Proteste der Jugend: Die Wütenden von Manila, Jakarta und Kathmandu

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© Muhammad Zaenuddin

© Amit Machamasi

© K M Asad

© Tashiya De Mel

© Martin San Diego

Eine Reihe von Massenprotesten fegt durch die Großstädte des Globalen Südens. Die Gen Z hat das Gefühl, sozial abgehängt zu sein – und wehrt sich. Wir zeigen Bilder.

22. Oktober 2025, 15:30 Uhr

In zahlreichen Großstädten des Globalen Südens sind zuletzt Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen ihre Regierung zu demonstrieren. Es sind vor allem junge Männer und Frauen, die das Gefühl eint, in einer ungerechten Welt zu leben. 

Die Auslöser der Proteste sind lokal stets unterschiedlich, meist sind es Missstände in der staatlichen Versorgung oder Berichte über Nepotismus und Korruption in der politischen und wirtschaftlichen Elite. Wenn wie etwa in Indonesien die Preise für alltägliche Produkte ständig steigen und viele keine Arbeit mehr finden, fällt das auf fruchtbaren Boden. Im verarmten Madagaskar haben Proteste gegen Arbeitslosigkeit und Staatsversagen gerade zur Flucht des Präsidenten geführt, wenn auch unter Mithilfe des Militärs.  

Treiber der Proteste sind Menschen aus der Alterskohorte der Generation Z, also etwa die Jahrgänge 1995 bis 2010. Sie fühlen sich um den sozialen Aufstieg, um ihre Zukunft betrogen. Die Frustration dieser Generation ist selbst im repressiven China mit seiner hypermodernen Industrie greifbar – obwohl hier Proteste und freie Meinungsäußerung verboten sind. In Peru gingen gerade Tausende gegen die ausufernde Kriminalität auf die Straße. Massenproteste gegen soziale Ungleichheit gab und gibt es auch in Marokko und Kenia. 

Studententische Aktivisten auf einer Kundgebung in der Stadt Dhaka am 3. August 2024 in Bangladesch: Sie fordern Gerechtigkeit für zuvor von der Polizei getötete Demonstranten. © K M Asad

Die Demonstrationen haben Vorläufer. Über die Jahre 2020/2021 protestierte Thailands Jugend in mehreren Wellen für mehr Demokratie und gegen die autoritären Eliten, blieb dabei aber erfolglos. In Sri Lanka dagegen stürzte 2022 der Präsident nach teilweise gewalttätigen Unruhen – Auslöser war eine schwere Wirtschaftskrise. 2024 führten Studentenunruhen in Bangladesch zum Rücktritt der autoritären Regierung – hier starben mehrere Hundert Demonstranten, wahrscheinlich durch Schüsse der Polizei.

Wichtiges Merkmal der Kundgebungen ist die digitale Vernetzung. In den sozialen Medien hat sich inzwischen ein Demo-Logo verbreitet: ein Totenkopf mit einem gelben Strohhut. Das Motiv stammt aus dem japanischen Anime One Piece, in dem Piraten für die Freiheit kämpfen. Die Piratenflagge tauchte erstmals Ende August bei den Protesten in Indonesien auf. Auch Hashtags wie #SEAblings, unter dem sich die Demonstranten in Südostasien ihrer Solidarität versichern, sind ein Trend geworden.

Schwerpunkt der aktuellen Protestwelle ist das bevölkerungsreiche Süd- und Südostasien. Wir haben Fotografen aus Sri Lanka, Bangladesch, Nepal, den Philippinen und Indonesien, die als Augenzeugen dabei waren, gebeten, uns Bilder der Ereignisse zu schicken und ihre Erfahrungen von vor Ort zu schildern. 

Philippinen: gigantische Korruption

Der Inselstaat Philippinen ist stark von den Folgen der globalen Erwärmung betroffen und besonders auf Hochwasserschutz angewiesen. Doch allein seit 2023 sind große Summen, die in öffentlichen Projekten zum Bau von Schutzanlagen vorgesehen waren, in dunklen Kanälen versunken. Das Finanzministerium geht von einem Schaden von umgerechnet mindestens 1,8 Milliarden Euro aus – Greenpeace Philippinen spricht gar von rund 17 Milliarden. 

Tausende empörte Filipinos gingen am 21. September im ganzen Land auf die Straße wegen mutmaßlicher Korruption bei staatlichen Infrastrukturprojekten. © Martin San Diego

Kein Wunder, dass sich da Protest regt, Ende September sollen es in der Hauptstadt Manila rund 130.000 Menschen gewesen sein. "Es haben vor allem Aktivisten und Studenten demonstriert, man sah aber auch reiche Leute, die normalerweise nie auf die Straße gehen, um zu protestieren", berichtet Marcus San Diego aus Manila. 

Die Proteste in Manila folgten auf ähnliche Proteste in den Nachbarländern Indonesien und Nepal. © Martin San Diego

Korruption beim Bau von Infrastruktur sei ein wichtiger Faktor für die Proteste gewesen, sagt der Fotograf: "Die Mehrheit der Bevölkerung erlebt das täglich, die schlechten Straßen und die schlecht gebauten Hochwasserschutzprojekte." Die Wut habe irgendwie alle berührt. 
 

Indonesien: Ärger um Politikerprivilegien

Bereits im Frühjahr demonstrierten vor allem Studentinnen und Studenten gegen Sparmaßnahmen im Sozialbereich. Im Sommer richteten sich die Proteste gegen eine Wohnungszulage für indonesische Abgeordnete. Demonstranten attackierten in verschiedenen Städten Parlamentsgebäude, Autos brannten. Als ein Fahrzeug der Polizei einen Motorradlieferanten tötete, eskalierte die Gewalt. Mindestens zehn Indonesier starben. 

Demonstranten in Jakarta fliehen Ende August vor dem Tränengas der Polizei, nachdem sie vor dem indonesischen Parlamentsgebäude gegen die Gehälter von Abgeordneten protestiert hatten. © Muhammad Zaenuddin

Der Fotograf Muhammad Zaenuddin beschreibt den Einsatz der Staatsmacht in Indonesien als sehr hart: "Ich erinnere mich, wie mehrere Krankenwagen, die von freiwilligen Sanitätern betrieben wurden, absichtlich angehalten wurden, offenbar um sie daran zu hindern, Demonstranten zu helfen, die wegen des eingesetzten Tränengases um Luft rangen – es war, als wollten die Machthaber, dass sie leiden." Er hätte Momente kollektiver Angst, Hilflosigkeit und Ungerechtigkeit gesehen. 

Durch Wasserwerfer und Tränengas verletzte Demonstranten in Jakarta © Muhammad Zaenuddin

Immerhin blieben die Proteste nicht folgenlos: Indonesiens Regierung zog noch im September die Wohnungszulage für Politiker wieder zurück.

Nepal: Nepo-Kids und Netzwerksperren

Der größte Fehler der nepalesischen Regierung war wohl, dass sie Anfang September die Zugänge zu den sozialen Medien im Land kappen ließ. Daraufhin brachen die Antikorruptionsproteste in einem der ärmsten Länder Asiens erst richtig aus. Hunderte Demonstranten stürmten den Parlamentssitz in der Hauptstadt Kathmandu und setzten ihn in Brand. 

Demonstranten am Gelände des Parlamentsgebäudes am 8. September in Kathmandu © Amit Machamasi

Während der Unruhen wurden 74 Menschen getötet und über zweitausend verletzt. Laut Reuters hat die Polizei wahrscheinlich auch scharfe Munition eingesetzt, mindestens 33 Demonstranten sollen erschossen worden sein. 

Ein Doppelbelichtungsbild zeigt das Parlamentsgebäude Nepals, überlagert von der blutbefleckten Straße in der Nähe. © Amit Machamasi

"Proteste finden in Nepal häufig statt, dieser war jedoch der bei weitem gewalttätigste: Menschen starben, historische und ikonische Gebäude, in denen einst die Legislative, Exekutive und Judikative untergebracht waren, wurden niedergebrannt", sagt Amit Machamasi. Die Bewegung hätte ihre Dynamik erst durch Social-Media-Posts erhalten, die sich mit den sogenannten Nepo-Kids befassten, den Kindern von Politikern, die online mit ihrem luxuriösen Lebensstil prahlten, berichtet der Fotograf.  

Ein Demonstrant hält eine Buddha-Statue in den Händen, die er während der Plünderung am 9. September aus dem Parlamentsgebäude mitgenommen hat. © Amit Machamasi

Nepals Premier trat schließlich zurück, kommenden März soll es Neuwahlen geben, und die Netzwerksperren wurden aufgehoben. 

Bangladesch: Die Regierung wurde zu autoritär

Weil die Regierung 30 Prozent der Stellen im öffentlichen Dienst zukünftig nach Quoten und nicht nach Leistung vergeben wollte, gingen Bangladeschs Studentinnen und Studenten im August 2024 auf die Straße. Sie fürchteten, dass die Verteilung der meist gut bezahlten Stellen im Staatsdienst zugunsten der Regierungselite ginge. Der Protest wurde schnell einer gegen die langjährige Premierministerin Scheich Hasina, die Oppositionelle verfolgen ließ. 300 Menschen starben bei den Demonstrationen. 

Antiregierungsdemonstranten zeigen die Nationalflagge Bangladeschs, als sie am 5. August 2024 den Palast von Premierministerin Scheich Hasina in Dhaka stürmen. © K M Asad

Auch KM Asad hat die bei den Demonstrationen eingesetzten Sicherheitskräfte als ausgesprochen brutal erlebt. Es hätte ihm gezeigt, "wie Macht oft mit Gewalt auf die Wahrheit reagiert", erzählt der Fotograf. 

Ein Demonstrant und viele Polizisten: Dhaka am 31. Juli 2024 © K M Asad

Die Armee stellte sich irgendwann auf die Seite der Demonstranten, Hasina floh aus dem Land. Heute hat Bangladesch eine Übergangsregierung, an der auch junge Oppositionelle beteiligt sind. Doch unter ihr ist die Sicherheitslage im Land schlechter geworden, berichtet KM Asad, "überall gibt es Raubüberfälle". Die Menschen seien sehr verängstigt.

Sri Lanka: Wirtschaftskollaps führt zu Massenprotest

Sri Lankas Dauerproblem der Korruption gepaart mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft hat das Land 2022 in eine tiefe politische Krise geführt. Die Coronapandemie hatte den Tourismus abgewürgt, der Staat war zahlungsunfähig, die Inflation hoch. Der Import von Benzin sowie von lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und Medikamenten war nicht mehr finanzierbar. 

2022 wurde in Sri Lanka wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise über einen langen Zeitraum demonstriert, die Aufnahme zeigt das Gotagogama-Protestcamp in Colombo. © Tashiya De Mel

Die Krise hatte zu monatelangen Protesten geführt, die im Sommer 2022 den Sturz des Präsidenten zur Folge hatten, dem die Misswirtschaft angekreidet wurde. Die Protestbewegung bestand in der Mehrheit aus jungen Männern und Frauen. Sie hatte großen Rückhalt in der Bevölkerung. "Die Menschen waren sehr empört", berichtet die Fotografin Tashiya De Mel. Dennoch seien die Proteste größtenteils gewaltfrei und friedlich gewesen. 

Antiregierungsdemonstration im Sommer 2022 in Colombo © Tashiya De Mel

Irgendwann waren auch nicht mehr nur junge Leute auf der Straße, es sei eine schöne Mischung aus verschiedenen Altersgruppen gewesen. "Es gab zwar einige Zwischenfälle, viele davon wurden aber vom Militär provoziert, worauf die Menschen dann reagierten", erzählt De Mel. Im Herbst 2022 wurde schließlich eine zentrale Forderung der Protestbewegung erfüllt, indem über eine Verfassungsreform die Macht des Präsidenten beschnitten wurde. 

Die Bilder von Unzufriedenen aus den Städten des Globalen Südens verbreiten sich über die sozialen Medien rasant – und sie befruchten die Proteste gegen lokale Missstände. Das zeigt sich gerade wieder in Peru: Dort hatten zunächst junge Aktivistinnen und Aktivisten der Gen Z über soziale Medien zu den Kundgebungen gegen die Kriminalität aufgerufen, später schlossen sich Gewerkschaften und Studentenorganisationen an. Am Dienstag hat Übergangspräsident José Jerí für die Hauptstadt Lima und den benachbarten Hafen von Callao als Reaktion auf die gewaltsame Ausschreitung einen Ausnahmezustand ausgerufen.
   

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