Als ein Mathematiker gefragt wird, ob er lieber kalten Kaffee trinken oder Gott treffen möchte, entscheidet er sich für den Kaffee. Ihm wurde gesagt, dass nichts besser sei, als Gott zu begegnen, aber kalter Kaffee sei besser als nichts. Paradoxe Kalauer dieser Art finden sich zuhauf im neuen Roman von Percival Everett. „Dr. No“ ist, wie schon der Titel verrät, eine schwindelerregende Persiflage auf die frühen Bond-Filme und das Spionage-Genre überhaupt. Zugleich versammelt Everett hier all die Themen, die den Schriftsteller seit jeher umtreiben: die Academia, Blackness, Identität, Rassismus, Amerika.
„Dr. No“ treibt diese ernsten Sujets in unnachahmlich alberne, schwindelerregende Höhen. Der Roman wechselt pausenlos zwischen der hohen Mathematik und den Niederungen der Genreliteratur hin und her. Das bereitet großes Vergnügen, und bald ist man versucht, das vergilbte Mathebuch herauszukramen und alte Bond-Filme zu streamen. Denn der 1956 bei Augusta in Georgia geborene Autor, dessen Romane wie „Erasure“ (2001, Vorlage für den Film „Amerikanische Fiktion“, 2023), „Die Bäume“ (2021) oder die „Huckleberry Finn“-Überschreibung „James“ (2024) auch hierzulande erschienen und in letzteren beiden Fällen höchst erfolgreich sind, nimmt seine Leser in dieser turbulenten Forschungs- und Ganovenerzählung schmunzelnd an der Hand, um sie dann Knall auf Fall ins Nichts fallen zu lassen.
Aussichtslose Aufgabe für einen Autor
Denn darum geht es hier: ums Nichts. Es scheint fast so, als habe sich Everett diese fast aussichtslose Aufgabe in der Absicht gestellt, das Schwierigste überhaupt zu wagen: ein ganzes Buch über nichts zu schreiben. Die Krux dabei ist ja die: Sobald etwas nichts ist, ist es etwas, was wiederum nicht mehr nichts ist, was den Autor poetologisch nur umso mehr umtreibt.
Zunächst lernen wir Wala Kitu kennen, einen Mathematikprofessor von der Brown University, der autistische Züge aufweist und dessen Vor- und Nachname auf Tagalog und Swahili – natürlich – „Nichts“ bedeuten. Dies wird als Witz seiner Eltern erzählt, für die als Mathematiker klar war: Zwei Negative ergeben ein Positiv. In Wahrheit heißt Kitu Ralph Townsend, besitzt kein Handy, dafür eine einbeinige Bulldogge namens Trigo, der er allerhand mathematisch-philosophische Probleme vor die Füße wirft. Denn schon lange befasst er sich nicht mehr mit Arithmetik, Matrices, Hausdorff-Räumen oder endlichen Gittern, sondern mit dem Nichts. Existiert es überhaupt? Was ist sein Gegenteil? Ist das Nichts gleichbedeutend mit Leere oder der Ziffer Null? Wäre ein Hund ohne Beine dann weniger oder gar kein Hund mehr? Und was wäre er dann?

Kitu findet nichts wichtiger als das Nichts, das für ihn alles ist, „was nicht nichts ist“. Doch zu seinem Leidwesen macht schon die Thematisierung seines Interesses seine Forschung zunichte. Weil er das Paradoxon nicht auflösen kann, dass die Erforschung des Nichts einen Beobachter erfordert, dessen Vorhandensein das Nichts negiert. Da geht es ihm nicht besser als Goldbach und dessen ungelöstem Zahlenproblem. Parmenides bis Heisenberg haben sich daran die Zähne ausgebissen, und Shakespeare lässt Hamlet sagen: „Dies Nichts ist mehr als etwas.“ Kitu rettet sich in die Vorstellung, dass uns der Ururknall noch bevorsteht: „Denn das, woraus das Universum entstand, holt gegenüber dem, was es werden wird, ständig auf.“ Nichts zu erleben, hieße daher, alles zu verstehen.
Aber da sich der Roman, in der glänzenden Übersetzung von Nikolaus Stingl, noch im Stadium des Nichts-Verstehens befindet, fallen immerzu kontrafaktische Sätze wie „Ich habe gerade ein Stipendium erhalten, von dem ich hoffe, dass es zu nichts führt“ oder „Sie kennen sich mit nichts aus, wir brauchen dringend Ihre Hilfe“. Denn der Einzelgänger Wala Kitu bleibt nicht lange mit Trigo allein.
Dada-Dialoge über Haifischbecken
Ein Gauner, der zugleich ein Milliardär ist, macht ihn zu seinem Handlanger. Wie aus dem Nichts taucht dieser John Milton Bradley Sill in einem Café in Providence auf und schiebt dem verdutzten Professor einen Scheck über drei Millionen Dollar zu. Sill (Nomen ist hier nicht Omen), ein Möchtegern-Bösewicht, aber nicht dumm, dafür gefährlich, ist traumatisiert durch den Tod seiner Eltern, die von einem weißen Polizisten erschossen wurden, was in Zusammenhang steht mit der Ermordung Martin Luther Kings.
Sill sinnt auf Rache und braucht dafür Professor Kitu. Denn er will Amerika zunichtemachen. Dieses Land habe den Schwarzen alles genommen, erklärt er Kitu, weshalb es an der Zeit sei, es ihm heimzuzahlen. Dafür will Sill die Kraft des Nichts entfesseln. Er besitzt bereits eine gefährliche Waffe, die von nichts angetrieben wird. Als Nächstes will er Fort Knox ausrauben, da er auch dort eine ähnlich gefährliche Menge an Nichts vermutet.

Der mathematische Jargon des Romans über Quantenfluktuationen, Unschärferelation sowie Pi und Pie wird immer wieder durchbrochen durch Dada-Dialoge über Inselhöhlen und Haifischbecken, während die Verfolgungsjagden in Hubschraubern und U-Booten und die Settings in Miami, Kentucky und Korsika es in der Tat mit jedem Bond-Film aufnehmen könnten. Auch Kitus Kollegin Eigen Vector verschlägt es bald ins Reich des Bösen. Ihr Name ist eine Verballhornung der linearen Algebra. Denn was ist das, ein Eigenvektrum? Zum Beispiel ein Boot, das im Fluss genau in oder entgegen der Strömungsrichtung losgelassen wird. Weil es sich dann immer nur vorwärts oder rückwärts, nie aber seitlich bewegt.
Die Everett-Matrix bewegt sich dafür in sehr vielen Bewegungen in alle möglichen (Denk-)Richtungen und ist bei aller Verspieltheit komplex. Percival Everett hat selbst bei Gelegenheit davon gesprochen, dass er immer schon einmal einen „abstrakten Roman“ schreiben wollte, ein Buch also, das aus nichts als Sprache besteht, so wie ein abstraktes Gemälde nichts als Farbe sei. Aber anders als Farbe existiert Sprache nie für sich allein. Worte rufen vielmehr immer Vorstellungen von Menschen, Objekten oder Gefühlen hervor. Dass sein Projekt deshalb zum Scheitern verurteilt ist, weiß Everett. Aber er macht es produktiv, indem er auf der Ebene des Scheiterns operiert, ähnlich wie Lothar Collatz, dessen mathematisches Problem zwar auch einfach zu formulieren, aber in Wahrheit notorisch schwierig ist.
Irgendwann erkennt Kitu, dass Sills gut bezahlter Auftrag in Wahrheit zur totalen Zerstörung führen könnte. Und dass die Rachephantasie eines traumatisierten Afroamerikaners längst den perversen Träumen eines Selfmade-Milliardärs gewichen ist, der sich die Welt untertan machen will. Also muss Wala Kitu selbst zur Tat schreiten, um die Welt vor nichts zu retten.
Als das Buch 2022 im Original herauskam, wurde Everett von amerikanischen Kritikern die stereotype Darstellung des Mathematikers als weltfremder und hoffnungslos naiver Zeitgenosse vorgehalten. Doch damit lasen sie diesen Roman falsch. Er besticht nicht nur durch seine Mischung aus Scherz, Satire und tieferer Bedeutung. Gerade das Absurde und Überzeichnete bis hinein in die Klischees macht die verhandelten sozialen und philosophischen Theoreme anschaulich. „Dr. No“ ist ein gewagtes Experiment. Nur einem Könner wie Percival Everett ist es vergönnt, auf derart unterhaltsame Weise davon zu erzählen.
Percival Everett: „Dr. No“. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag, München 2025. 320 S., geb., 26,– €.