Demonstrant:
»Warum wir hier sind? Weil wir gegen das System kämpfen.«
Redner:
»Herzlich willkommen zur Montagsdemo!«
Es ist die inzwischen 258. Montagsdemo in Görlitz. Seit 2020 schon rufen die extremistischen Organisatoren hier zum Protestmarsch auf. Es soll durch die Altstadt gehen.
Redner:
»Wir stehen hier in erster Linie ganz aktuell für Frieden.«
Allerdings begleitet von einem teils vermummten Trupp, der sich die ganze Zeit über in der Nähe aufhält. Nach Corona, Migration und allgemeinem Frust steht heute ein aktuelles Thema auf dem Programm: Das Waggonbauwerk wurde gerade von einem Rüstungskonzern gekauft.
Demonstrant:
»Wir sind gegen die Rüstungsindustrie, die hier in Görlitz aufgebaut werden soll. Und wir sind für Frieden, wir sind für Friedenswaffen und die heißen: Waggons herstellen in Görlitz und keine Panzer.«
Direkt gegenüber: die kleine, hartnäckige Gegendemo. Mit dabei sind Hanna Müller und Weronika Vogel, zwei Bloggerinnen aus Görlitz.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Ich habe gerade eine Person gesehen, die ich kenne. Ich wusste das vorher nicht. Ich glaube, ich habe immer gedacht, dass wir nicht so weit voneinander entfernt sind.
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Ich habe auch meinen alten Chemielehrer gesehen. Es sind eben Menschen aus dem Umfeld auch dabei.«
Hanna Müller, Bloggerin:
»Das ist eben halt auch Ostdeutschland, dass man auf so was trifft, dass man im nahen Umfeld Erfahrungen macht, die einen selber emotional mitnehmen.«
Görlitz ist die östlichste Stadt Deutschlands, direkt an der Grenze zu Polen. Hier im Wahlkreis haben fast die Hälfte die in Teilen rechtsextreme AfD gewählt. Die ist auch präsent bei den Montagsdemos.
Weronika Vogel und Hanna Müller bloggen über den Osten und wollen zeigen, dass die sächsische Kleinstadt mehr ist als eine AfD-Hochburg.
Erste Station: der Ort der künftigen Rüstungsindustrie, gegen die jetzt demonstriert wird.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Wir sind jetzt hier am Waggonbau in Görlitz, das ist einer der Top-Arbeitgeber in der Stadt und in der Region. Ist auch historisch sehr bedeutsam, also hier ist auch schon zu DDR-Zeiten produziert worden.«
Ab kommendem Jahr sollen hier Panzer gebaut werden.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Ich bin keine Unterstützerin unserer aktuellen Aufrüstungspolitik. Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass darauf geachtet wird, hier in der Region Arbeit zu erhalten und auch qualifizierte Menschen herzukriegen, weil das ist sehr wichtig. Andererseits glaube ich aber tatsächlich, dass wir zukunftsfähiger gehandelt hätten, wenn wir tatsächlich weiter in Schieneninfrastruktur investiert hätten statt in Waffensysteme.«
Wie sieht es mit dem Vorurteil aus, dass der Osten fremdenfeindlich ist?
Die polnischen Nachbarn sind hier nur eine Brücke entfernt. Über die Neiße spazieren die Görlitzer heute direkt ins europäische Ausland. Vor 20 Jahren war das noch unvorstellbar.
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Ich kann mich erinnern, also ich bin in Polen im Kindergarten gewesen. Dabei habe ich immer die andere Brücke genommen und damals gab es noch Grenzkontrollen. Das heißt, jeden Morgen, wenn man die Brücke überquert hat, musste man seinen Kinderpass vorzeigen und auf dem Rückweg wieder.«
Heute gibt es viel Austausch zwischen den Nachbarstädten – nicht nur durch die Brücken. Das Zusammenleben klappt.
Rund die Hälfte der ausländischen Bewohner von Görlitz kommen von der anderen Seite der Brücke, aus dem polnischen Zgorzelec. Das heißt nicht, dass das alle gut finden.
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Als ich in der Schule war, speziell am Gymnasium, gab es da durchaus recht viele fremdenfeindliche Tendenzen. Unter meinen MitschülerInnen war ich die einzige Halb-Polin, oder wie auch immer, ich finde die Bezeichnung sowieso blöd, ich bin nicht Hälfte-Hälfte, ich bin beides gleichzeitig. Aber das ist etwas, was ich nicht spezifisch dem Ostdeutschen zu schreiben würde, sondern dem Gesamtdeutschen.«
Die beiden Studentinnen sind mehr als zehn Jahre nach der Wiedervereinigung geboren. Das Thema »Osten« betrifft sie trotzdem.
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Es ist 30 Jahre – über 30 Jahre – nach der Wende noch relevant, dass ich Ostdeutsch bin oder einen Bezug zu Ostdeutschland habe, weil ich eben sozialisiert wurde von Menschen mit Diktaturerfahrung. Zunächst natürlich von meinen Eltern, Großeltern, meiner erweiterten Familie, Lehrkräften in der Schule. Man bekommt Prägungen mit, die einfach anders sind als in anderen Teilen des Landes.«
Das merken sie als Erwachsene, Westdeutsche begegnen ihnen immer wieder mit Vorurteilen. Als Antwort darauf starteten sie ihren Blog »Eastplaining«. Sie wollen verändern, wie über den Osten Deutschlands gesprochen wird.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Wir möchten den Osten erklären allen Leuten, die sich den von uns erklären lassen wollen.«
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Wir können nicht immer so schauen, als wäre das ein isoliertes Stückchen Land. Wir sagen ja auch nicht: Wir führen jetzt einen Diskurs über Hessen oder wir führen jetzt einen Diskurs über Bayern oder über das Saarland. Wir tun immer noch so, als wär das ein mysteriöser anderer Landesteil, in den man mal hinfahren kann und sich das anschauen kann, aber dann auch wieder zurückfahren kann.«
In ihren Beiträgen widmen sie sich der DDR-Geschichte, Politik oder auch kulturellen Themen. Und suchen dabei neue Blickwinkel.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Das Coole an Ostdeutschland ist, dass eben noch nicht alles fertig ist. Das ist so was, was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist und was ich auch immer wieder höre von anderen Leuten, jungen Leuten, die in Ostdeutschland bleiben wollen. Und das macht einfach Spaß.«
Einen dafür typischen Ort kennen die beiden – ein Kulturzentrum in einer alten Fabrikanlage.
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Ich erinnere mich besonders an ein Zuckerfest, ich glaube 2018, wo man hier so Essen probieren konnte aus ganz vielen verschiedenen Kulturen. Und wir haben alle so Henna-Tattoos bekommen.«
Zurück in der Altstadt. Hier zeigen sich wieder Kontraste in Görlitz: Direkt neben dem Ort der Montagsdemos entsteht ein neues Forschungszentrum.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Die Hoffnung ist, dass es eben mehr Energie in die Region bringt, mehr Arbeitskräfte. Dass wieder Leute eine Perspektive sehen, vielleicht nach ihrem Studium in anderen Großstädten wieder zurückzukommen in die Region.«
Aber jetzt erstmal wieder: Daumen runter für die Montagsdemo. Einigen Demonstranten würden die beiden gerne noch Geschichtsnachhilfe geben.
Weronika Vogel, Bloggerin:
»Was ich richtig furchtbar finde, ist, dass diese Menschen auch ehemalige DDR-Parolen missbrauchen. Sowas wie: ›Schwerter zu Pflugscharen‹ oder ›Frieden schaffen ohne Waffen‹, weil das garantiert – hundert Prozent – nicht die Intention war, von den Leuten die diese Parolen damals gebraucht haben.«
Die beiden jungen Frauen engagieren sich, damit Rechte und Montagsdemos nicht allein das Bild des Ostens prägen.
Hanna Müller, Bloggerin:
»Görlitz ist nicht nur eine Headline, die man auf ›höchstes AfD-Ergebnis bundesweit‹ klatschen sollte, sondern Görlitz ist eine Stadt, wo es genauso Leute gibt, die sich dafür interessieren, was in der Welt passiert, ohne in irgendeine Art von Feindlichkeit und Hass zu verfallen.«
Für die beiden Bloggerinnen gibt es noch viel zu erklären – im Osten und darüber hinaus.