News des Tages: Angriff auf Iran, Autofreies Berlin, »Compact«-Verbot gekippt

vor 8 Stunden 1

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1. Sind Trump und Netanyahu doch schlauer als wir dachten?

 Moment der demonstrierten Entschlossenheit

Partner Netanyahu, Trump im April: Moment der demonstrierten Entschlossenheit

Foto: Saul Loeb / AFP

Als Donald Trump 2016 zum ersten Mal zur US-Präsidentschaftswahl antrat, verkauften seine Leute Kaffeetassen mit der Aufschrift »Finally someone with balls«: Endlich einer, der Eier hat. »Ja, leider«, dachte man als postheroisch sozialisierter Beobachter seither oft, wenn man mal wieder Zeuge von Trumps Angeberei, Rüpelhaftigkeit und Aggressivität wurde.

Doch seit dem Wochenende schleicht sich der Gedanke ein: Was, wenn Trump richtig lag mit seiner Entscheidung, an der Seite von Benjamin Netanyahu den Ajatollahstaat Iran mit bunkerbrechenden Bomben anzugreifen? Noch gibt es aus den iranischen Atomanlagen keine klaren Informationen über das Ausmaß der Zerstörung. Doch es ist davon auszugehen, dass die Bomben eine mögliche Produktion von iranischen Atomwaffen mindestens um Jahre zurückgeworfen haben. Und zwar, ohne dass sich Sorgen vor einer Ausweitung des Kriegs in der Region bewahrheitet haben. (Hier mehr dazu .)

Um es einmal klar zu sagen: Durch Trumps Einsatzbefehl, vor dem viele Militärstrategen gewarnt hatten, der womöglich gegen das Völkerrecht verstieß, den der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) mit Knittergesicht »bedauerlich« nannte, hat die Welt erstmal eine große Atomsorge weniger. Dafür danke!

Mein Kollege Mathieu von Rohr, Leiter unserer Auslandsressorts, analysiert die Lage so: »Sollte die Waffenruhe halten, sieht es so aus, als wäre Donald Trumps riskanteste außenpolitische Wette vorerst aufgegangen. Er hat getan, was wohl alle US-Präsidenten seit Bill Clinton überlegt und verworfen hatten – auch er selbst in seiner ersten Amtszeit. Für Netanyahu ist es die Erfüllung eines 30 Jahre alten Plans. Für Trump ein Moment der Machtdemonstration.« Kurzfristig, so Mathieu, sei damit »ein Best-Case-Szenario« eingetreten.

Es gebe aber vier wichtige offene Fragen.

  1. Hält die Waffenruhe, oder läuft es auf regelmäßige Bombardierungen in beiden Richtungen hinaus?

  2. Was wird aus den 400 Kilogramm hochangereicherten Urans, dass Iran bereits hergestellt hat und nun womöglich irgendwo versteckt?

  3. Werden Irans Machthaber von den militärischen Revolutionswächtern ersetzt, die dann noch repressiver gegen die Bevölkerung vorgehen?

  4. Wie wird aus dem Militärerfolg der Israelis eine Friedensstrategie für Nahost?

Ich glaube, es ist zu früh, um Trump und Netanyahu in diesem Fall zu Siegern der Geschichte zu erklären. Aber die Möglichkeit besteht, dass sie es sind.

2. Dürfen Berliner nur noch zwölfmal im Jahr in die City fahren?

In Berlin, der Laborstadt für originelle Ideen aller Art, wird der Verfassungsgerichtshof des Landes morgen über einen Plan entscheiden, laut dem man als Privatperson künftig nur noch höchstens zwölfmal im Jahr mit dem Auto in die City fahren darf. Per Sondererlaubnis, etwa bei einem Umzug. Die Initiative »Volksentscheid Berlin autofrei« hatte dafür bereits 2021 mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt. Sie scheiterte aber am Berliner Senat. Nun soll das Gericht entscheiden.

»Juristen sehen in dem Berliner Verfahren einen Präzedenzfall«, schreibt mein Kollege Haiko Prengel. Er zitiert einen Rechtswissenschaftler: Werden Belange der Anlieger angemessen gewahrt, könne eine ganze Innenstadt zur »groß angelegten Fußgängerzone« umgewandelt werden, wie es die Berliner Initiative wolle. »Verfassungsrechtlich geht das.«

Ein Vertreter der Initiative vergleicht den Vorstoß für eine autofreie Stadt mit dem Rauchverbot in Gaststätten. Auch hier seien Freiheitsrechte beschränkt worden, weil die Mehrheit der Bürger gesundheitlich profitiere. »Wenn wir den Autoverkehr stark reduzieren, wird das genauso sein.«

3. Ein Schmierblatt darf weitermachen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute das Verbot der »Compact«-Magazin GmbH aufgehoben. Das rechtsextreme Blatt darf weiter erscheinen und auch seine Online-Kanäle bespielen. Im Sommer letzten Jahres hatte die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versucht, »Compact« zu verbieten. Doch schnell hatten die Bundesrichter das Verbot vorläufig ausgesetzt, bevor es nun eine endgültige Entscheidung gab. Eine Klatsche für Faeser, deren Rücktritt zu fordern sich freilich erübrigt hat.

»Compact«-Chef Jürgen Elsässer zog kurz nach dem Urteil sein Hemd aus. Darunter trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift »Bundesregierung Besieger« und kommentierte: »Frau Faeser ist weg, ›Compact‹ wird bleiben.«

Meine Kollegin Wiebke Ramm, die den Prozess beobachtet hat, schreibt, dass das Verbot wohl nur knapp gescheitert ist: »Die Richter machten klar, dass etwa das »Remigrationskonzept«, das viel Raum in den verschiedenen »Compact«-Medien bekommen habe, klar verfassungsfeindlich ist.« Tatsächlich unterhält »Compact« enge Verbindungen zum völkischen Flügel der AfD und zur rechtsextremen Kleinpartei »Freie Sachsen«. Die Beiträge verbreiten Verschwörungstheorien, prorussischer Propaganda und Antisemitismus.

Doch das alles reichte für ein Verbot nicht aus. »Polemisch zugespitzte Machtkritik« sei von der Pressefreiheit gedeckt, so das Gericht. Ebenso »Verschwörungstheorien und geschichtsrevisionistische Betrachtungen.«

Welche Konsequenzen lassen sich aus dem Urteil ziehen? Womöglich wirft es ein neues Licht auf den weiteren Umgang des Rechtsstaats mit der AfD. Die Partei zu verbieten, dürfte mit dem heutigen Tag nicht leichter geworden sein.

Vor allem aber zeigt das Urteil, dass die via »Compact« verbreitete Opfererzählung, man lebe in Deutschland in einer Meinungsdiktatur, genauso falsch ist wie der Rest der Berichterstattung. Die Meinungsfreiheit gilt sogar für Stuss und Schwachsinn. »Compact« ist kein Opfer der Verhältnisse, sondern ihr Profiteur.

Was heute sonst noch wichtig ist

  • In Den Haag beginnt am Abend der Nato-Gipfel. Im Vorfeld wütet Donald Trump. Und Nato-Chef Rutte schickt servile Botschaften an den US-Präsidenten. Alle Ereignisse in der Liveanalyse.

  • Vier Erkenntnisse aus der Regierungserklärung des Kanzlers: US-Militärschläge gegen Iran, Krieg in der Ukraine, das Verhältnis zum Außenminister – und ein neuer Ton: Vor dem Bundestag macht Friedrich Merz deutlich, wie er Deutschlands künftige Rolle in der Welt sieht .

  • In Deutschland können sich 17,4 Millionen Menschen keine einwöchige Urlaubsreise leisten: Viele Menschen in Deutschland können sich keine längere Urlaubsreise leisten. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Eine Bevölkerungsgruppe trifft es besonders hart.

  • WHO verlangt höhere Tabaksteuern in Deutschland: Die Weltgesundheitsorganisation wirft Deutschland eklatante Mängel im Kampf gegen Nikotinsucht vor. Vor allem die Rauchverbote in öffentlichen Räumen seien völlig unzureichend.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Campen in Südeuropa

 Was erlaubt ist und was nicht, darüber sollten sich Camperinnen und Camper gut informieren

Am Meer geparkter Bulli: Was erlaubt ist und was nicht, darüber sollten sich Camperinnen und Camper gut informieren

Foto:

MarioGuti / iStockphoto / Getty Images

Wie gefühlt jeder Zweite in Deutschland träume ich davon, mit einem Campervan auf Reisen zu gehen. Die Frage »Ford Nugget oder VW California?« begleitet mich in den Schlaf. Dementsprechend gespannt war ich auf den Report meines Kollegen Philipp Laage zum Thema, wie die Camperregeln für Südeuropa sind. Denn darum geht es ja beim Vanlife: um die Freiheit, einfach überall hinzufahren, wo es einem gefällt.

Leider hatte Philipp keine guten Nachrichten für mich. In Griechenland gilt seit diesem Jahr, dass Wildcampen an Küsten, archäologischen Stätten sowie an Wäldern verboten ist. Ebenso in Wohngebieten. Also praktisch überall. Wehe, man setzt sich im Stühlchen vor den Bus. Es drohen Strafen von bis zu 3000 Euro.

Ähnlich ist es offenbar in Italien, Kroatien, Spanien, Portugal und auch in Frankreich. Wobei es dort immerhin zahlreiche Campingplätze zu bezahlbaren Preisen gibt.

Constantin Hack vom Autofahrerverein ACE, selbst passionierter Camper, gab meinem Kollegen den Rat, lieber in der Nebensaison zu fahren, da »besteht wenig Verfolgungsdruck«. Oder ins Baltikum. Er selbst mache dieses Jahr Urlaub auf Sardinien – im Ferienhaus.

Womöglich sollte ich meinen Traum von einem Campermobil überdenken. Für den Preis eines Ford Nugget oder VW California könnte man jedenfalls sehr lange in Ferienhäusern mit Toplage Urlaub machen.

Was heute weniger wichtig ist

Foto: Collin Xavier / Image Press Agency ABACAPRESS / IMAGO

Ire geworden: U2-Gitarrist David Howell Evans, 63, Spitzname »The Edge«, hat nach 62 Jahren die irische Staatsbürgerschaft bekommen. Wie der irische Sender »rte« berichtet, war er einer von Tausenden Menschen, die am Montag in Killarny an einer Einbürgerungsfeier teilnahmen. Evans ist Sohn walisischer Eltern und wurde in England geboren. Als er ein Jahr alt war, zog seine Familie nach Irland. 1976 gründete er zusammen mit Klassenkameraden in Dublin die Rockband U2. Er habe sich immer irisch gefühlt, sagte Evans. »Und ich könnte nicht stolzer auf mein Land sein, auf alles, was es repräsentiert, und auf alles, was es tut.«

Mini-Hohlspiegel

Aus den »Badischen Neuesten Nachrichten«

Aus den »Badischen Neuesten Nachrichten«

Heute haben wir wieder ein Rätsel für Sie, unser Wabenrätsel. Die gute Nachricht: Als Leser und Leserin unserer Lage am Abend erfahren Sie einen Buchstaben vorab. Die gesuchte Ostseeinsel startet mit U. Los geht’s, hier können Sie spielen.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Thomas Plaßmann

Foto:

Julius Maxim / SPIEGEL Geschichte

Könnten Sie ein Buch lesen. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat der FAZ-Journalist Jochen Buchsteiner eine Familiengeschichte aufgeschrieben, in der Deutsche nicht nur Täter, sondern auch Opfer sind: Vertriebene, Verlorene, Traumatisierte. Das ist eine Provokation, auch nach so langer Zeit. Man könnte fragen: Relativiert Buchsteiner nicht die deutsche Schuld am Weltkrieg? Verdreht er nicht Ursache und Folge, wenn er Sätze schreibt wie diese: »Es begannen zwei grauenhafte Tage. Von morgens bis abends richteten russische Flieger das Feuer auf die Flüchtlinge«?

Buchsteiner schreibt über seine Großmutter Else, die im Januar 1945 vor der heranrückenden Roten Armee aus Ostpreußen floh. Er hat ihre Flucht vom Familiengut in Gößlack übers zugefrorene Frische Haff bis ins Nordhessische akribisch rekonstruiert. Die Großmutter hatte eine grüne Kladde mit handschriftlichen Notizen hinterlassen. Buchsteiner reiste in die alte Heimat, ging in Archive, sprach mit Historikern.

Doch er beschäftigt sich nicht nur mit der Flucht seiner Großmutter, sondern auch mit der Frage, wie verdruckst in Deutschland nach dem Krieg über das Thema Flucht und Vertreibung gesprochen wurde, in den Familien, aber auch in der Politik. Womöglich hätten die Alten in Ruhe gelassen werden wollen, verschont von den »wahrhaft peinigenden Fragen: Was sie genau erlebt haben. Wie sie damit umgegangen sind. Wie sie in ihrem Innern Schuld gegen Leid ausbalancieren. Wie es in ihrem Gewissen aussieht.« Aber Buchsteiner schreibt auch: »Haben wir Kinder und Enkel genügend nachgefragt? Haben wir es wirklich wissen wollen?«

Und heute? Buchsteiner vertritt die These, dass die Vertreibung von Millionen Deutschen aus den damaligen Ostgebieten ein erstaunlich unterbelichtetes Thema sei, eine »Randnotiz des deutschen Jahrhundertverbrechens«, eine »Fußnote der Nationalerzählung«. Er tut das ohne jeden revanchistischen oder irgendwie deutschtümelnden Ton. Aber es wird schon klar, dass er hier ein Versäumnis sieht, etwa wenn er seinen Besuch im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung und Versöhnung in Berlin so beschreibt: »Wer etwas über Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten lernen will, muss sich zu einer vergleichsweise kleinen Abteilung im ersten Stock durchschlagen. Auf dem Weg dorthin wird er pädagogisch präpariert: Er lernt anhand vieler Beispiele, dass es sich bei Flucht und Vertreibung vor allem um ein universelles Phänomen handelt.«

»Wir Ostpreußen« hat Buchsteiner sein Buch genannt. Tatsächlich hat er geschafft, aus der Kladde seiner Großmutter eine Geschichte über Deutschland zu machen, über eine Gesellschaft, die ihre Kriegsverletzungen bis heute mitschleppt. (Lesen Sie hier mehr .)

Einen schönen Abend. Herzlich

Ihr Alexander Neubacher, Blattmacher in der Chefredaktion

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