News des Tages: Showdown in Brüssel um eingefrorenes russisches Vermögen, Neue Details zum Nord-Stream-Anschlag, Missbrauchsprozess in Erfurt

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1. Ba-Ba-Banküberfall in Brüssel?

Soll die EU russisches Vermögen nutzen, um der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland zu helfen? Heute Abend sitzen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammen und diskutieren genau darüber.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk sprach am Nachmittag von einer grundsätzlichen Einigung. Es sei gerechtfertigt, einen Teil der vielen Milliarden Euro heranzuziehen, die Russland in Europa angelegt hat – und die mittlerweile dauerhaft eingefroren sind. Einige Mitgliedstaaten würden aber bis zum Schluss dafür kämpfen, dass alle damit verbundenen Risiken fair verteilt werden, sagte Tusk.

Vor allem Belgien fürchtet Vergeltung aus Moskau, »da der Kreml den Milliardentransfer als Diebstahl werten würde«, schreiben meine Kollegen Benjamin Bidder, Timo Lehmann und Benedikt Müller-Arnold. Allein beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear liegen mehr als 180 Milliarden Euro an Vermögenswerten der russischen Zentralbank.

Die Kollegen haben sich mit den Chancen und Risiken dieser möglichen Finanzhilfen beschäftigt. Russland könnte unter anderem vor internationalen Gerichten dagegen klagen, westliche Firmen, die noch immer in Russland tätig sind, enteignen oder deren Gewinne ebenfalls einbehalten.

Heute Nacht oder vermutlich erst morgen Vormittag könnte es eine Lösung geben, glauben meine Kollegen, die in Brüssel beim Gipfel sind. Noch sei alles möglich, heißt es.

2. Neue Details zum Nord-Stream-Anschlag

Tonnenweise Erdgas, das ungehindert an die Oberfläche der Ostsee sprudelt – die Aufnahme von der Nord-Stream-Sprengung ist schon jetzt ein ikonisches Foto des 21. Jahrhunderts. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Geschichte um das ukrainische Kommando, das in einer abgetakelten Segeljacht losschippert, um die wichtigste russische Pipeline zu sprengen, verfilmt wird.

Mein Kollege Fidelius Schmid hat einem möglichen Drehbuch nun ein weiteres Detail hinzugefügt. Wie er recherchierte, stand der derzeit inhaftierte Ukrainer Serhij K. zum Tatzeitpunkt offenbar in Diensten des ukrainischen Militärs – als Mitglied einer Spezialeinheit der ukrainischen Streitkräfte. »Das geht aus einem Dokument des ukrainischen Verteidigungsministeriums hervor, das uns vorliegt«, schreibt Fidelius. Roman Tscherwinsky, der die zentrale Figur hinter den Attacken auf Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sein soll, bestätigte Fidelius die brisante Information auf Anfrage.

Was genau wusste die ukrainische Regierung zu welchem Zeitpunkt? Diese Frage ist bislang unbeantwortet. Ebenso die Frage, wie der Angriff bewertet werden soll. War die Sprengung ein Terrorakt, ein Angriff auch auf EU-Länder, die durch die Pipeline am russischen Gas hingen? Oder ein legitimes militärisches Ziel, weil Putin damit seinen Krieg gegen die Ukraine finanzierte?

Ein anderes Mitglied der Kommandoeinheit war im Sommer in Polen festgesetzt worden, wie Fidelius schreibt. Die Auslieferung nach Deutschland scheiterte allerdings an einem polnischen Gericht: Es vertrat die Ansicht, der Angriff auf die Pipelines sei ein Teil der militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine gewesen. Wolodymyr Sch. stehe somit eine funktionelle Immunität als Soldat zu. Er wurde daraufhin freigelassen.

3. Missbrauchsprozess in Erfurt

Am Landgericht Erfurt hat heute der Prozess gegen den Lehrer eines Erfurter Gymnasiums begonnen, der sich in 69 Fällen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen sowie in zwei Fällen der Vergewaltigung strafbar gemacht haben soll. Der Mann soll an einem musikalisch ausgerichteten Gymnasium zahlreiche Prestigeprojekte ins Leben gerufen und seine Position sowie sein Amt als Vertrauenslehrer ausgenutzt haben, um Schülerinnen sexuell zu belästigen.

Meine Kollegin Carlotta Böttcher war in Erfurt und berichtet vom Prozessauftakt. »Spricht man mit den Menschen in der Schlange vor dem Landgericht, bekommt man den Eindruck: Für viele war die Festnahme keine Überraschung. Überall sind sie zu hören: die Gerüchte, die es seit Jahren um den Lehrer gab, das Getuschel, aus dem offenbar lange nichts folgte«, schreibt Carlotta. Was wussten die anderen Lehrer, was die Schulleitung? Das wird im Prozess nicht verhandelt, wird die Stadt aber weiter beschäftigen.

Heute wurde in Erfurt lediglich die Anklage verlesen. Die aber enthält schon genug schaurige Details. »Der Angeklagte Nikolaus D. soll sexuelle Handlungen in einem Vorbereitungsraum der Schule, im Bandraum, im Abstellraum, im Sanitätsraum, in der Aula, im Pkw des Angeklagten im Erfurter Umland, in seinem Wohnhaus und im Wohnhaus einer Schülerin begangen haben. Teilweise soll nicht mal ein Tag zwischen zwei mutmaßlichen Taten gelegen haben«, schreibt Carlotta.

Carlotta war beeindruckt, wie die Betroffenen mit dem Prozess umgehen. »Dieser Missbrauchsprozess bewegt die ganze Stadt – und in Erfurt kennt man sich. In den Zuschauerreihen sitzen Mitschülerinnen, Lehrer und Eltern der geschädigten Frauen und hören intimste Details aus deren Leben. Sich dieser Öffentlichkeit als Betroffene auszusetzen, ist mutig.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen: Warum in dieser Stadt am meisten eingebrochen wird

Foto: Fabian Ritter / DOCKS / DER SPIEGEL

Was heute weniger wichtig ist

Luisa Neubauer

Luisa Neubauer

Foto: Oliver Langel / IMAGO

Redefreiheit: Klimaaktivistin Luisa Neubauer, 29, hat lange damit gerungen, öffentlich über den Tod ihres Vaters zu sprechen, wie sie nun im Podcast »Meine schwerste Entscheidung«  der Funke Mediengruppe erzählte. Als sie mit Anfang 20 für ihr Engagement für das Klima bekannt wurde, sei eine große Frage gewesen: »Was halten deine Eltern davon?«, sagt Neubauer. Aus Angst vor ihrer eigenen emotionalen Reaktion habe sie um diese Frage herumnavigiert. Neubauers Vater starb 2016, als sie 19 Jahre alt war. Irgendwann habe sie sich dazu entschieden, darüber zu sprechen. »Obwohl ich weiß, es ist privat, es ist irgendwie ungewohnt in der deutschen Öffentlichkeit. Trauer hat wenig Platz in der Regel.«

Aufdruck auf einer Packung mit portioniertem löslichen Kaffee von Jacobs

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Familie Assad lebt in Russland im Luxus: So gut es ihm hier auch geht, am Silvesterabend überkommt Assad das Heimweh. Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

Leonard Riegel / DER SPIEGEL

Und heute Abend?

Können Sie sich in festliche Stimmung bringen – mit der Netflix-Serie »Weihnachten zu Hause« . Meine Kollegin Annina Metz beschreibt den Charme der norwegischen Serie so: »Sie kommt ohne Übertreibungen aus, ohne platten Kitsch. Dafür sorgt die von roten und gelben Holzhäusern gesäumte Kulisse. Røros ist Norwegen, wie es im Bilderbuch steht.«

Johanne ist die Heldin der Serie. Mit einer Notlüge in der Vorweihnachtszeit hat sie sich gleich in der ersten Staffel in eine missliche Lage gebracht. Sie erfindet ihrer Familie gegenüber einen Partner, den sie gar nicht hat. Anschließend muss sie nicht nur ein komplexes Lügengebilde errichten, sondern auch einen irren Dating-Marathon absolvieren – schließlich erwartet ihre Familie, dass an Weihnachten ein Mann mit am Tisch sitzt. Seitdem ist viel passiert, doch auch die dritte Staffel erzählt davon, wie Johanne versucht, Weihnachten zum Fest der (romantischen) Liebe zu machen.

»Weihnachten zu Hause« ist aber mehr als eine festliche Romcom. Die Serie beleuchtet, was Frauen oft leisten. Wie sie als Klebstoff zwischen den Geschwistern fungieren, wie sie Familien und Freundeskreise zusammenhalten. Wie sie als Kummerkasten benutzt werden oder als Ego-Push für flirtwillige Singlemänner jeden Alters. Und wie ihr Leben mit Anfang 30 nur noch sinnvoll erscheint, wenn sie verheiratet sind und im besten Fall Mutter. »Johanne erträgt all das die meiste Zeit mit bravem Lächeln und mit anerzogenem Verständnis. Sie selbst bleibt dabei meistens auf der Strecke«, schreibt Annina.

Ich war überrascht, wie viele Kolleginnen und Kollegen »Weihnachten zu Hause« lieben. Falls Sie wie ich das Juwel bislang verpasst haben, können Sie sich sogar auf drei Staffeln Binge-Watching freuen .


Einen schönen Abend. Herzlich

Ihr

Michail Hengstenberg, Autor im Kulturressort

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