Warten auf Putin
Wolodymyr Selenskyj wollte in der Türkei auf Wladimir Putin warten, soweit sein Plan. Doch dass der russische Machthaber anreisen wird, gilt inzwischen als ausgeschlossen: Auf der offiziellen Liste der russischen Delegation, die der Kreml gestern am späten Abend veröffentlichte, fehlt sein Name.
Was von heute an geschehen wird, ob es in Istanbul in den nächsten Tagen wegweisende Gespräche über einen möglichen Frieden in der Ukraine geben kann, ist damit offen. Die Erfolgsaussichten sind seit der vergangenen Nacht jedenfalls nicht größer geworden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Marienpalast in Kyjiw
Foto: Kay Nietfeld / picture alliance / dpaAls Verhandlungsführer schickt Putin ausgerechnet jenen Mann, der für ihn schon die ergebnislosen Ukrainegespräche im Jahr 2022 übernahm: seinen Berater Wladimir Medinski, einen ehemaligen Kulturminister und Autor fragwürdiger historischer Sachbücher. Mein SPIEGEL-Kollege Christian Esch nannte ihn damals in einem lesenswerten Porträt »Putins Prügelknaben«, den ganzen Text finden Sie hier .
Dabei hatte Putin selbst den heutigen Termin gesetzt. Am vergangenen Wochenende hatten die vier wohl mächtigsten Staats- und Regierungschefs Europas, unter ihnen auch Bundeskanzler Friedrich Merz, bei einem Besuch in Kyjiw gefordert, der russische Machthaber möge einer bedingungslosen 30-tägigen Waffenruhe zustimmen. Ihre Drohung: ein weitreichendes Sanktionspaket der westlichen Welt gegen Russland.
Kurz darauf erklärte Putin in einem nächtlichen Auftritt, er sei bereit, wieder Verhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen, von diesem Donnerstag an in Istanbul. Das Ultimatum für die Waffenruhe ignorierte er.
Selenskyj plant heute ein Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara. Erdoğan soll bereit sein, mit ihm notfalls nach Istanbul zu fliegen, wenn die Lage das erfordert. Ob es dazu noch kommt, ist inzwischen unwahrscheinlich.
Mehr Hintergründe lesen Sie hier: Warum die Europäer Putin (noch) schonen
Die fantasievolle Arbeitsministerin
Bundeskanzler Friedrich Merz hat bei seiner ersten Regierungserklärung gestern Staatstragendes versprochen. Den Fortbestand der Freiheit. Die stärkste Armee Europas. Eine Wirtschaftsnation, die wieder Wachstumslokomotive ist. Einen zukunftsfesten Sozialstaat, für den er sich »auch persönlich« einsetzen wolle. (Fünf Lehren aus Merz’ erster Regierungserklärung können Sie hier nachlesen .)
Ob er seine Versprechen halten kann, wird auch davon abhängen, wie sich die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten zurechtruckelt. Und was es bedeutet, wenn am Kabinettstisch künftig gleich zwei Co-Vorsitzende einer etwas ramponierten Partei sitzen, die noch damit beschäftigt ist, das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl zu verdauen (ein Interview mit dem neuen SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf lesen Sie hier: »Wir haben ein schlechtes Bild abgegeben« ).

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas will Co-Vorsitzende der SPD werden
Foto: Christophe Gateau / picture alliance / dpaNeben Lars Klingbeil, nunmehr Vizekanzler und Bundesfinanzminister, will als neue Co-Chefin der SPD Bärbel Bas aufrücken. Sie ist die Arbeits- und Sozialministerin der neuen Regierung und besetzt damit ein Amt, in dem sie sich profilieren und die Union vorzüglich piesacken kann. Heute stellt sie im Bundestag ihre Pläne für die Legislaturperiode vor.
Am Wochenende hatte Bas bewiesen, dass sie keine Scheu hat, den Koalitionsvertrag fantasievoll auszulegen. Sie hatte gefordert, dass auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollen – und hatte damit tief in die Asservatenkammer sozialdemokratischer Lieblingsprojekte gegriffen. Der Vorstoß klingt nach mehr Gerechtigkeit. Allerdings wird er nicht helfen, die Finanzlage der Rentenversicherung dauerhaft zu verbessern. (Mehr darüber, warum der Plan so teuer wäre, erfahren Sie hier .) Ganz zu schweigen von der Stimmung des Koalitionspartners, der den Vorschlag gleich kassieren wollte. Und so werden die Unionsabgeordneten genau hinhören, was die Sozialministerin von der SPD heute zu sagen hat.
Eine Analyse zu Bas’ Vorstoß lesen Sie hier: Retter für die Rente dringend gesucht
Stresstest für Klingbeil
Auch der SPD-Parteichef hat heute einen großen Auftritt. Als Bundesfinanzminister wird Lars Klingbeil am Nachmittag die Ergebnisse der neuen Steuerschätzung vorstellen. Das Zahlenwerk macht schlechte Laune, die Konjunkturflaute reißt tiefe Löcher in die Haushaltsplanung.

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil bei einem Treffen der Eurogruppe in Brüssel
Foto: Kira Hofmann / BMF / photothek / picture allianceDie neue Bundesregierung muss künftig mit viel weniger Steuereinnahmen auskommen als gedacht. Schon jetzt ist absehbar, dass für die Jahre 2025 bis 2029 Dutzende Milliarden Euro fehlen werden.
Klingbeils Start ins Amt dürfte rumpeln. Die Finanznöte, mit denen er bei der Aufstellung der Bundesetats für 2025 und 2026 fertig werden muss, sind jetzt noch etwas größer. »Es stellt sich die Frage, ob die neue Koalition alle Vorhaben, die sie sich vorgenommen hat, wird finanzieren können«, sagt mein Kollege Christian Reiermann, kundiger Beobachter der Haushaltspolitik. Schon der nächste Etat dürfte ein Stresstest für die Regierung werden.
Mehr Hintergründe hier: Kaum einer kam so unvorbereitet ins Amt
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Die Viertagewoche ist ein Popanz: Friedrich Merz findet, dass die Deutschen zu wenig arbeiten. Es läge in seiner Hand, das zu ändern.
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Verlierer des Tages…
…sind die Kassenpatienten. Die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherungen ist so mies, dass der Bund mit einer Finanzspritze von 800 Millionen Euro einspringen muss, um die Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds aufzufüllen. Für gesetzliche Versicherte dürfte es bald teurer werden, die Beitragssätze dürften steigen.

Frustzone Wartezimmer
Foto: Thinkstock / Getty ImagesZugleich breitet sich bei vielen Versicherten das Gefühl aus, für immer mehr Geld immer weniger zu bekommen – jedenfalls keine Audienz beim Facharzt. SPIEGEL-Recherchen haben in dieser Woche gezeigt, dass gesetzlich Versicherte auf einen Termin beim Lungenfacharzt durchschnittlich 129 Tage warten. Privatversicherte sind mit 35 Tagen deutlich schneller dran. Was Kassenpatientinnen und -patienten alles anstellen, um doch einen Termin bei der Fachärztin zu ergattern, lesen Sie hier:
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Ihre Cornelia Schmergal, Ressortleiterin Wirtschaft