Christian Lindner steht im Wald. Ob es sich dabei um eine politische Metapher handelt, ist nicht überliefert. Allerdings dürfte der gerade noch amtierende FDP-Chef nicht zufällig ausgewählt haben.
Auf der Social-Media-Plattform Instagram hat Lindner seine Follower vor wenigen Tagen auf einen virtuellen Waldspaziergang mitgenommen. Er zeigt sich in halboffener Strickjacke, darunter ein weißes Hemd, den Dreitagebart trägt er etwas länger als sonst. Stilkategorie: FDP-Funktionär im Urlaub.
Dazu zwitschern Vögel, im Hintergrund eines schmalen Wegs breitet sich das Grün des Berliner Grunewalds aus. Die bildsprachliche Nachricht ist offensichtlich: Hier findet jemand gerade Ruhe und Entspannung. Obwohl er dabei so entspannt wirkt wie zwei Minuten vor der ersten Hochrechnung am Wahltag.
Funkstille beim Lautsprecher
Er habe „viel Freude an der neuen Freiheit“, behauptet Lindner und bemüht prompt die griechische Philosophie. Ein bisschen erinnere seine derzeitige Lage ja an Platons Höhlengleichnis, sinniert er: „Da gibt es die Menschen in einer Höhle und die halten die Schatten an der Wand vom Feuer für die Welt“. Anzunehmen, dass er mit den Schatten die Politik meint. „Und draußen vor der Höhle ist noch eine ganz andere Welt.“
Es ist Lindners erster selbstgewählter Auftritt seit der Geburt seines ersten Kindes – dem Vernehmen nach ein Mädchen – mit Lebenspartnerin Franca Lehfeldt im April. Seither hatte sich der 46-Jährige in der Öffentlichkeit rar gemacht. Schlagzeilen machte er nur, weil er seine Korrespondenz als Minister noch nicht, wie eigentlich gesetzlich vorgeschrieben, an das Bundesarchiv weitergereicht hat.
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Und weil er Anfang Mai beim Einparken vor seinem Lieblingsitaliener in Berlin-Charlottenburg einen kleinen Hund überfahren hat. Ein tragischer Unfall natürlich, aber ansonsten herrschte Funkstille beim einstigen Lautsprecher.
Sogar als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) per großem Zapfenstreich aus seinem Amt verabschiedet wurde, fehlte Lindner. Und das, obwohl er – die Älteren mögen sich erinnern – einmal Finanzminister in dessen Regierung war.
Sein Fehlen habe nichts mit dem Zerwürfnis zwischen Scholz und ihm zu tun, ließ Lindner zu diesem Zeitpunkt wissen. Sondern mit väterlichen Pflichten. Er habe am betreffenden Abend zu Hause Babydienst verrichtet.
Keine andere Option als Selbstfindung
Trotzdem hat man es dieser Tage mit zwei gewöhnungsbedürftigen Bildern zu tun: Mit einem Lindner, zumindest augenscheinlich Ruhe und Entspannung sucht. Und mit einer politischen Bühne ohne Lindner. Beides war im vergangenen Jahrzehnt selten der Fall.
Die Realität ist: Für Lindner gibt es möglicherweise für den Moment keine andere Option als Selbstfindung. Denn alles, was er sich in den vergangenen Jahren politisch aufgebaut hatte, ging um den jüngsten Jahreswechsel herum rapide in die Brüche.
Seinen Posten als Finanzminister verlor er im November mit dem Bruch der Ampelkoalition, als Kanzler Scholz ihn aus dem Kabinett warf. Rund drei Monate warfen die Wähler dann auch noch seine FDP aus dem Bundestag. Und Lindner, seit dem letzten Ausscheiden seiner Partei im Jahr 2013 so etwas wie das einbetonierte Gesicht der Liberalen, zog einen Schlussstrich.
Es war ein Ende, das den FDP-Kopf mitnahm, versicherten in jenen Tagen seine Vertrauten. Man darf Lindner also durchaus abnehmen, dass er erst einmal das suchte, was sein Instagram-Post auch transportiert: Ruhe, Besinnung, einen klaren Kopf. Und nun das Land mit einem bisher Unbekannten bekanntmachen muss. Mit Lindner, dem Privatier.
Aber wer ist ein Christian Lindner, der nicht die FDP verkörpert? An diesem Freitag steht Lindners vorerst letzter Auftritt als FDP-Funktionär an. Beim Bundesparteitag der Liberalen in Berlin wird er als Noch-Vorsitzender seinen Rechenschaftsbericht ablegen und dann den Staffelstab an seinen designierten Nachfolger und Vertrauten Christian Dürr weitergeben.
Ob der die schiffbrüchige Partei wieder ins Lot bekommt, ist offen. Und damit auch die Zukunft der FDP als Ganzes. Es dürfte also ein schwerer Gang werden – für Lindner wie für die Partei.
Doch nicht ohne Politik
Hört man sich derweil im Hans-Dietrich-Genscher-Haus um, wollte bis zuletzt niemand etwas über Lindners Pläne wissen, selbst seine Parteifreunde nicht. Die freie Wirtschaft scheine der wahrscheinlichste nächste Karriereschritt, hieß es hinter vorgehaltener Hand, nur eines sei vorerst ausgeschlossen: die Politik.
Nun wurde öffentlich, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. In einer kurzen Bekanntmachung im Bundesanzeiger heißt es, Lindner habe der Bundesregierung angezeigt, als „freiberuflicher Redner und Autor“ tätig werden zu wollen. Dabei gehe es darum, „globale Entwicklungen einzuordnen“, so ein Sprecher.
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Lindner kann also doch nicht so ganz von der Politik lassen, möchte sie in Zukunft aber offenbar in der familienfreundlichen Variante betreiben – und mit einem gewissen Abstand.
Dazu passt ein zweites Instagram-Video, das er zwischenzeitlich hochgeladen hat. Lindner sitzt in einer Dachgeschosswohnung, weißes Hemd, Hahnentritt-Jackett. Vermeintliche Entspanntheit muss er diesmal nicht inszenieren, denn das Thema ist ernst: die erste Regierungserklärung von Kanzler Merz.
„Die Politik der Regierung Merz ist eine Wette“, sagt Lindner und versucht dabei zu wirken wie einer, der mit der ganzen Sache nichts zu tun hat. „Das kann klappen.“ Es dauert jedoch keine zehn Sekunden, bis er doch die vielen Schulden anspricht, mangelnde Strukturreformen kritisiert und Wettbewerbsfähigkeit anmahnt.