Als Johannes Paul II. in den späten Achtzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts eine Reihe von durchgängig konservativen Bischöfen ernannte, bildete sich aus Protest die Europäische Gesellschaft für katholische Theologie. Peter Hünermann, ein Meister der Netzwerkbildung, wurde zum Gründungspräsidenten gewählt. Kurz darauf wurde er – wie er im Schülerkreis wiederholt erzählte – vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, nach Rom geladen. Mit den Worten „So, Herr Hünermann, nun sind Sie also auch Präsident einer Internationalen geworden“, soll ihn der Kardinal empfangen haben. Es folgte eine offene Aussprache über die Lage von Theologie und Kirche, bei der man Einigkeit darüber erzielte, in vielen Fragen uneins zu sein.
Die Begebenheit ist bezeichnend für das Wirken Hünermanns. Nach dem theologischen Studium an der Gregoriana in Rom folgten akademische Lehrjahre beim Religionsphilosophen Bernhard Welte in Freiburg im Breisgau, die 1967 mit der Habilitationsschrift „Einbruch des geschichtlichen Denkens im 19. Jahrhundert“ endeten. Nach Querelen um das römische „nihil obstat“ konnte Hünermann 1971 an der Universität Münster als Professor für Dogmatik beginnen. Er übernahm einige Doktoranden von Karl Rahner und wirkte ein gutes Jahrzehnt neben Johann Baptist Metz und Herbert Vorgrimler, bevor er 1982 in die Gelehrtenrepublik am Neckar wechselte. In Tübingen wies er sich bald als Kritiker römischer Lehrschreiben aus. Auch brachte er dort die Sammlung der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, den sogenannten „Denzinger“, in einer zweisprachigen Ausgabe neu heraus – ein Werk, das inzwischen in der 45. Auflage vorliegt, in viele Sprachen übersetzt wurde und Hünermann international bekannt gemacht hat.
Brückenbauer nach Lateinamerika
Hünermann baute in seiner Tübinger Zeit einen internationalen Schülerkreis auf, der das Spektrum theologiepolitischer Positionen abdeckte. Auch hat er sich als Präsident des Katholischen Akademischen Auslandsdienstes sowie des Stipendienwerkes Lateinamerika für den Austausch zwischen den Kulturen eingesetzt – ein wichtiger weltkirchlicher Dienst, der ihm Ehrendoktorwürden der Universitäten Cochabamba und Buenos Aires einbrachten.
Seine geschichtliche Bildung bewahrte Hünermann vor flinken Anpassungen an die Moden der Zeit. Die laute Forderung seiner Kollegen Norbert Greinacher und Hans Küng nach einem III. Vatikanum hat er mit vornehmer Zurückhaltung quittiert: Man möge erst einmal die Reformimpulse des II. Vatikanums geduldig aufarbeiten. Seine Christologie „Gottes Wort in der Zeit“ macht in den Schlusspartien eindrucksvoll das Motiv der Freundschaft stark – durchaus in einer Nähe zur Jesus-Trilogie Ratzingers. Das Anliegen, Jesus nicht nur als Figur der Vergangenheit zu zeichnen, sondern die Leser in die Gleichzeitigkeit mit Christus einzuführen, war beiden gemeinsam.
Wenig bekannt ist, dass Hünermann zahlreiche Studenten persönlich begleitet hat. Während der Sprechstunde in seinem Tübinger Büro wurden nicht nur Qualifikationsarbeiten besprochen, sondern auch Orientierungsgespräche geführt, ja sogar Beichten abgenommen. Nach seiner Emeritierung 1997 hat Hünermann, der, solange es ging, nicht nur täglich gejoggt, sondern auch die heilige Messe zelebriert hat, Vorlesungen über die Klassiker geistlicher Theologie gehalten. Er meinte, dass Meister der Spiritualität wie Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz oder Ignatius von Loyola in den Studienprogrammen der Fakultäten zu wenig vorkommen. Der wachsenden Trennung zwischen kniender und sitzender, mystisch-spiritueller und systematisch-begrifflicher Theologie wollte er gegensteuern. Am vierten Adventssonntag ist Peter Hünermann im Alter von 96 Jahren gestorben.

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