Neue Farbe für Wände: Nachhaltig durch Pilze und Algen?

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Normalerweise versuchen Hausbesitzer, Pilze und Algen von Hauswänden fernzuhalten. Doch in einem frisch gestarteten Projekt setzen Forschende auf genau diese Komponenten für Fassaden. Das soll der Nachhaltigkeit dienen.

Dass Mikroorganismen im Darm oder auf der Haut nützlich sein können, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Ähnliches gilt offenbar für Hauswände. Davon ist zumindest ein Forschungsteam aus Österreich, Slowenien und den Niederlanden überzeugt. Im Projekt REMEDY, das von der European Innovation Council mit insgesamt knapp drei Millionen Euro finanziert wird, entwickelt die Gruppe eine Tinte aus Algen und Pilzen, die vor anderen schädlichen Mikroben schützen, Schadstoffe filtern und das Treibhausgas Kohlendioxid speichern kann. Die Tinten sollen tattoo-artig auf die Gebäudehaut aufgedruckt – und nicht wie Farbe aufgestrichen werden.

"Das Ziel ist ein nützliches Mikrobiom für Gebäude, das widerstandsfähig ist und oberflächliche Risse selbstständig repariert", sagt Carole Planchette von der Technischen Universität Graz. Das Potenzial sei "sehr groß". Laut der Europäischen Umweltagentur würden in den nächsten 25 Jahren europaweit Gebäudefassaden und Dächer mit einer Gesamtfläche von 9,4 Milliarden Quadratmeter renoviert oder neu gebaut werden. "Mikrobiologische Lebensgemeinschaften auf Dächern und Fassaden könnten zahlreiche Funktionen übernehmen, ohne dabei knappe, unbebaute Flächen zu beanspruchen", glaubt die Ingenieurin.

Die dafür geeigneten Kompositionen aus Pilzen und Algen müssen erst noch entwickelt werden. Daran arbeiten zurzeit Forscherinnen und Forscher an der Universität Ljubljana, Slowenien. Es taugten vorwiegend solche Mikroben aus der Umwelt, die genügsam in der Ernährung und besonders robust seien, erklärt die Projektkoordinatorin Anna Sandak, die das Kompetenzzentrum InnoRenew CoE in Slowenien leitet. Die winzigen Organismen müssen schließlich nicht nur Wind, Regen und Sonnenstrahlung standhalten, sondern auch den Druckprozess überleben.

An der TU Graz testet das Team um Planchette zudem weitere Tintenzutaten, und es entwickelt gemeinsam mit Industriepartnern geeignete Drucktechnologien für horizontale und vertikale Flächen. Am Ende sollen die Mikrobentattoos auf Beton genauso gut haften wie auf Holz oder Metall.

Am Design der Druckerdüsen muss ebenfalls noch gefeilt werden. Denn die mikrometergroßen Organismen könnten verklumpen und Druckerdüsen mit üblichen Abmessungen verstopfen. Die womöglich größte Herausforderung ist es laut Planchette, einen reproduzierbaren Prozess hinzubekommen. "Lebende – also sich wandelnde – Tinten für industrielle Prozesse wie den Tintenstrahldruck zu verwenden, ist absolutes Neuland", sagt sie.

Auch die Frage der Akzeptanz spiele eine wichtige Rolle, räumt Projektkoordinatorin Sandak ein. Schließlich versuchen Gebäudeeigentümer bisher eher, Pilze und Algen von den Hauswänden fernzuhalten – oft mit umweltschädlichen biozidhaltigen Anstrichen. Um gegenzuhalten, setzt das Team auf eine transparente Kommunikation zum ökologischen Nutzen und auf die Beteiligung der Öffentlichkeit an ersten Projekten.

Auch im Labor hätten die Forschenden potenzielle ästhetische und womöglich auch hygienische Bedenken auf dem Schirm, berichtet Sandak. "Unser Ziel ist, mikrobielle Muster zu entwickeln, die nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend und kontrollierbar sind." Ob dieses Ziel erreicht werden kann, wird vermutlich spätestens nach Projektende in vier Jahren zu erfahren sein. Erst wenn die ersten lebenden Tattoos an echten Fassaden prangen, kann ermittelt werden, was das maßgeschneiderte Mikrobiom an der Hauswand wirklich kann.

Dieser Beitrag ist zuerst bei t3n.de erschienen.

(vza)

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