News: Streit über Verfassungsrichter-Wahl, 30 Jahre Srebrenica, Block-Prozess in Hamburg

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Eine heikle Wahl

Eigentlich klingt es recht einfach: Zur Verfassungsrichterin oder zum Verfassungsrichter ist gewählt, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen auf sich vereinigt, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Bundestagsmitglieder, also 316 Stimmen oder mehr.

 Eine Belastungsprobe für die Koalition

Juristin Brosius-Gersdorf: Eine Belastungsprobe für die Koalition

Foto: Metodi Popow / picture alliance

Leider ist es wie so oft im Bundestag etwas komplizierter, und damit sind wir beim politischen Thema des Tages: der Wahl zweier Juristinnen und eines Juristen ins Amt des Bundesverfassungsrichters, dem höchsten Richteramt, das die Bundesrepublik zu bieten hat. Drei von sechzehn Stellen sollen neu besetzt werden, am heutigen Freitag stimmt der Bundestag in geheimer Wahl darüber ab (mehr dazu lesen Sie hier ).

Zur Wahl steht Günter Spinner, bislang Richter am Bundesarbeitsgericht, vorgeschlagen von der Union. Dazu die Jura-Professorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold, vorgeschlagen von der SPD. Das Problem ist, dass die schwarz-rote Koalition selbst mit Unterstützung der Grünen sehr wahrscheinlich nicht genügend Stimmen hat, um ihre Kandidaten zu wählen. Man wäre daher, falls sämtliche Abgeordnete zur Wahl erscheinen, auf Stimmen der Linken oder der AfD angewiesen. Beides lehnt die Union ab.

Hinzu kommt, dass manchen in der Union die Potsdamer Staatsrechtlerin Brosius-Gersdorf zu links ist, Abweichler sind möglich. Sollte der Bundestag an diesem Freitag keine Entscheidung fällen, geht das Wahlrecht an die Länder über, auf den Bundesrat also.

Die Debatte um die Richter ist deshalb so heftig, weil es um Grundsätzliches geht. Schon jetzt haftet den drei Juristen der Makel an, politische Kandidaten zu sein, weil ihre Wahl stärker als je zuvor von parteitaktischen Erwägungen geprägt ist. Die Abstimmung ist nicht nur deshalb heikel, weil sie zur Belastungsprobe für die Koalition wird, sondern auch die Frage nach der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts berührt. Wie frei ist das Gericht etwa bei einem AfD-Verbotsverfahren, wenn einer der Richter mithilfe eben dieser Partei ins Amt kam? Es wird eine spannende Abstimmung, soviel ist sicher.

Srebrenica, Europas Ort der Scham

Srebrenica ist eine kleine Gemeinde in den bewaldeten Hügeln im Osten von Bosnien und Herzegowina, ungefähr 10.000 Menschen leben dort. Es gibt Schulen, Kirchen, eine Moschee und ein paar Läden, die Straßen sind holprig. Den teils zerstörten, von Artilleriegeschossen durchlöcherten Gebäuden sieht man bis heute an, was Srebrenica in Wahrheit ist: ein Symbol für das Versagen Europas, ein Ort der Scham und Schuld für den gesamten Kontinent.

 Europas Schuld

Teilnehmer des Friedensmarsches in Srebrenica im Juli 2025: Europas Schuld

Foto: Pierre Crom / Getty Images

Am 11. Juli 1995, also vor 30 Jahren, nahmen bosnisch-serbische Truppen die muslimische Enklave ein. Unter der Führung von Radovan Karadžić, Präsident der selbsternannten Republika Srpska, und Ratko Mladić, Oberkommandierender der Armee der bosnischen Serben, zogen sie mordend durch die Straßen. Mehr als 8000 muslimische Jungen und Männer wurden getötet, Frauen und Kinder vertrieben. Es war das größte Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Srebrenica steht seither für das Scheitern der europäischen Politik, den Schutz von Minderheiten zu gewährleisten und einen Völkermord zu verhindern; einerseits. Andererseits zog das Massaker eine – wenn auch schmerzhafte und langwierige – juristische Aufarbeitung nach sich, die Geburtsstunde einer Gerichtsbarkeit des Völkerrechts.

In Berlin finden an diesem Freitag Gedenkveranstaltungen im Bundestag statt, in Den Haag wird ein Denkmal für die Opfer errichtet. Erstmals ist der 11. Juli auch ein Internationaler Gedenktag, beschlossen von der Uno. Die Frage, ob Europa aus dem Massaker gelernt hat, ob aus dem untätigen Kontinent ein aktiver, tätiger wurde, lässt sich im Jahr 2025 zumindest vorsichtig bejahen – auch wenn nationalistische Kräfte in Serbien und darüber hinaus wieder lauter werden.

Die Trümmer einer Ehe

15 Jahre lang waren Christina Block und Stephan Hensel ein Paar, acht davon verheiratet. Es war, wenn man Berichten glauben darf, zumindest am Anfang eine harmonische Verbindung. Ein strahlendes power couple aus der Hamburger Oberschicht, vier Kinder, genug Ehrgeiz, genug Geld, Blocks Vater hatte die Restaurantkette Block House gegründet.

 Prozess vor dem Hamburger Landgericht

Lebensgefährten Block, Delling (2023): Prozess vor dem Hamburger Landgericht

Foto: BREUEL-BILD / IMAGO

Dann folgte die Trennung und ein Streit um das Sorgerecht, der schließlich eskalierte, als in der Neujahrsnacht 2024 maskierte Täter Stephan Hensel in der Nähe seines Wohnhauses in Dänemark überfielen. Die Nachricht ging bundesweit durch die Medien.

Die Täter schlugen auf Hensel ein, zerrten seinen Sohn und seine jüngste Tochter in ein Auto und fuhren über die deutsch-dänische Grenze nach Süddeutschland. Dort trafen sie Christina Block, die Mutter.

Block soll die Drahtzieherin der Entführung sein, so sieht es die Hamburger Staatsanwaltschaft. Sie wirft Block unter anderem Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung vor. Am heutigen Freitag beginnt vor dem Hamburger Landgericht der Prozess (mehr dazu hier im SPIEGEL Shortcut). Mit Christina Block sind sechs weitere Beschuldigte angeklagt, darunter Blocks Lebensgefährte, der ehemalige Sportmoderator Gerhard Delling. Er soll unter anderem Blocks Rückkehr mit den Kindern nach Hamburg koordiniert haben.

Seziert werden vor Gericht die Trümmer einer Ehe, und wie immer, wenn sich Eltern trennen und jahrelang streiten, werden es die Kinder sein, die darunter leiden. Auch Blocks Tochter soll in dem Prozess auftreten. Sie ist 14 und will, so heißt es, gegen die Mutter aussagen.

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Gewinnerin des Tages…

…ist für mich Elisa Senß, Mittelfeldspielerin des DFB-Teams bei der Fußball-EM in der Schweiz. Senß stieß erst spät zum deutschen Kader dazu, als Ersatz für die verletzte Lena Oberdorf, inzwischen ist sie für das Team bei der EM unverzichtbar geworden. Über ihre Aufgabe auf dem Rasen sagte Senß den schönen, klaren Satz: »Ich übernehme hier die Rolle des Abräumers.«

 Von Gegnerinnen unterschätzt

Fußballerin Senß: Von Gegnerinnen unterschätzt

Foto: Fotostand / Fantini / IMAGO

Ihr Vorteil sei, dass sie von Gegnerinnen oft unterschätzt werde. Trotz ihrer eher schmalen Statur und 1,61 Metern Körpergröße geht sie aggressiv in Zweikämpfe, fast bissig. »Keine andere im deutschen Team foult bisher so oft wie Senß, keine geht so oft ins Tackling, keine andere erobert aber auch so viele Bälle wie sie«, schreibt mein Kollege Jan Göbel, der Senß in der Schweiz beobachtet hat. »Die Entdeckung des Jahres«, nennt sie der »Kicker«.

Sieben Millionen Zuschauer sahen am Dienstag den 2:1-Sieg der deutschen Frauen gegen Dänemark. Wenn die DFB-Elf am Samstag gegen Schweden antritt, den Gruppenersten, werden sich viele Augen auch auf die Spielerin mit der Rückennummer 20 richten.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Heute bei SPIEGEL Extra: Wie ich anfing, Unkraut zu essen

Essbare Pflanzen auf Brot

Essbare Pflanzen auf Brot

Foto: Madeleine Steinbach / Getty Images

Buchenblätter schmecken pelzig, Birke seifig. Aber haben Sie schon mal Schafgarbe gekostet oder Brennnesseln im Ofen gebacken? Viel von dem Kraut, das am Wegesrand wächst, ist lecker und gesund .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr
Christoph Scheuermann, Ressortleiter Reporter

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