Pressestimmen zum neuen EU-UK-Abkommen: »Neustart« oder »Betrug am Brexit«

vor 8 Stunden 1

Die ersten Bewertungen machten schon die Runde, da waren die verschiedenen Vereinbarungen zur Wiederannäherung der EU und Großbritannien noch gar nicht offiziell verkündet. Eine Vertreterin eines schottischen Fischerei-Lobbyverbandes warf der Regierung in London etwa die »totale Kapitulation vor der EU« vor.

Ganz anders die Verantwortlichen hinter den Vereinbarungen: Der britische Premierminister Keir Starmer sprach von einer »neuen Ära in unserer Beziehung«, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von einem »historischen Moment«.

Tatsächlich ist der seit Jahren dauernde Streit über die Fischereirechte rund um die britischen Inseln nur ein Aspekt der umfangreichen Vereinbarungen zwischen London und Brüssel. Und die werden auf beiden Seiten des Ärmelkanals meist deutlich differenzierter bewertet. Schließlich sollen perspektivisch auch die britische Wirtschaft und Touristen von den Deals profitieren. Eine Analyse lesen Sie hier. 

»Die Vereinbarung ist kein massiver Ausverkauf.«

»Financial Times«

»Die Vereinbarung ist kein massiver Ausverkauf. Es ist auch kein großes Geschäft. Es ist jedoch – wie die jüngsten Handelspakte des Vereinigten Königreichs mit Indien und den USA – ein lohnender Schritt«, kommentiert die »Financial Times «. Die Bedeutung des Abkommens sei vor allem »symbolisch«, so die Wirtschaftszeitung. »Das erste große Abkommen Großbritanniens mit der EU seit dem Brexit ist eine Anerkennung der Tatsache, dass es im Interesse beider Seiten liegt, enger zusammenzuarbeiten.«

»Letztendlich wird dieser Neustart daran gemessen, ob er in den wichtigen Fragen der Einwanderung und der Wirtschaft Bestand hat«, schreibt auch die »Times«. »Klar ist, dass damit nun einige Handelshemmnisse beseitigt werden, vor allem bei Lebensmitteln, und dies kurzfristig zu einem moderaten Wachstumsschub führen wird. Zudem werden Sommerurlauber sicherlich die Erleichterungen durch die Rückkehr der elektronischen Passkontrolle begrüßen.« Zugleich warnt das Blatt, London dürfe sich nicht zu eng an Brüssel binden. »Freiere Handelsbeziehungen mit der EU sind natürlich wünschenswert, aber Großbritannien darf dabei nicht in das Kraftfeld Brüssels geraten, wenn es um künftige EU-Vorschriften geht.«

»Betrug am Brexit.«

»The Sun«

Die Boulevardzeitung »The Sun «, die die Leave-Kampagne in der Vergangenheit nach Kräften unterstützt hatte, sieht einen »Betrug am Brexit«. Premier Starmer habe einem Abkommen zugestimmt, dass es ausländischen Trawlern erlaube, »die britischen Gewässer zu plündern«, so das Blatt. Es handle sich um eine »demütigende Kapitulation«, Starmer sei übertölpelt worden.

Völlig anders sieht es eine Kolumnistin im »Guardian«. »Dieses neue EU-Abkommen ist großartig für Großbritannien«, heißt es dort. »Wir sind endlich auf dem Weg, den kolossalen Schaden zu beheben, den der Brexit angerichtet hat.«

Und auch das Fazit bei der Boulevardzeitung »Daily Mirror«, die traditionell der Labour-Partei nahesteht, fällt sehr positiv aus. »Starmer beendet pragmatisch einige der vielen Albträume, die der verlogene Betrüger Boris Johnson mit seinem schlechten Brexit verursacht hat. Ende der Geschichte«, heißt es dort in einem Meinungsstück. Die Beziehungen mit Brüssel müssten noch deutlich enger werden: »Es ist schade, dass der Premierminister sich nicht darauf vorbereitet, Großbritannien wieder in den Binnenmarkt, die Zollunion und die Europäische Union selbst zu bringen, wenn der beste Deal für unser Land die Mitgliedschaft war.«

Auch kontinentaleuropäische Medien kommentieren das Abkommen.

Das Abkommen lege »den Grundstein für eine intensive Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit sowie für eine harmonisierte Rüstungsproduktion«, schreibt die italienische Tageszeitung »Repubblica«. Zwar seien die britischen Zugeständnisse an die EU in puncto Fischereirechte »eine bittere Pille, aber im Gegenzug erhielt London erhebliche Zugeständnisse bei den Zoll- und Pflanzenschutzkontrollen für landwirtschaftliche Lebensmittel und Vieh«.

Für die »Süddeutsche Zeitung« zählt die Außenwirkung der Vereinbarung. »Ob die mühevoll ausgehandelten Details des umfassenden Abkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU in der Praxis so gut funktionieren, wie sie in der Theorie teils klingen, das natürlich weiß noch niemand – für den Moment aber ist ohnehin etwas anderes entscheidend.« Die Annäherung sei »auch ein wichtiger Erfolg politischer Diplomatie«.

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