Vorfeldorganisationen finden, dann ist das, was wir hier gerade erleben, vielleicht der Anfang von neuen Baseballschlägerjahren.«
Die AfD trägt durch ihre Politik der Provokationen seit Jahren maßgeblich dazu bei, die gesellschaftliche Stimmung nach rechts zu verschieben.
Alice Weidel, AfD-Parteichefin:
»...den queer-woken Wahnsinn...«
Und schlägt damit in dieselbe Kerbe wie junge Neonazis mit ihren Anti-CSD-Protesten. So hetzte die Hamburger AfD-Politikerin Nicole Jordan auf einer Demonstration Ende Mai vor der Elbphilharmonie gegen trans Menschen.
Nicole Jordan, AfD-Politikerin:
»Mit zwölf Jahren soll ein Kind angeblich entscheiden dürfen, ob es sich seine gesunden Brüste oder Hoden abschneiden lässt. Das ist kein Fortschritt. Das ist Staatsversagen.«
Die Vorsitzende der Bezirksfraktion Hamburg-Mitte wünscht sich ein anderes Deutschland, in dem…
Nicole Jordan, AfD-Politikerin:
»... Mädchen Zöpfe flechten und nicht Tabletten schlucken.«
Ein Satz, dem vermutlich auch diese jungen Neonazis und Rechtsextremen Beifall klatschen würden. Sie marschierten am selben Tag in Dresden gegen den CSD auf.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Neonazis den nächsten Anschlag verüben. Auf Menschen, die ihnen nicht deutsch genug aussehen, auf Menschen, die nicht rechts sein wollen, auf Räume, die von Geflüchteten oder Linken genutzt werden.