Die Veröffentlichung des Albums „Geteiltes Leid 3“ im Jahr 2012 mitsamt der ersten Auskopplung daraus, „Für die Ewigkeit“, stellt in vielerlei Hinsicht einen besonderen Moment im Werdegang von Moses Pelham dar.
Wie der Titel des Langspielers andeutet, war dieser Abschluss einer Trilogie, die eigentlich nicht als solche geplant war. Als im Jahr 1998 „Geteiltes Leid 1“ das Licht der Welt erblickte, sollte „Geteiltes Leid 2“ eigentlich das parallel dazu erscheinende Album von Thomas Hofmann werden, dem anderen Teil des Rödelheim Hartreim Projekts, das Pelham und er kurz zuvor beendet hatten. Zu Hofmanns Album kam es nie, sodass der zweite Teil der Reihe 2004 ebenfalls Pelhams Werk wurde. Sein Label 3p war in den Jahren zuvor Sprungbrett und Heimat zahlreicher anderer Künstler gewesen, deren Musik meist auch von ihm und seinem langjährigen musikalischen Partner Martin Haas produziert wurde.
Enttäuscht von Weggefährten
Während des Entstehens von „Geteiltes Leid 3“ war die (Musik-)Welt für den Frankfurter indes eine andere. Im Jahr 2008 fasste er den Entschluss, keine Alben Dritter mehr zu produzieren oder zu releasen – zu häufig war er enttäuscht von der Durchführung, der Resonanz oder der fehlenden Konsequenz mancher, denen 3p eine Plattform gegeben hatte. Gleiches galt für seine Rolle abseits des kreativen Schaffens, in die er sukzessive hineingerutscht war, um auch anderen die Möglichkeiten zu geben, die er sich erkämpft hatte. Pelham kündigte an, „auf eine Reise zu gehen“, verschwand für eine Weile aus der Öffentlichkeit und kam schließlich mit einem Album seiner Band Glashaus zurück, das sinnbildlich „Neu“ hieß. Von nun an sollte 3p nur noch für das zuständig sein, wofür es gegründet worden war, nämlich die Kunst von Moses Pelham – also seine eigenen und Glashaus-Platten. Lediglich eine Ausnahme sollte es geben.
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Noch mehr zeigten sich die eingetretenen Veränderungen auf „Geteiltes Leid 3“, das mit drei Jahren Produktionsdauer und ganzen acht Jahren seit Pelhams letztem Soloalbum allein zeitlich lange gereift war. Als erste Single erschien im Oktober 2012 „Für die Ewigkeit“, das schon musikalisch anders anmutete: Waren die meisten Titel auf „Geteiltes Leid 2“ noch – ganz im Zeichen ihrer Zeit – ausladende Rapstücke mit bis in die letzte Nuance ausproduzierten Beats, so klang „Für die Ewigkeit“ purer und zeichnete sich durch die Verwendung echter Instrumente aus, so wie alle Lieder der LP.
Bewunderung für die Böhsen Onkelz
Prägnantestes Element in „Für die Ewigkeit“ ist gleichwohl der Refrain, ein Sample aus dem Böhse-Onkelz-Titel „Koma – Eine Nacht, die niemals endet“. Auch das Instrumental des Stücks wurde adaptiert. Seit Beginn seiner Karriere ist Moses Pelham bekennender Anhänger der Band und betonte immer wieder deren Bedeutung für seine Entwicklung, weil sie es gewesen sei, die demonstriert hätte, dass auch ernsthafte Texte in der deutschen Sprache möglich sind – was Pelham einst dazu bewegte, statt auf Englisch auf Deutsch zu schreiben.
Die Referenzen an die Gruppe in „Für die Ewigkeit“ sind nicht die ersten in einem 3p-Titel; eine Besonderheit ergab sich allerdings in der Verarbeitung des Refrains: Die Originalaufnahme von „Koma“ war Mitte der Neunzigerjahre mit einer Bandmaschine erfolgt, die nirgendwo mehr benutzt wurde – und das bei den Onkelz noch vorhandene Exemplar war funktionsunfähig. Eigens für Pelham wurde das Gerät wieder zum Laufen gebracht, um die Originalspur extrahieren zu können.
Nicht Pein, sondern Prüfung
Sein eigener Text in „Für die Ewigkeit“ bekundet die Reifung des Künstlers und des Menschen Moses Pelham. Darin findet eine abstrakte Betrachtung von Geschehnissen und eigenen Fehlern statt, samt dem Versuch, diese zu erklären. In der ersten Strophe gibt es eine Bestandsaufnahme, ein Panorama der eigenen Perspektive und Gefühlswelt, in der zweiten eine Ursachenforschung und in der dritten eine Analyse der Wirkungen, positiven wie negativen. Beim Blick auf persönliche oder geschäftliche Konflikte in Pelhams Laufbahn ist man geneigt, vor allem diese zu assoziieren; das Destillat des Textes liegt derweil in der generellen Erkenntnis, dass Auseinandersetzungen besser identifiziert werden sollten, um sie zu meiden oder zumindest im Nachhinein den (fehlenden) Sinn darin zu erkennen.
Pelhams Verse sind nicht mehr so konfrontativ wie einst, sondern selbstkritischer, konstruktiver und enthalten sogar entschuldigende Passagen.
Hört man die „Geteiltes Leid“-Trilogie komplett nacheinander, wird diese Transformation besonders deutlich. Ist „Geteiltes Leid 1“ noch im wahrsten Sinne von Leid durchzogen, von Verteidigungshaltung und Verständnissuche, so finden sich bereits auf dem zweiten Teil der Reihe optimistischere Tendenzen, vor allem in dem Song „Ein schöner Tag“. Auf dem dritten Album wird Pelhams Genese dann durchweg offensichtlich, man hört einen Mann, der Schwierigkeiten nicht mehr nur als Pein, sondern als Prüfung ansieht und dankbar für das ist, was er bereits erhalten hat. Seine überlegtere und bejahende Art führte wohl auch zu einer spürbar veränderten Wahrnehmung seiner Person in der Öffentlichkeit, gerade durch seine Auftritte in den TV-Formaten „ X Factor“ und „Sing' meinen Song“.
Der Konflikt mit Xavier Naidoo
Die Weiterentwicklung in Pelhams Musik wurde auch dadurch erkennbar, dass er nur noch selten Battlerap-Stücke schrieb. In seinem Tagebuch, das er damals auf der 3p-Homepage unterhielt, berichtete er zur Zeit des Entstehens von „Geteiltes Leid 3“ vom Verwerfen eines derartigen Titels, weil er etwas suchte, „irgendwas das turnt, hilft und vernünftig ist – das du auch noch hören willst, wenn du 50 bist“. Auch die Platte ist dann letztlich von Vernunft und Empathie geprägt. Nach der Veröffentlichung erwähnte Pelham mehrmals, dass das Album während der Produktion den Untertitel „Vom Durchbrechen des Teufelskreises“ trug; der Wandel, den er als Musiker und Mensch durchlief, war ihm demnach bewusst.
Die Tragweite des Moments zeigte sich fast noch intensiver im Video zu „Für die Ewigkeit“. Darin streift Pelham durch das nächtliche Frankfurt und dessen Umgebung, passiert dabei alte Weggefährten, und immer wieder werden Fragmente früherer Musikvideos mit eben diesen Personen eingespielt. Als der Refrain zum zweiten Mal endet, taucht zum Beispiel Xavier Naidoo hinter Pelham auf. Dem Sänger hatte er einst zum Durchbruch verholfen, indem er und Martin Haas dessen Album „Nicht von dieser Welt“ produzierten und über 3p veröffentlichten. Dann kam es zum Bruch aufgrund von Naidoos Engagement bei seiner Heimatband Söhne Mannheims. Es folgten ein langwieriger Rechtsstreit und fast zwölf Jahre, in denen die beiden außerhalb von Gerichtssälen nicht miteinander sprachen.
Nur nichts künstlich in die Länge ziehen
Durch einen gemeinsamen Freund, den Komponisten Richard Geppert, fanden sie gegen Ende der Produktion von „Geteiltes Leid 3“ dann wieder zusammen – ein Ereignis, das unmöglich schien, für Pelham eine herausragende menschliche Erfahrung. Kurz vor Abgabe des Albums wurde sogar noch dessen letztes Stück neu mit Naidoo aufgenommen, „Halt aus“, das die Trilogie abschloss. In der Folge produzierte er dann doch noch mal ein Album eines anderen Künstlers, für das er auch einen Großteil der Texte schrieb: Xavier Naidoos „Nicht von dieser Welt 2“.
Nach der Veröffentlichung von „Geteiltes Leid 3“ äußerte Moses Pelham, dass er, sofern dies seine letzte Platte wäre, damit im Reinen sei, glücklich sogar, weil sie einen guten Abschluss bilde. Seitdem sind drei weitere Langspieler und ein Glashaus-Album hinzugekommen.
Anfang 2025 erscheint nun das erklärtermaßen finale Album von Moses Pelham. „Letzte Worte“ wird es heißen, im Dezember geht er ein letztes Mal auf Tour. Ob es „nur“ das Ende seiner Karriere als Solokünstler ist, er weiterhin als Produzent tätig bleibt oder gar neues Glashaus-Material möglich ist, hat er bisher nicht kommentiert. Der Schritt des 53 Jahre alten Musikes ähnelt jedenfalls dem planmäßigen und konsequenten Ende des Rödelheim Hartreim Projekts vor fast dreißig Jahren – und ist nicht nur Ausdruck des Bewusstseins über die vermeintlichen Grenzen der eigenen Fähigkeiten in der Zukunft, sondern auch über die Ästhetik eines abgeschlossenen, nicht künstlich in die Länge gezogenen Werks.
Mit Pelhams letztem Soloalbum endet wohl nicht nur ein Stück deutscher Rap-Geschichte und jene eines Künstlers, der für viele andere Vorbild in Sachen künstlerischer Unabhängigkeit war. Durch sein Abdanken – zumindest von eigenen Rap-Stücken – verliert das Genre in Deutschland zudem seine lyrisch vielleicht talentierteste Persönlichkeit. Pelhams Detailverliebtheit, Wortgewalt und Tiefe werden fehlen – und doch auch irgendwie nicht, schließlich hat er selbst aufgezeigt, welchen Wert es hat, das zu schätzen, was man erhalten hat. Sein Werk, es wird bleiben – oder wie er in „Für die Ewigkeit“ so treffend sagt: „Vita brevis, motherfucker – ars longa.“
„Für die Ewigkeit“ von Moses Pelham
Mach das etwas lauter, das hier muss durch die Wände dringen
Die denken ich sei Autor, dabei ist das mehr wie Channeling
„Einer muss hier Büßen“, sagt die Stimme und das sei ich
Fühl' unter meinen Füßen wie das dünne Eis bricht
Doch warte, so komm ich immerhin zu Riesenzeilen
Und als ich sagte, dass es schlimmer ging, war dies hier, was ich meinte
Das's mein letztes Bier, ich such nach Liebe jetzt und hier
Ich hör mich schlaue Dinge sagen und die Bibel rezitieren
Ich seh den schmalen Grat die Klinge und wie die Brücken brachen am
Tag, an dem sie gingen und mich zurückgelassen ham'
Ich kann die verdammte Schwäche des Geduldsfadens spüren
Und sehen wie ich das Messer an die Pulsadern führ
Ich sinke ins Nichts, in endlose Leere
Nur dunkles Geheimnis, erdrückende Schwere
Ich träume wahnsinnige Träume von Gnade und Verzeihen
Erhabene Momente für die Ewigkeit
Mea culpa - da sind Blut, Leid und Tränen
An denen ich Schuld hab, so leicht hier zu weit zu gehen
Ich wollt' alles und sofort und wurd auf einmal zorniger
So kam ich an den Ort, an dem keiner vor mir war
Die Schisser hatten Schiss, Mann, es war jeder gegen jeden
Es ist halt wie es ist, so wie Hater eben haten
Und die da draußen, die auf'n anderes Opfer warten
Kriegen genau das was sie brauchen, die verdammten Soziopathen
Das's für uns, ich arbeit für Brüderlichkeit
Das's Kunst, die Wahrheit wie sie'n Lügner nicht schreibt
Sie überlebt das, denn es ist hart aber schon wahr
Vita brevis, Motherfucker, ars longa
Ich sinke ins Nichts, in endlose Leere
Nur dunkles Geheimnis, erdrückende Schwere
Ich träume wahnsinnige Träume von Gnade und Verzeihen
Erhabene Momente für die Ewigkeit
Wo ich bin? Mann, ich hab' wirklich keine Ahnung
Nimm dir das als Warnung, bitte nimm dir das als Mahnung
Das ist witzig so im Vers in Fabeln und Prosa
Doch wenn es dich trifft, wird es ernst wie Gabeln in Toastern
Und alle Hoffnung, die ich habe, ist ich kämpf dagegen an
Nicht Wochen und nicht Jahre, dieses Menschenleben lang
An den Händen dieses Blut und dann die ständigen Leiden
Am Ende siegt das Gute, das kann das Ende nicht sein
Kommt jetzt der Tod oder das Leben? Mann, dieser Hass, was lieb' ich mehr
Das kann man so und so verstehen wie, dass ich dir den krieg erklär'
Und falls ich's schaff' sag' ich dir: "Liebe selbst deinen Mörder
Mit aller Kraft“, das sind die sieben letzten Wörter
Ich sinke ins Nichts, in endlose Leere
Nur dunkles Geheimnis, erdrückende Schwere
Ich träume wahnsinnige Träume von Gnade und Verzeihen
Erhabene Momente für die Ewigkeit