Viele Beschwerden, wenige Verfahren – und noch keine Bußgelder. So lässt sich der erste Tätigkeitsbericht des Digital Services Coordinator (DSC) zusammenfassen. Seit das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) Mitte Mai in Kraft getreten ist, fungiert diese Koordinationsstelle bei der Bundesnetzagentur als zentrale Plattformaufsicht für Deutschland. Sie ist gemeinsam mit weiteren zuständigen Ämtern wie Landesmedienanstalten oder der Bundesdatenschutzbehörde dafür zuständig, die Einhaltung des Digital Services Act (DSA) der EU hierzulande sicherzustellen.
2024 verzeichnete die mit Startschwierigkeiten behaftete Koordinationsinstanz, die seit Juli mit Johannes Heidelberger ein Digitalisierungsexperte der Bundesnetzagentur leitet, laut dem jetzt veröffentlichten Bericht 884 Eingänge über das DSC-Beschwerdeportal. Bei 824 Fällen handelte es sich um Eingaben nach Artikel 53 DSA, also um solche, die einen möglichen Verstoß gegen das Plattformgesetz anzeigen.
60 Eingänge über das Beschwerdeportal hatten keinen Bezug zum DSA. Für Einzelfälle wie üble Beleidigungen oder einen Verkauf von Elektrogeräten ohne CE-Kennzeichen ist der Koordinator nicht zuständig. Er soll nur eingreifen, wenn solche Fälle vielfach vorkommen und ein "systemisches Versagen" vorliegen könnte.
Noch keine Ordnungswidrigkeitsverfahren
Von den Beschwerden nach Artikel 53 DSA leitete die Plattformaufsicht zwei an die Landesmedienanstalten weiter. Daneben schickte sie insgesamt 87 einschlägige Eingaben an Koordinatoren anderer EU-Mitgliedstaaten. 83 davon gingen nach Irland, wo die meisten großen US-Internetkonzerne ihren EU-Hauptsitz haben. Eine Beschwerde übermittelte der deutsche DSC per E-Mail an die EU-Kommission.
Der hiesige Koordinator erhielt im Berichtszeitraum parallel selbst sieben Beschwerden von DSCs anderer EU-Mitgliedsstaaten. Je zwei kamen aus Irland und den Niederlanden und je eine aus Finnland, Österreich und der Slowakei.
Bis Ende 2024 leitete der DSC insgesamt vier Verwaltungsverfahren gegen Diensteanbieter ein. Drei davon betrafen mögliche Mängel bei der Melde- und Abhilfepflicht (Artikel 16 DSA), der Begründung von Maßnahmen gegenüber Nutzern (Artikel 17 DSA) und dem internen Beschwerdemanagementsystem (Artikel 20 DSA). Eines dieser Verfahren beendete die Behörde bereits voriges Jahr, weil der betreffende Diensteanbieter die Mängel schnell behoben hatte. Die anderen zwei laufen noch, die Ermittlungen dauern an.
Das vierte Verfahren bezieht sich auf einen Diensteanbieter außerhalb der EU. Dieser hat es versäumt, einen gesetzlichen Vertreter in der EU zu benennen (Artikel 13 DSA). Ordnungswidrigkeitenverfahren sind noch keine anhängig, entsprechend hat der Koordinator auch noch keine Bußgelder etwa gegen Big-Tech-Konzerne verhängt. Ferner wirkte der DSC 2024 nach eigenen Angaben aktiv bei Verfahren der EU-Kommission gegen AliExpress, Temu, TikTok, und X mit.
Eigenes Meldeportal für Justiz und Verwaltung
Zusätzlich gingen bei der Regulierungsstelle 336 Beschwerden zu Digitalthemen ein, die beantwortet oder hausintern weitergeleitet wurden. Dabei handelte es sich nur teilweise um DSA-Fälle, bei denen der DSC die Einreicher auf das Beschwerdeportal verwies. Der Großteil dieser Eingänge betraf Verstöße gegen die Impressumspflicht oder den Datenschutz, Beschwerden über betrügerische Webseiten, Geschäftsmodelle oder Dienstleister. Dazu kamen Hinweise auf Abo-Fallen, Probleme bei der Abwicklung oder Aufhebung von Online-Käufen, Rufnummernmissbrauch sowie Ungereimtheiten mit Zugangsanbietern oder beim Hostproviderwechsel.
Artikel 9 und 10 DSA regeln, was Anbieter von Vermittlungsdiensten machen müssen, wenn sie von nationalen Justiz- oder Verwaltungsbehörden eine Anordnung erhalten. Dabei kann es sich um einen Verwaltungsakt oder eine gerichtliche Entscheidung handeln, gegen illegale Inhalte vorzugehen. Sobald ein Anbieter eine solche Verfügung erhält, muss er die ausstellende oder eine andere benannte Behörde informieren, ob und wann er sie umgesetzt hat.
Das Portal des DSC für die Übermittlung solcher Anordnungen steht Justiz- und Verwaltungsbehörden erst seit November zur Verfügung. Bis Ende 2024 gingen darüber 53 Verfügungen ein. Die meisten davon stammten von den Landesmedienanstalten und monierten rechtswidrige Inhalte wie Pornografie, sexuelles Missbrauchsmaterial zu Kindern, oder Hass und Hetze gemäß Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Eine Anordnung erging auf Basis des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes. Sehr genau setzten sich die Verfasser der Ersuchen offenbar nicht immer mit den Inhalten auseinander. In dem Bericht heißt es: "Einige der Angaben bestanden aus allgemein gehaltenen Textbausteinen."
Streit über Trusted Flagger
Daneben gibt es unverbindliche Lösch- und Auskunftsaufforderungen ("Referrals"). Die Landesmedienanstalten verschickten voriges Jahr 4225 solcher nicht mit Rechtswirkung versehenen Hinweise, die mit dem DSA zunächst nichts zu tun haben. Folgen die betroffenen Anbieter diesen Meldungen nicht, können die Medienwächter aber ein Verwaltungsverfahren einleiten und in diesem Rahmen eine DSA-Anordnung ausstellen.
Schon vor einem Jahr zertifizierte der DSC die User Rights als erste außergerichtliche Streitbeilegungsstelle. Im Oktober bestätigte er die Meldestelle REspect! bei der Jugendstiftung Baden-Württemberg als vertrauenswürdige Hinweisgeberin. Im Juni – also nicht mehr im Berichtszeitraum – erkannte der Koordinator auch den Bundesverband Onlinehandel, die Organisation HateAid und den Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) als "Trusted Flagger" an.
Die Rolle dieser Hinweisgeber ist umstritten, da sie Bedenken rund um die Meinungsfreiheit und die staatliche Kontrolle ausgelöst haben. Manchmal ist der Vorwurf der Zensur und mangelnder Unabhängigkeit zu hören. Diese sei aber die Voraussetzung für eine Tätigkeit als Trusted Flagger, betont die Regulierungsbehörde. Es handele sich auch "stets um Organisationen, die über besondere Sachkenntnis und Expertise im Erkennen und Melden rechtswidriger Inhalte verfügen". Deren Ziel ist es, Effizienz und Geschwindigkeit beim Entfernen illegaler Inhalte zu verbessern. Anordnungen können sie nicht erlassen.
Personal- und Sachkosten
Noch nicht ganz rosig ist dem Bericht zufolge die Personalsituation: In Summe stünden für die Aufgaben des DSC nach dem Entwurf des Haushalts 2025 insgesamt 47,8 Planstellen zur Verfügung. Die Finanzierung von Personaleinzelkosten und anteiligen Sachkosten für zehn davon sei im Entwurf zum Haushalt 2025 allerdings nicht enthalten. Sie könnten somit noch nicht besetzt werden. Mit dem Haushalt 2026 solle sich dies aber ändern.
Die für den DSC im DDG-Entwurf ausgewiesenen jährlichen Sachkosten in Höhe von 1,7 Millionen Euro stellte die Bundesnetzagentur über ihren Haushalt 2024 bereit. Die Mittel waren veranschlagt für den Betrieb und die Weiterentwicklung erforderlicher IT-Verfahren, die Nutzung von Software und Lizenzen, Forschung, Fortbildung, Schulungen, Netzwerkarbeit und die Durchführung von Konferenzen.
(vbr)