Markus Söder und Heidi Reichinnek: Fabian Grischkat über Politiker-Erfolg auf Social Media

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Grischkat: Dass die Co-Chefin der Grünen Jugend mit so einem Pulli provoziert, halte ich weder für brillant noch für einen Skandal. Nietzard will ein junges, linkes Publikum erreichen. Da ist sie also authentisch. Die große Empörung auch aus den Reihen der Grünen zeigt für mich etwas anderes. Zum einen, dass der ewige Konflikt zwischen Realos und Linken innerhalb der Partei nicht abebbt. Zum anderen, dass in der Politik der Social-Media-Betrieb immer angespannter wird. Progressive und konservative Lager versuchen noch stärker, Schwachstellen bei den anderen zu finden.

SPIEGEL: Also doch lieber weniger nahbar posten?

Grischkat: Grundsätzlich empfehle ich allen, gut zu bedenken, was man von seinem Privatleben öffentlich preisgibt. Es war lange Zeit ein Irrglaube, dass Politiker und Politikerinnen nur dadurch nahbar wirken. Bei jungen Menschen punktet ein konservativer Politiker nicht mehr, nur weil er ein Selfie im Fußballstadion macht.

SPIEGEL: Markus Söder scheint mit seinen Burger-Selfies viel Erfolg zu haben.

Grischkat: Dennoch zeigt Söder wenig Privates. Er hat eine Kunstfigur erschaffen. Es gibt den Politiker Söder, der immerhin Ministerpräsident ist, und den Shitposter Söder. Am Ende ist es wie bei einem Unternehmen: Söders Team schaut auf die Zahlen und analysiert, was performt. Die Aufmerksamkeit, die ihm Weißwurstfotos bringen, nutzt er, um im nächsten Post politische Ideen zu bewerben.

Politik mit der Kunstfigur

SPIEGEL: Um im Netz erfolgreich zu sein, sollten Politikerinnen und Politiker also ein wenig mehr rumsödern?

Grischkat: Ich möchte ungern der sein, der anderen das »Rumsödern« empfiehlt, aber ja: Eine authentische Kunstfigur zu kreieren, die Leute auf das eigene Profil zieht, ist ein guter Weg. Die Linkenpolitikerin Heidi Reichinnek macht das übrigens ähnlich wie Söder. Sie postet zwar nicht ihr Essen, aber tanzt zu trendigen Sounds. Auch wenn beide gegensätzliche Zielgruppen ansprechen – ihr Rezept ist fast gleich.

»Ich warne davor, politischen Erfolg allein auf reißerischen Social Content zu gründen«

SPIEGEL: Aber wenn alle nur die eigene Zielgruppe bedienen, entsteht doch kein Dialog mehr.

Grischkat: Ich rate zur Gelassenheit. Nicht jedes Reel muss zugespitzt und populistisch sein. Die Leute kommen auch über gemäßigte Beiträge und wollen nicht permanent angeschrien werden.

SPIEGEL: Zahlt sich Social Media für Politikerinnen und Politiker überhaupt aus?

Grischkat: Ja und nein. Ein jüngeres Publikum holt sich seine Informationen aus dem Netz und nicht am Kiosk. Die Linke verdankt einen Teil ihres aktuellen Erfolgs auch der Präsenz auf Social Media. Aber: Die großen Wählerschichten sind älter und nicht permanent auf TikTok. Keine Partei sollte allein darauf setzen. Was heute ein virales Video ist, war früher vielleicht die Schlagzeile in der Boulevardzeitung. Da wurde man hoch-, aber auch wieder runtergeschrieben. In sozialen Netzwerken kann es ähnlich laufen. Es ist nicht meine Aufgabe, Reichinnek zu beraten, aber ich warne davor, politischen Erfolg allein auf reißerischen Social Content zu gründen.

SPIEGEL: Sondern?

Grischkat: Ein Video kann noch so sehr den Nerv der Followerschaft treffen: Wenn auf Worte keine Taten folgen, verlieren Menschen das Vertrauen in die Politik.

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