OECD: Nicht genügend Studien zu kindlichem Wohlbefinden im digitalen Zeitalter

vor 17 Stunden 1

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat einen neuen Bericht zum Leben von Kindern im digitalen Zeitalter herausgegeben. Während die Organisation klarstellt, dass die digitale Transformation "wertvolle Möglichkeiten zum Lernen, Spielen und zur sozialen Interaktion" bietet, unterstreicht sie auch, dass durch die intensive Nutzung die Entwicklung und psychische Gesundheit von Kindern beeinträchtigt werden kann. Hierzu zählt die OECD etwa negative Auswirkungen auf Schlafmuster, die körperliche Entwicklung oder auch die Zunahme von Angstzuständen und Depressionen. Ob Kinder und Jugendliche tatsächlich negativ beeinflusst werden, hänge aber stark von sehr individuellen Faktoren wie Bildung, Begleitung der Nutzung und den tatsächlichen Nutzungsprofilen ab.

Im Bericht muss die OECD immer wieder darauf verweisen, dass sich aufgrund der bestehenden Studienlage größere Unsicherheiten für Einschätzungen ergeben – etwa in Bezug auf wirksame Maßnahmen, um Gefahren einzuschränken und das allgemeine Wohlbefinden von Kindern im digitalen Zeitalter zu steigern. Sie plädiert dementsprechend für mehr belastbare Studien, um noch mehr evidenzbasierte Aussagen zu Einflüssen von bestimmten digitalen Angeboten machen zu können. Einige aussagekräftige Ergebnisse kann der Bericht aber trotzdem vorlegen und Empfehlungen für Schulen, Eltern und die Politik enthält er ebenso.

Lehrkräfte, Schulen und Bildungssysteme spielen laut OECD-Bericht eine entscheidende Rolle dabei, Kindern digitale Kompetenzen und gesellschaftliche Verantwortung zu vermitteln. Sie können dazu beitragen, digitale Risiken zu verstehen und problematische Online-Situationen zu bewältigen. Zudem seien sie in der Lage, Eltern für die Risiken übermäßiger Bildschirmzeit, Videospiele und intensiver Nutzung sozialer Medien zu sensibilisieren. Diese Unterstützung sei besonders wichtig für Kinder ohne eine entsprechende Unterstützung in ihrer Kernfamilie. Lehrkräfte bräuchten deshalb angemessene Weiterbildungen, um ihre Wissenslücken in Bezug auf digitale Werkzeuge und Angebote zu schließen.

Zugleich stünden Schulen vor der Herausforderung, zu verhindern, dass Mobiltelefone den Unterricht stören. Ein Handyverbot im Unterricht könne Ablenkungen reduzieren und die Konzentration verbessern, die Durchsetzung dieser Verbote außerhalb des Klassenzimmers sei jedoch schwierig. Die Erkenntnise über die Auswirkungen von Handyverboten in Schulen auf die schulischen Leistungen und das Wohlbefinden der Schüler sei zudem weiterhin uneinheitlich, so der Bericht. Einige Studien deuteten darauf hin, dass die Einschränkung der Smartphone-Nutzung die schulischen Leistungen, insbesondere bei benachteiligten Schülern, verbessern kann. Andere zeigten aber keine Vorteile oder sogar negative Auswirkungen aufgrund erhöhter Ängste durch Handybeschränkungen. Auch die Erkenntnisse über die Auswirkungen von Handyverboten auf das Wohlbefinden, die psychische Gesundheit und Mobbing seien uneinheitlich. Dass es hier keine genaueren Einschätzungen gibt, liege an der bisher begrenzten Studien-Zahl. Diese seien aber wichtig, um zu bestimmen, welche Maßnahmen am effektivsten sind, um das allgemeine Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern zu fördern oder die Bedürfnisse von Kindern verschiedener Altersgruppen zu berücksichtigen.

Die Rolle der Eltern bleibe laut Bericht eine Wichtige, allerdings hätten nicht alle Eltern ausreichend Erfahrung, Wissen oder Zeit, um Kinder konstant bei der Nutzung digitaler Angebote zu begleiten. Jüngere Kinder benötigten strenge Regeln und Aufsicht, während Jugendliche von flexibleren Richtlinien und offenen Gesprächen profitieren könnten. Eltern müssten außerdem gesunde Gewohnheiten vorleben.

Von Herstellern implementierte altersabhängige Kindersicherungsfunktionen könnten Eltern zwar helfen, Grenzen zu setzen und die Online-Aktivitäten ihrer Kinder zu lenken. Allerdings könnten diese Angebote auch ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln, zu einer übermäßigen Kontrolle führen oder die Vermeidung von Verantwortung begünstigen. Familieninterne Mediennutzungspläne – sowohl für Erziehende als auch Heranwachsende – könnten dazu beitragen, die eigene Mediennutzung zu reflektieren und besser zu steuern. Würden Mediennutzungspläne die ganze Familie einbeziehen und sich nicht nur auf Kinder konzentrieren, würden sie von den Heranwachsenden auch eher akzeptiert und respektiert.

Auf politischer Ebene unterstreicht der Bericht die Notwendigkeit evidenzbasierter Regelungen und sektorübergreifender staatlicher Maßnahmen als Reaktion auf die weit verbreitete Nutzung digitaler Medien durch Kinder. Es bedürfe wirksamer Maßnahmen zum Schutz von Heranwachsenden im digitalen und schulischen Umfeld, um sicherzustellen, dass die Verantwortung für den Schutz und die Förderung gesunder digitaler Praktiken Eltern und Kinder nicht übermäßig belaste. Darüber hinaus bedürfe es klarer Leitlinien, die Pädagogen, Eltern und Betreuer dabei unterstützen, Kindern bei der Bewältigung ihres Umgangs mit digitalen Technologien zu helfen, digitale Kompetenzen zu entwickeln, angemessene Grenzen und Empfehlungen festzulegen und den ausdrücklichen Wunsch der Kinder nach Schutz und Unterstützung zu erfüllen, ohne sie von wichtigen Bereichen des digitalen Umfelds, wie etwa sozialen Medien, auszuschließen.

- Die Durchdringung mit Internetzugängen hat seit dem Jahr 2005 stark zugenommen. Damals verfügte etwa die Hälfte der Haushalte in OECD-Ländern über einen Internetzugang, bis 2023 stieg diese Zahl auf 92 Prozent.

- Im Alter von etwa zehn Jahren besitzen bereits etwa 70 Prozent der Kinder ein eigenes Smartphone, wobei zwischen den Ländern große Unterschiede bestehen: In der Türkei sind es nur 29 Prozent und in Frankreich 40 Prozent, in Lettland, Polen und den nordischen Ländern Europas hingegen mehr als 90 Prozent der 10-Jährigen (Daten aus 2021).

- Kinder werden schon in relativ jungem Alter an Bildschirme herangeführt, und ihre Bildschirmzeit nimmt mit zunehmendem Alter rapide zu. Obwohl Daten über den Kontakt von Kleinkindern mit digitalen Geräten recht begrenzt seien, schätze eine europäische Umfrage, dass Kinder typischerweise im Alter von zwei Jahren beginnen, mit digitaler Technologie zu interagieren.

- Laut einer Umfrage aus Frankreich aus dem Jahr 2024 wird geschätzt, dass die durchschnittliche Bildschirmzeit bei 7- bis 12-Jährigen 2:03 Stunden pro Tag beträgt und bei 13- bis 15-Jährigen auf 2:55 Stunden und bei 16- bis 19-Jährigen auf 5:10 Stunden steigt.

- In den meisten OECD-Ländern verbringen mindestens 50 Prozent der 15-Jährigen 30 Stunden oder mehr pro Woche mit digitalen Geräten. Japan steche mit einem deutlich geringeren Anteil (31 Prozent) der 15-Jährigen und einem viel höheren Anteil von nur 10 Stunden pro Woche hervor. Eine signifikante Minderheit dieser Jugendlichen – von 10 Prozent in Japan bis 43 Prozent in Lettland – verbrachte 60 Stunden oder mehr an digitalen Geräten (PISA-Daten 2022).

So viel Zeit verbringen 15-Jährige mit digitalen Angeboten in den OECD-Staaten.

(Bild: OECD)

- In den OECD-Ländern surfen 95 Prozent der 15-Jährigen zum Vergnügen im Internet und in sozialen Netzwerken. Die meisten nutzen digitale Geräte zur Kommunikation und zum Teilen von Inhalten (88 Prozent), zur Suche nach praktischen Informationen (84 Prozent) und zum Spielen von Videospielen (83 Prozent). Ein kleinerer, aber immer noch hoher Prozentsatz (69 Prozent) erstelle oder bearbeite eigene digitale Inhalte, wobei es zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede gibt (PISA-Daten 2022).

- Rund 35 Prozent der Jugendlichen im Alter von 11 bis 15 Jahren an, fast ständig online mit Freunden und/oder Verwandten in Kontakt zu sein. Die Wahrscheinlichkeit ständiger Online-Interaktion steige mit dem Alter, von 29 Prozent bei den 11-Jährigen auf 38 Prozent bei den 15-Jährigen. Mädchen (38 Prozent) pflegen häufiger ständigen Kontakt als Jungen (31 Prozent), und Jugendliche aus Ein-Eltern-Familien (37 Prozent) tun dies etwas häufiger als Jugendliche aus Zwei-Eltern-Familien (33 Prozent).

Wofür nutzen 15-Jährige in den OECD-Ländern ihre digitalen Geräte? In Deutschland wird vor allem gebrowst.

(Bild: OECD)

- Rund 27 Prozent der 15-Jährigen in der OECD geben an, an einem Wochentag mindestens drei Stunden Videospiele zu spielen. 8 Prozent der Jungen (im Vergleich zu 3 Prozent der Mädchen) verbringen an einem typischen Wochentag mindestens sieben Stunden mit Videospielen, an Wochenenden sogar 12 Prozent. Jugendliche aus sozioökonomisch schwachen Familien spielen an einem typischen Tag mehr als doppelt so häufig sieben Stunden oder mehr als ihre wohlhabendsten Altersgenossen (PISA-Daten 2022).

- An einem typischen Wochentag verbringen 66 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 61 Prozent der Jungen drei Stunden oder mehr in sozialen Medien. Diese hohe Nutzung ist bei 15-Jährigen aller sozioökonomischen Schichten weit verbreitet, kommt aber unter Jugendlichen mit niedrigerem sozioökonomischen Status (61 Prozent) häufiger vor als unter Jugendlichen mit höherem sozioökonomischen Status (54 Prozent) (PISA-Daten 2022).

- Eine 2022 unter 1000 britischen Kindern (im Alter von 9 bis 15 Jahren) durchgeführte Umfrage bestätige den umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen der an digitalen Geräten verbrachten Zeit und dem subjektiven Wohlbefinden: Kinder, die digitale Geräte am wenigsten nutzten, wiesen niedrigere Werte in den positiven emotionalen und sozialen Dimensionen auf, während diejenigen, die sie am häufigsten nutzten, höhere Werte in allen negativen Dimensionen aufwiesen. Es werde vermutet, dass Kinder, die weniger Zeit online verbringen, weniger Möglichkeiten für positive und negative Auswirkungen haben, während Kinder, die am meisten Zeit online verbringen, am stärksten negativen Auswirkungen ausgesetzt zu sein scheinen. Abhängig sei das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen aber auch stark von dem, was sie online machen. So war beispielsweise eine stärkere Nutzung sozialer Medien mit einem geringeren sozialen Wohlbefinden insbesondere bei Mädchen verbunden. Wurde eine erhöhte Zeit mit Spielen verbracht, ging dies mit einem stärkeren Gefühl des Kontrollverlusts und einem Mangel an körperlicher Aktivität vorwiegend bei Jungen einher.

- Soziale Medien, auf denen Jugendliche sehr aktiv sind, fördern und normalisieren oft idealisierte und stereotype Schönheitsideale. Dieser Trend werde durch den Einsatz von Filtern und Bildbearbeitungssoftware noch verstärkt. Der Kontakt mit solchen Bildern könne eine negative Selbstwahrnehmung fördern und zu Unzufriedenheit und Verzweiflung führen. Ergebnisse der EU Kids Online Survey (2020) zeigten, dass durchschnittlich 12 Prozent der 12- bis 16-Jährigen in zehn europäischen Ländern Online-Inhalte oder Diskussionen darüber gesehen haben, wie man sehr schlank sein kann.

- In Bezug auf die Nutzung sozialer Medien deuten Belege ebenfalls auf einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien durch Kinder und ihrem sozio-emotionalen Wohlbefinden hin: Sowohl eine geringe als auch eine hohe Nutzung seien mit einem geringeren Wohlbefinden verbunden, während eine moderate Nutzung mit einem höheren Wohlbefinden einhergeht (verschiedene Studien zwischen 2017 und 2022).

- Jugendliche, die sich im digitalen Raum bewegen, machen häufig negative Erfahrungen: Über ein Drittel der 15-Jährigen (36 Prozent) gaben an, sich über altersunangemessene Online-Inhalte geärgert zu haben, 42 Prozent waren über beleidigende Nachrichten verärgert, über die Hälfte (53 Prozent) über diskriminierende Inhalte, und fast 40 Prozent der Jugendlichen sind davon betroffen, dass Informationen über sie ohne ihre Zustimmung weitergegeben werden. In den OECD-Ländern berichten Mädchen deutlich häufiger von solchen Erfahrungen als Jungen.

Mädchen treffen tendenziell auf mehr Inhalte im Internet, die sie als negativ empfinden und ihrem Alter nicht angemessen sind.

(Bild: OECD)

- Etwa 16 Prozent der 11-jährigen und 20 Prozent der 15-jährigen Jugendlichen, die soziale Medien nutzen, gaben an, regelmäßig andere Aktivitäten (z. B. Hobbys, Sport) zu vernachlässigen, weil sie soziale Medien nutzen wollten. Und etwa 17 Prozent der 15-jährigen Teenager geben an, sich mindestens die Hälfte der Zeit, in der sie ihre digitalen Geräte nicht nutzen, ängstlich oder nervös zu fühlen. In fast allen OECD-Ländern sind Mädchen (22 Prozent) deutlich häufiger von dieser Angst betroffen als Jungen (13 Prozent).

- Die Exposition von Jugendlichen gegenüber Cybermobbing nimmt in allen OECD-Ländern zu: Durchschnittlich berichtete jeder sechste Elf- bis 15-Jährige im Jahr 2021/22 von Erfahrungen mit Cybermobbing, wobei es zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede gibt. Mädchen und Jugendliche aus Alleinerziehendenfamilien sind in den meisten Ländern häufiger Opfer von Cybermobbing. In Slowenien, Israel, Litauen und der Türkei berichten Jungen jedoch häufiger von Cybermobbing als Mädchen. Eine signifikante Minderheit jüngerer Kinder (etwa 5 Prozent der 10-Jährigen) gibt ebenfalls an, Opfer von Cybermobbing geworden zu sein. In Ländern wie Belgien und Brasilien ist dieses Risiko doppelt so hoch. Cybermobbing ist auch unter Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status (7 Prozent) häufiger als unter Kindern aus Familien mit hohem sozioökonomischem Status. Etwas mehr als 10 Prozent der Jugendlichen im Alter von 11 bis 15 Jahren geben an, bereits Opfer von Cybermobbing geworden zu sein. Jungen (13 Prozent) sind dabei häufiger betroffen als Mädchen (8 Prozent). Dieses Verhalten ist auch bei Kindern aus Familien mit zwei Elternteilen (10 Prozent) etwas seltener als bei anderen (14 Prozent).

- Familienprobleme wie Misshandlung oder Konflikte mit den Eltern erhöhen das Risiko, das Internet problematisch zu nutzen, da Jugendliche Online-Räume als Fluchtmöglichkeit nutzen. So gaben im Jahr 2022 OECD-weit etwa 46 Prozent der Jugendlichen im Alter von 11, 13 und 15 Jahren an, soziale Medien häufig zu nutzen, um negativen Gefühlen zu entfliehen (36 Prozent der Jungen und 55 Prozent der Mädchen).

- Das Freundesnetzwerk und die Beziehungen zu Gleichaltrigen beeinflussen die Nutzung des Internets und sozialer Online-Netzwerke. Positive Beziehungen zu Gleichaltrigen und starke Bindungen zu Freunden werden mit der Nutzung sozialer Medien und des Internets in Verbindung gebracht, um in Kontakt zu bleiben. Im Gegensatz dazu erhöhe eine schwache Bindung zu Gleichaltrigen das Risiko einer problematischen Internet- oder Social-Media-Nutzung. Weltweit neigten Jugendliche, die weniger soziale Unterstützung von Eltern, Gleichaltrigen und Lehrkräften erfahren, eher zu problematischem Verhalten wie Cybermobbing und einer problematischen Social-Media-Nutzung (verschiedene Studien zwischen 2017 und 2024).

- Kinder und Jugendliche ohne Medienkompetenz sind besonders gefährdet, Fehl- und Desinformationen ausgesetzt zu sein, ohne diese erkennen zu können (OECD 2024).

- Online-Ungleichheiten spiegeln tendenziell Offline-Ungleichheiten wider (Holmarsdottir, 2024).

(kbe)

Gesamten Artikel lesen