1. Strafe und Scham
Es ist reiner Zufall, dass der Vergewaltigungsprozess von Avignon an diesem Montag in die entscheidende Phase eintritt – ausgerechnet am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Symbolkraft hat dieser Zufall gleichwohl.
Die Staatsanwaltschaft hat heute im Fall Gisèle Pelicot ihre Plädoyers vorgetragen. Ihre Forderung: 20 Jahre Haft für den Hauptangeklagten Dominique Pelicot. Ihm wird vorgeworfen, seine damalige Frau über Jahre unter Drogen gesetzt, missbraucht und anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten zu haben. Die Täter wurden gefasst, weil Dominique Pelicot Fotos und Videos von den Taten gemacht und in digitale Verzeichnisse einsortiert hatte.
»20 Jahre, das ist einerseits viel, denn es sind 20 Jahre eines Lebens, egal, wie alt man ist«, sagte die Staatsanwältin Laure Chabaud im Plädoyer der Anklage. »Andererseits ist es zu wenig angesichts der Schwere der Taten.«
Dominique Pelicot hat vor Gericht gestanden. Die meisten der 50 anderen Angeklagten hingegen wiesen die Vorwürfe einer Vergewaltigung zurück, ungeachtet der Beweislast durch die Videos.
Welches Strafmaß ist angemessen angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Taten? Kann man dem Leid des Opfers durch eine juristische Aushandlung von Gefängnisjahren überhaupt in irgendeiner Form entsprechen? Abhandlungen über Sinn und Zweck von Strafe und Vergeltung füllen ganze Bibliotheksflügel. Gisèle Pelicot scheint eigene Antworten auf diese Fragen gefunden zu haben, als sie darauf bestand, den Prozess in aller Öffentlichkeit zu verhandeln – und die Scham auf die Täter zu lenken. Für ihren Mut wird sie als Heldin gefeiert.
Der Pelicot-Prozess mag herausragen in seinen Auswüchsen. Und doch steht er für ein gesellschaftliches, ein strukturelles Problem – wie die jüngsten Auswertungen des Bundeskriminalamts belegen, wonach die Zahl der registrierten Übergriffe und Gewalttaten gegen Frauen deutlich gestiegen ist. Meine Kolleginnen Katrin Elger, Nina Krug, Juliane Löffler und Louisa Uzuner beleuchten die Zahlen und Hintergründe: »Klar ist: in den überwiegenden Fällen sind die Täter Männer.«
Lesen Sie hier die Analyse: Immer mehr Gewalt gegen Mädchen und Frauen – das weiß man über die Täter
2. Ein Knacken, ein Crash
Nichts im Funkverkehr deutete offenbar auf technische Probleme hin, einen Notruf gab es nicht. Doch als er vom Flughafen in Vilnius die Freigabe zur Landung erhält, reagiert der Pilot nicht – es erklingt nur ein Knacken.
Noch sind die Hintergründe im Fall des in Litauen abgestürzten Frachtflugzeugs unklar. Bekannt ist bislang: Die Boeing 737 war im Auftrag des Postdienstleisters DHL unterwegs, transportierte Pakete für Kunden. »DHL spricht von einer Notlandung, was bedeuten würde: Die Crew wusste, dass etwas schiefläuft«, schreiben meine Kolleginnen und Kollegen in ihrem Recherche-Überblick. Darin geht es auch um das Alter der Maschine, das ungewöhnlich steile Anflugprofil und um widersprüchliche Angaben zu den Opfern. Der Pilot der Maschine soll den Absturz laut litauischen Behörden nicht überlebt haben.
Der Vorfall sei »höchstwahrscheinlich auf einen technischen Fehler oder ein menschliches Versagen zurückzuführen«, gab der zuständige Polizeigeneralkommissar bekannt. Er schloss aber auch einen Terroranschlag nicht aus. Das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) warnen bereits seit Sommer vor mutmaßlichen Sabotageangriffen auf den Luftverkehr. Es bestehe derzeit »eine besondere Gefährdungslage im Zusammenhang mit unkonventionellen Brandvorrichtungen in Paketsendungen«. Die Behörden baten die Logistikbetriebe deshalb darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu sensibilisieren und geeignete Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Konkrete Anhaltspunkte, dass ein Spreng- oder Brandsatz zum Absturz der Maschine geführt haben könnte, lagen den deutschen Behörden bislang nicht vor.
Lesen Sie hier die ganze Recherche: Anstelle einer Antwort nur ein Knacken
3. Stahl in der Krise
Nach den angekündigten Werkschließungen bei Volkswagen schlägt nun ein weiteres Traditionsunternehmen einen harten Sparkurs ein: Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel will bis zum Jahr 2030 Produktionskapazitäten im Ruhrgebiet senken, etwa 5000 Stellen in der Produktion abbauen und einen Standort schließen. Das geht aus den Eckpunkten für ein Zukunftskonzept hervor, die der Konzern heute vorgestellt hat.
Der Mutterkonzern Thyssenkrupp AG versucht seit Jahren, sich von der krisenanfälligen Stahlsparte zu lösen. Die Werke haben derzeit nur wenige Aufträge, die Stahlpreise sind im Keller, Thyssenkrupp verweist zudem auf »steigende Billigimporte, insbesondere aus Asien«. Hinzukomme der milliardenschwere Umbau weg von Hochöfen, die Eisenerz mithilfe von Kohle zu Roheisen verarbeiten, aus dem dann der Stahl wird – ein sehr klimaschädlicher Prozess.
Den Stahlriesen zukunftsfähig schrumpfen, kann das funktionieren? »Die Stahlkonzerne wissen, dass ihre kohlebasierten Hochöfen langfristig keine Zukunft in Deutschland haben dürften«, sagt mein Kollege Benedikt Müller-Arnold. »Die Voraussetzungen für eine ›grüne‹ Stahlproduktion in Deutschland sind schwierig: Strom ist vergleichsweise teuer, grüner Wasserstoff ist absehbar knapp, auch der Übergangsenergieträger Erdgas ist strukturell teurer als vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Langfristig drohen zumindest Teile der Stahlproduktion aus Deutschland abzuwandern – in Staaten mit günstiger, klimafreundlicher Energie.«
Eine Chance für die Stahlbranche sieht Benedikt »in Spezialitäten, zum Beispiel in besonders dünnen und leichten Stählen für die Autoindustrie«. Und es komme darauf an, ob Abnehmerbranchen bereit sind, einen Aufpreis für »grünen« Stahl made in Germany zu bezahlen.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Thyssenkrupp Steel will 5000 Stellen abbauen
Was heute sonst noch wichtig ist
Wo man in Deutschland die höchsten Renten bekommt: Jemand, der in Deutschland Altersrente bezieht, erhält im Schnitt 1.623 Euro brutto. Der Wert wäre noch höher, würde man die Beiträge in Ostdeutschland nicht in die Betrachtung aufnehmen. Und die von Frauen.
Mitglied der »Vereinten Patrioten« zu zweieinhalb Jahren verurteilt: Er war bereit, Waffen in seiner Garage zu lagern: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat einen Mann verurteilt, der Teil einer »Reichsbürger«-Gruppe gewesen sein soll, die einen gewalttätigen Umsturz plante.
Touristenboot mit 45 Menschen an Bord vor Ägypten gesunken: Die Motorjacht »Sea Story« sollte Taucher zu Korallenriffen bringen, am frühen Montagmorgen ist sie vor der ägyptischen Küste gesunken. An Bord waren 31 Touristen und die 14-köpfige Crew. Die Marine sucht nach Überlebenden.
Mein Lieblingsformat heute: Der Schach-Liveticker
Herausforderer Dommaraju Gukesh, Titelverteidiger Ding Liren
Foto: Then Chih Wey / Xinhua / IMAGOFischer gegen Spasski, Karpow gegen Kasparow, Carlsen gegen Niemann – die an legendären Duellen reiche Geschichte des Schachs erfährt derzeit ein weiteres außergewöhnliches Aufeinandertreffen: Ding Liren und Dommaraju Gukesh messen sich bei der WM in Singapur. Hier der an einer Depression erkrankte chinesische Titelverteidiger, dort das gut aufgelegte Wunderkind aus Indien. Auf der einen Seite des Bretts ein zerknirschter Taktiker, auf der anderen ein kühner Stürmer. Meine Kollegen Henrik Bahlmann und Florian Pütz schaffen es in ihrem Liveticker, dass sich auch Laien wie ich bestens unterhalten und informiert fühlen. Die erste Partie konnte Ding Liren nach einer furiosen Aufholjagd für sich entscheiden. Hier finden Sie den zu einer Blitzanalyse umgewandelten Liveticker zum Nachlesen (und Nachziehen):
Morgen folgt der nächste Schachkrimi!
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Ist Deutschland ein Paradies für Blaumacher? Der Krankenstand ist so hoch wie seit Jahren nicht. Die Wirtschaft ächzt unter den Kosten. Unternehmen schicken Detektive los, um Krankgeschriebene zu observieren .
»Fast alles, was uns herausfordert, ist gut für uns«: Philippa Perry ist Psychotherapeutin und erfolgreiche Buchautorin. Hier sagt sie, wie uns eine düstere Weltlage beeinflusst – und warum schon ein Stück Papier helfen kann, seelisch gesund zu bleiben .
Ein Formtief? Oder der Anfang vom Ende der Guardiola-Ära? Der finanzstärkste Klub der Welt, der wohl beste Trainer, und dann das: Fünfmal in Folge hat Manchester City inzwischen verloren. Das 0:4 gegen Tottenham zeigte, wie grundsätzlich die aktuellen Probleme sind .
Was heute weniger wichtig ist
Adios, Las Vegas: 100 Auftritte in zwei Jahren, 100 »Weekends With Adele« im Colosseum des Caesars Palace – doch nun ist Schluss: Sängerin Adele, 36, hat sich beim letzten Auftritt ihrer Showreihe in Las Vegas unter Tränen von ihren Fans verabschiedet und ihre Ungewissheit über ihre nächsten Schritte ausgedrückt. »Ich mache mir wirklich in die Hose bei der Frage, was ich tun werde«, sagte die Sängerin laut Fan-Videos von der Show, die in den sozialen Medien geteilt wurden. »Ich habe keine Pläne, verdammt.« Sorgen machen müssen sich ihre Fans allerdings nicht. Die Britin hatte zwar eine Auszeit angekündigt, versicherte nun aber auch, dass sie »auf jeden Fall« irgendwann wieder Konzerte geben werde: »Das Einzige, worin ich gut bin, ist Singen.«
Mini-Hohlspiegel
Preisschild in einem Müller-Drogeriemarkt in Blaubeuren (Bad.-Württ.)
Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Foto: Illustration: Klaus StuttmannGlühwein in klassischen Kitschtassen: Wenn er gut ist, schmeckt er nach Wein
Foto: Alexander Spatari / Getty ImagesDer Weihnachtsmarkt in meiner Nachbarschaft, das ist eine nicht ohne Naserümpfen vorgetragene gefühlte Wahrheit, öffnet jedes Jahr eine Woche früher. Ich habe es bereits vor Augen, spätestens 2030: Glühweinjunkies in kurzen Hosen, Winterwonderland im Spätsommer. Nun ist Totensonntag aber passé, und auch Traditionalisten dürfen sich endlich Glühwein, Glögg und Punsch hinter die Binde und auf den Kaschmirschal kippen. Woran man guten Glühwein erkennt und worauf man am Stand achten sollte, hat mein Kollege Malte Göbel für Sie zusammengetragen.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Florian Merkel, Chef vom Dienst