Das Bundesverfassungsgericht bekräftigt in einem Urteil zur Airbase Ramstein die universelle Bindungswirkung der Grundrechte, verweigert zugleich aber drei Jemeniten die Durchsetzung ihres Schutzanspruchs. Das Kernargument: Weil die USA im Drohnenkrieg nicht systematisch gegen Grund- und Menschenrechte verstießen, folge aus dem grundrechtlichen Schutzanspruch der Kläger keine Pflicht für die Bundesrepublik, einzugreifen. Weitere Argumente sind die Bündnisfähigkeit Deutschlands und ein Vorrang für vertretbare Einschätzungen durch "zuständige deutsche Staatsorgane". Fast 5 Jahre nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Klage von Faisal bin Ali Jaber, Ahmed Saeed bin Ali Jaber und Khaled Mohmed bin Ali Jaber abgeschmettert hat, scheitern sie also auch beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Bei einem Flugdrohnenangriff im Sommer 2012 sind zwei Familienmitglieder der Beschwerdführer im Dorf Khashamer getötet worden. Die Drohne soll über den US-Luftwaffenstützpunkt im deutschen Ramstein aus ferngesteuert worden sein. Die Überlebenden leiden nach eigenen Angaben bis heute unter Folgen. Sie werfen der Bundesrepublik Deutschland vor, ihrer Verpflichtung zum Schutz des Grundrechts auf Leben und Unversehrtheit nicht nachgekommen zu sein.
Grundrechte gelten auch im Ausland
Der 2. Senat des BVerfG stellt laut Pressemitteilung in seiner Entscheidung vom Dienstag (Az. 2 BvR 508/21) fest, dass "der Bundesrepublik Deutschland ein allgemeiner Schutzauftrag dahingehend, dass der Schutz grundlegender Menschenrechte und der Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsberührung gewahrt bleibt", obliege. Doch nur unter besonderen Bedingungen folge daraus die Pflicht, etwas zu unternehmen: "Dieser Schutzauftrag kann sich unter bestimmten Bedingungen je nach Einzelfall zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht verdichten", heißt es in den Leitsätzen der Entscheidung. "Eine solche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich auf die Einhaltung des anwendbaren Völkerrechts zum Schutz des Lebens. Sie erfasst auch Gefährdungen, die von einem anderen Staat ausgehen."
Eine Einschränkung auf den Schutz von Einwohnern oder Staatsbürgern Deutschlands lehnt das BVerfG ausdrücklich ab. Damit gehe das Gericht über seine bisherige Rechtsprechung hinaus, betonte die Vorsitzende Richterin. Gehe es um Handeln von Drittstaaten im Ausland, liegt die Latte laut dem Urteil allerdings hoch: Dem Schutz des Lebens dienende Regeln des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte müssten "systematisch verletzt" werden. Und das hätten die Beschwerdeführer nicht bewiesen. Zudem sei die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik ein Verfassungsgut, das zu berücksichtigen sei.
Kein Risiko exzessiver Kollateralschäden und Grundrechtsverletzungen
"Die (hohe) Zahl ziviler Opfer kann für sich genommen – ohne Hinzutreten weiterer Elemente – die ernsthafte Gefahr systematischer Verstöße gegen das hier einschlägige Völkerrecht nicht begründen", erkennt das BVerfG. "Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im Jemen systematisch gegen das Verbot exzessiver Kollateralschäden verstoßen worden ist, sind den angeführten Berichten und Resolutionen nicht zu entnehmen." Die New America Foundation geht aktuell von bis zu 1800 Opfern des Drohnenkriegs im Jemen aus, davon bis zu 150 Zivilisten.
Zwar mögen USA und BRD "im Einzelnen" unterschiedlicher Auffassung über Völkerrecht sein. "Dadurch wird das grundsätzlich zwischen Bündnispartnern herrschende Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Handelns des anderen aber jedenfalls so lange nicht infrage gestellt, wie sich die von der Bundesrepublik Deutschland abweichende Rechtsauffassung der USA im Rahmen des völkerrechtlich Vertretbaren hält", erwägt der Senat. "Dies ist hier der Fall."
Zu entscheiden haben das offenbar deutsche Bundesminister; denn laut Verfassungsurteil ist "die Rechtsauffassung der für außen- und sicherheitspolitischen Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane, denen das Grundgesetz für die Regelung der auswärtigen Beziehungen einen grundsätzlich weit bemessenen Spielraum einräumt, maßgeblich zu berücksichtigen, soweit sich diese als vertretbar erweist." Deutsche Gerichte können in diesem Bereich also falsche Auslegungen seitens der Regierung nicht für unanwendbar erklären, nur weil sie falsch sind, sondern erst, wenn sie unvertretbar sind.
Reaktion der Beschwerdeführer
Ahmed und Khaled bin Ali Jaber nennen das heutige Urteil "gefährlich und erschütternd: Es vermittelt die Botschaft, dass Staaten, die das US-Drohnenprogramm unterstützen, keine Verantwortung tragen, wenn Zivilisten dabei getötet werden." Sie hätten nicht nur für sich und ihre ermordeten Angehörigen geklagt, sondern für unschuldige Opfer weltweit, schreiben sie in einer vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) veröffentlichten Pressemitteilung. "An wen sollen wir uns jetzt noch wenden, wenn wir Gerechtigkeit suchen?"
Einen positiven Aspekt sieht Andreas Schüller vom ECCHR: Die Entscheidung lasse "die Tür offen für zukünftige Fälle. Verletzungen des Völkerrechts können gerichtlich überprüft werden, auch wenn das Gericht dafür hohe Hürden aufstellt. Dies ist eine wichtige Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in diesen Zeiten."
(ds)