Portugal: Konservative und Rechte gewinnen die Parlamentswahl

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Am größten Verkehrsknotenpunkt von Lissabon ist bereits vor mehreren Tagen eine riesige Bühne aufgebaut worden. Das wichtigste Ereignis des Wochenendes sollte dort gewürdigt werden. Doch wer dachte, dieses Ereignis wären die für Sonntag angesetzten Nationalwahlen, lag falsch. Die Bühne war bereitet, um den diesjährigen Fußballmeister zu feiern.

So kam es, dass am Kreisverkehr Marquês de Pombal in der Nacht zum Sonntag die Fans von Sporting Lissabon ihre Mannschaft und den Triumph über Benfica bejubelten. Sogar am Wochenende der Nationalwahlen weckte der Fußball mehr Emotionen als die Politik. Das war dieser Tage auch spürbar in Gesprächen mit Menschen auf der Straße, im Bus, in Gaststätten. Oft war zu hören, dass sich sowieso nichts ändere, dass es niemanden gebe in diesem Land, der die wichtigen Dinge anpacke, Wohnungsnot, Gesundheitssystem, Gehälter und neuerdings auch die Einwanderung.

:Parlament stürzt die Regierung in Lissabon

Portugal steuert auf die dritten Neuwahlen in vier Jahren zu. Regierungschef Luís Montenegro verliert das Vertrauen des Parlaments, weil dubiose Geschäfte mit einer familieneigenen Beratungsfirma ans Licht gekommen sind.

Wählerumfragen verströmten zusätzliche Langeweile. Sie sahen ähnliche Ergebnisse vorher wie bei der vorangegangenen Wahlen, die erst vor gut einem Jahr stattgefunden hatten. Nicht nur war die Bevölkerung innerhalb von 14 Monaten zum zweiten Mal zu den Urnen gerufen worden. Es war auch das dritte Mal seit 2022.

Als am Sonntag gewählt wurde, gab es dann doch Überraschungen: Die Beteiligung war höher als in den vergangenen Jahren. Der Sieg des konservativen Bündnisses Aliança Democrática fiel deutlicher aus, als es Wahlforscher vermutet hatten. Das Bündnis der Partei des bisherigen (und künftigen) Premierministers Luís Montenegro PSD mit einer konservativen Splitterpartei errang 33,6 Prozent der Stimmen.

Über den Erwartungen lag auch das Ergebnis der Rechtspopulisten. Deren Partei Chega (auf Portugiesisch: „Es reicht“) konnte 22,9 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die Sozialisten des Partido Socialista (PS), die das Land bis 2022 noch mit absoluter Mehrheit regiert hatten, mussten eine weitere herbe Niederlage einstecken und blieben mit 23,2 Prozent fast fünf Punkte hinter ihrem Ergebnis von 2024. Im Verlauf der Auszählung sah es zeitweise sogar so aus, als müssten sie sich mit Platz drei begnügen, hinter AD und Chega. Über Totenstille und leere Sitzplätze berichteten Journalisten von der Wahlparty der Sozialisten am Sonntagabend.

Leichte Zugewinne konnten die Parteien IL (Liberale Initiative) verzeichnen, die etwa mit der deutschen FDP vergleichbar ist, sowie die junge Partei Livre (Frei), die links der Sozialisten steht und soziale Themen aufgreift, aber anders als andere europäische Linksparteien Nato, Ukraine und EU unterstützt.

Luís Montenegro, der bisherige Premier und Anführer des siegreichen Bündnisses AD, versprach noch am Wahlabend „Stabilität“. Ein Bündnis mit den Rechtspopulisten, vergleichbar einer Koalition aus Union und AfD in Deutschland, schließt er weiterhin aus – obgleich ihn das wie bisher in eine Minderheitsregierung zwingt, denn auch ein Bündnis mit den Liberalen IL reicht nicht für eine Mehrheit unter den 230 Abgeordneten der Assembleia da República.

Montenegro hat sich befreit

Für Montenegro ist das Wahlergebnis indes nicht nur ein politischer, sondern auch ein persönlicher Erfolg. Es hat sich damit von einer Korruptionsaffäre befreit, die ihn im vergangenen Jahr in Bedrängnis gebracht hatte. Eine von ihm gegründete Beratungsfirma, zu deren Kunden eine Casino-Betreibergesellschaft gehörte, hatte er vor seinem Amtsantritt an seine Frau und seine Kinder überschrieben. Doch die Beraterhonorare flossen weiter, obwohl seine Familienmitglieder mit dem Geschäft nichts zu tun haben. Die Firmenanschrift blieb seine Privatwohnung.

Einen von der Opposition geforderten Untersuchungsausschuss hatte Montenegro verweigert und es stattdessen im März im Parlament zur Nagelprobe kommen lassen: Er verlor sehenden Auges eine Vertrauensabstimmung. Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa rief Neuwahlen aus. „Es war seine einzige Option“, sagt der Lissabonner Politologe António Costa Pinto. Montenegros Strategie, sich per Neuwahlen von Verstrickungen zu lösen und neu zu legitimieren, ist an diesem Sonntag aufgegangen. Auch mögliche weitere Enthüllungen zu Montenegros Geschäften dürften damit uninteressant geworden sein. „Zudem ist seine Partei fest um ihn geschart“, sagt Costa Pinto.

Dass Schmutzeleien, wie man solche Kontakte und Geschäfte in Bayern gelegentlich nennt, die portugiesische Bevölkerung nicht nachhaltig empören, haben mittlerweile auch die Rechtspopulisten gemerkt. Im vergangenen Jahr hatten sie die vermeintliche Korruption der etablierten Parteien zu ihrem wichtigsten Wahlkampf-Thema gemacht. In diesem Jahr setzten sie vor allem auf das Thema Einwanderung und Xenophobie. „Portugal retten“, war ihr Slogan in einer Kampagne, die sowohl die tatsächlich stark zugenommene Migration aus Südasien angriff als auch die Roma-Gemeinden im eigenen Land. Letztere hatten mit Demonstrationen reagiert.

Staatspräsident Rebelo de Sousa mahnte indes am Vorabend des Wahltags, an der Wahl teilzunehmen, da die Welt „komplexer und unvorhersehbarer“ geworden sei. Nicht zu wählen sei wie den Kopf in den Sand zu stecken. Die Rückkehr von Trump an die Macht und die neue Weltlage habe ein Szenario der „Unvorhersehbarkeit in der internationalen Wirtschaft“ geschaffen. Das verlange von Europäern und somit auch Portugiesen eine größere Verantwortung.

Doch ist fraglich, ob Portugals Bevölkerung ihre Entscheidung am Sonntag von der Weltlage abhängig gemacht hat. „Außenpolitik ist in Wahlkämpfen selten ein Thema“, sagt Patricia Daehnhardt, Expertin für Internationale Beziehungen der Neuen Universität Lissabon. Themen wie Wohnungsbau lägen den Portugiesen näher, so auch die massenhafte Umwandlung traditioneller Wohnungen in Ferien- oder Luxusimmobilien reicher Ausländer.

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