Der „Kampf um alles“ habe begonnen, schrieb der polnische Ministerpräsident Donald Tusk kurz nachdem die ersten Ergebnisse der Nachwahlbefragung, sogenannte Exit Polls, zu den Präsidentschaftswahlen bekannt wurden. „Es liegt noch viel Arbeit vor uns“, sagte im südpolnischen Sandomierz sein Kandidat Rafał Trzaskowski auf einer Wahlparty. Der 53-jährige liberale und proeuropäische Warschauer Bürgermeister ist die Hoffnung von Tusks Regierung. Diese wird bislang häufig bei der Gesetzgebung vom PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda blockiert. Der durfte nach zwei Amtszeiten nun nicht mehr antreten.
Im ersten Wahlgang hat Trzaskowski nun wie erwartet die meisten Stimmen erhalten. Nicht erwartet wurde, dass der Kandidat der rechtsnationalistischen PiS-Partei Karol Nawrocki ihm so dicht folgen würde. Damit wird die Stichwahl am 1. Juni ein sehr enges Rennen. Eine weitere Überraschung des Abends ist das insgesamt sehr starke Abschneiden rechtsextremer Kandidaten.
Von 7 bis 21 Uhr hatten am Sonntag die Wahllokale in Polen für etwa 29 Millionen Wahlberechtigte geöffnet. Das offizielle Wahlergebnis soll erst am Montag im Laufe des Tages bekannt gegeben werden. Kurz nach Mitternacht gab es immerhin neue Ergebnisse der Exit Polls vom Institut Ipsos. Demnach verbesserte sich das Ergebnis von Rafał Trzaskowski im Vergleich zu den ersten Prognosen des Abends leicht auf 31,1 Prozent. Der Abstand zum zweitplatzierten Karol Nawrocki wuchs, dieser erhielt demnach 29,1 Prozent der Stimmen.

Der 42-jährige Historiker Nawrocki ist parteiloser Kandidat der rechtsnationalistischen PiS-Partei. Trzaskowski ist Mitglied in der Partei Bürgerplattform (PO) von Premier Donald Tusk. Die Wahlbeteiligung war mit fast 67 Prozent sehr hoch, höher als in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im Corona-Sommer vor fünf Jahren. Schon damals hatte Trzaskowski kandidiert, gegen Andrzej Duda. Trzaskowskis Ergebnis in der ersten Runde war damals etwas schlechter gewesen, bis zur Stichwahl hatte er fast zehn Prozentpunkte aufgeholt und unterlag Duda letztlich knapp.
Duda hatte noch am Mittwoch im Präsidentenpalast in Warschau den rumänischen rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten George Simion empfangen. Simion unterlag am Sonntagabend bei der Stichwahl in Rumänien dem proeuropäischen Bürgermeister von Bukarest, Nicușor Dan.
Ob es sein liberaler Kollege Trzaskowski es in Polen auch schaffen kann, wird auch von den Wahlempfehlungen der anderen Kandidaten abhängen. Eine hat Trzaskowski schon erhalten.
Insgesamt waren 13 Kandidaten angetreten. Neben Trzaskowski gehören noch zwei weitere Kandidaten Parteien der Regierungskoalition an. Sowohl der zentristische Szymon Hołownia als auch die Kandidatin der Linken, Magdalena Biejat, blieben deutlich unter den Erwartungen, erreichten nur den fünften und sechsten Platz. Gemeinsam erhielten sie gerade neun Prozent der Wählerstimmen. Damit dürften deren Parteien innerhalb der Regierung geschwächt sein. Hołownia immerhin rief kurz nach Bekanntgabe der Prognosen dazu auf, Trzaskowski „eine Chance zu geben“. Biejat sagte, sie wolle sich erst einmal mit Trzaskowski unterhalten.

Doch wen kann der Kandidat der PiS-Partei mobilisieren? Laut den kurz nach Mitternacht veröffentlichten Ergebnissen der Nachwahlbefragungen erhielt der rechtsextreme Sejm-Abgeordnete Sławomir Mentzen 14,8 Prozent der Stimmen, liegt damit auf Platz 3. Mentzen will aus der EU austreten und das ohnehin strenge Abtreibungsrecht in Polen noch verschärfen – so soll auch nach Vergewaltigungen kein Abbruch möglich sein. Gefolgt wird Mentzen in den Befragungen von dem Rechtsradikalen Grzegorz Braun mit 6,3 Prozent. Ein so gutes Ergebnis hatten die Umfragen nicht vorausgesehen.
Braun störte den Tag des Amtsantritts der Regierung Tusk im Dezember 2023 im Sejm, als er auf einen eben entzündeten Chanukka-Leuchter mit einem Feuerlöscher losging. Im Wahlkampf ließ er sich dabei filmen, wie er eine Ausstellung über die LGBT-Community auf dem Marktplatz von Opole mit schwarzer Farbe besprüht.
Vergangenen Juni wurde Braun ins Europaparlament gewählt. Dieses hob kürzlich seine Immunität auf. Der 58-Jährige kann nun unter anderem wegen der Beschädigung des Chanukka-Leuchters angeklagt werden. Außerdem hatte er den Weihnachtsbaum der Richtervereinigung Iustitia in einem Krakauer Gericht zerstört und die Tonanlage im Deutschen Historischen Institut Warschau beschädigt.
Der 38-jährige Betriebswirt Mentzen, der vor allem von Männern und vor allem in der Altersgruppe 19 bis 39 gewählt wurde, hat noch keine Wahlempfehlung abgegeben. Vor der Wahl hatte er gesagt, er werde Nawrocki nicht unterstützen. Mentzens Wählerschaft ist deutlich jünger und etwas städtischer als die Nawrockis. Die PiS-Partei gilt, wie die Umfragen erneut zeigen, zu Recht als Alte-Leute-Partei. Die meisten Stimmen erzielte Nawrocki bei den Über-60-Jährigen sowie auf dem Land und in den östlichen Woiwodschaften, also Verwaltungsbezirken. Auch Nawrocki wird stärker von Männern gewählt.
Trzaskowski hingegen, der in zehn von 16 Woiwodschaften gewann, hat die meisten Wähler bei den 40- bis 59-Jährigen, statistisch sind es mehr Frauen, vor allem Menschen in Städten - auch kleineren - und mit hohen Bildungsabschlüssen. Nun muss Trzaskowski allerdings noch einen großen Teil der anderen erreichen.