Rechte triumphiert: AfD zwischen Händedruck und Hetze

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Während sich der Plenarsaal am Nachmittag ein zweites Mal füllt und die Republik gespannt darauf wartet, ob doch noch ein neuer Kanzler gewählt wird, sitzt AfD-Ehrenpräsident Alexander Gauland entspannt in der ersten Fraktionsreihe, neben dem leeren Platz von AfD-Chefin Alice Weidel und blättert in einer Zeitung.

War da was?

Offenbar, denn Weidel betritt den Saal und grinst breit wie selten, plaudert mit ihrem Co-Chef Tino Chrupalla und dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Bernd Baumann. In der ersten Reihe der Rechten herrscht blendende Laune. Kanzlerwahl im ersten Wahlgang gescheitert – eine Steilvorlage für die AfD. Sie muss nur abwarten.

Alexander Gauland, Ehrenpräsident der AfD.

© AFP/Ralf Hirschberger

Zur Geschäftsordnungsdebatte tritt Baumann ans Rednerpult. Energischer Applaus seiner Fraktion. Baumann ruft in wütendem Ton: „Herr Merz, Sie sind gescheitert. Das ist eine historische Niederlage, wie es sie in diesem Bundestag noch nie gegeben hat.“ Baumann wiederholt in Teilen das Statement, das Weidel einige Stunden zuvor abgegeben hat: „Deutschland braucht jetzt eine Regierung.“ Die AfD unterstütze das.

Weidel hatte sich kurz nach der gescheiterten Wahl noch aggressiver gezeigt. Die AfD-Chefin sagte in die Kameras: „Der Wahlbetrüger und Lügner Friedrich Merz ist folgerichtig im ersten Wahlgang durchgefallen.“ Weidel hatte gefordert: „Herr Merz sollte direkt abtreten und es sollte der Weg geöffnet werden für Neuwahlen in unserem Land.“ Die AfD könne übernehmen, suggerierte Weidel: „Wir sind bereit für die Regierungsverantwortung.“

AfD stimmt einem zweiten Wahlgang zu

Nach dem ersten, gescheiterten Wahlgang wird hinter den Kulissen über Stunden geklärt, ob ein zweiter Wahlgang noch am Dienstag rechtlich und politisch möglich wäre.

Daniel Tapp, Weidels Sprecher, hatte gegenüber dem Tagesspiegel erklärt: „Die AfD-Fraktion würde einem zweiten Wahlgang aus staatspolitischer Verantwortung auch heute zustimmen. Einem Wahlgang am Mittwoch würden wir ebenfalls zustimmen.“

Staatsmännisch – das ist die Losung in der Fraktion. Der neuen Einstufung des Verfassungsschutzes („gesichert rechtsextrem“) zum Trotz.

Während die Abgeordneten viele Stunden warten, verfolgt AfD-Vize Kay Gottschalk vor dem Plenarsaal das Geschehen, räumt ein, dass auch seine Fraktion überrascht sei. Der Politiker aus Nordrhein-Westfalen nennt das Geschehen „unwürdig“, betont aber: „Wir wollen, dass Deutschland eine stabile Regierung bekommt. Jetzt sollte zügig gewählt werden und ansonsten brauchen wir Neuwahlen. Da gibt es jetzt keinen Grund zum Jubeln.“

Gottschalk gehört zu den eher Gemäßigten in einer Partei, die vom Verfassungsschutz seit vergangener Woche als erwiesen rechtsextrem eingeordnet wird. Gottschalk betont: „Wir müssen einen neuen Sound haben. Wir wollen Verantwortung übernehmen.“

Eine der großen Fragen: Was, wenn Merz im zweiten Wahlgang nun auch mit Stimmen der AfD gewählt würde? „Ich kann mir das nicht vorstellen“, sagt Gottschalk.

AfD-Chefin Alice Weidel gibt ihre Stimme ab.

© AFP/ODD ANDERSEN

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stefan Keuter sagte dem Tagesspiegel auf die Frage nach möglichen AfD-Stimmen für Merz: „Zu 100 Prozent nein.“ Keuter begründete seine Ablehnung so: „Wir haben das Gefühl, dass ihm Inhalte vollkommen egal sind. Unterstützung von uns wird es nicht geben und eine Zusammenarbeit schließen wir aus.“

Angebot zu schwarz-blauer Koalition

Auf großer Bühne, am Rednerpult, bietet am Nachmittag Bernd Baumann einmal mehr die Kooperation der AfD an. Für die Unionspläne gebe es eine stabile Mehrheit, argumentiert Baumann – mit der AfD. „Wir stehen auch jederzeit für vernünftige Lösungen für Deutschland bereit.“

Merz schüttelt energisch den Kopf, winkt ab. Während der kurzen Debatte quittieren AfD-Abgeordnete mehrere Reden mit höhnischem Gelächter und Zwischenrufen.

Während der zweiten Abstimmung liest Gauland weiter in seiner Zeitung, plaudert zwischendurch mit Weidel und Chrupalla.

Beim zweiten Ergebnis wirkt die AfD-Fraktion wie ein versteinerter Block. Niemand jubelt, niemand buht, vielfach betretene Gesichter. Weidel grinst. Die erste Reihe der Fraktion spricht sich kurz ab und reiht sich dann ein in die Reihe der Gratulanten.

Am Ende schüttelt auch Gauland dem frisch gewählten Kanzler die Hand und verbeugt sich kurz, ebenso wie Weidel, Chrupalla und Baumann.

Staatsmännisch soll auch das wirken.

Während der Kanzler noch auf dem Weg zur Ernennung im Schloss Bellevue ist, schreibt Thüringens AfD-Chef Björn Höcke auf X von „Kartellparteiendemokratie“ und nennt die Koalition „antideutsch“.

Die ausgestreckten Hände der ersten AfD-Reihe dürften für lange Zeit die letzte Gesten dieser Art bleiben.

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