Naher Osten: Wird dieser Mann Abbas nachfolgen?

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Eine Werkstatt in Nablus, im Westjordanland, ein Sofa ist gerade fertig geworden, auch ein Sessel, beide mit Füßen aus weich geschliffenem Holz und hellgrauen Polstern. Inhaber Saher Ba’arah sitzt mit dunklen Schatten unter den Augen an seinem Schreibtisch und sagt, dass er früher viele Werkstücke nach Israel geliefert habe, doch seit es Krieg in Gaza gibt, haben sich auch seine Geschäfte verändert. Die Verkäufe sind eingebrochen, hier in Nablus, der Stadt, die bekannt ist für ihre Möbelmanufakturen.

Denn Händler, die etwa Stoffe nach Nablus und später die Sofas zu den Kunden bringen, müssen mittlerweile mit langen Fahrtzeiten rechnen. Die unzähligen Straßensperren der Israelis in dem besetzten Palästinensergebiet machen sämtliche Fahrten unplanbar.

Und auch die Kunden, die hier leben, hätten kaum noch Geld für ein neues Sofa, sagt Ba’arah. Viele Palästinenser, die vorher in Israel zur Arbeit gingen, haben ihre Genehmigung verloren und damit ihren Job. Staatsbedienstete wie Lehrer mussten ebenfalls auf ihre Löhne verzichten, auch, weil Israel einen Teil der Steuern der Palästinenser eingefroren hat. Seit dem Angriff der islamistischen Organisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem mehr als 1200 Menschen starben und 251 entführt wurden, haben sich die Lebensbedingungen für viele Menschen, die in palästinensischen Gebieten leben, deutlich verschlechtert.

Abbas und seine hochbetagte Clique sind unter vielen Palästinensern verhasst

In Gaza herrscht Krieg. Israel hat mehr als zwei Drittel des abgeriegelten Gebiets zu No-Go-Areas oder Evakuierungszonen erklärt. Noch immer sind Nahrungsmitteleinfuhren untersagt, und in den kommenden Tagen will Israel die Kämpfe wohl noch ausweiten. Die Not der Menschen an der Küste ist groß, im Westjordanland operiert das israelische Militär immer wieder in Flüchtlingslagern. „Es gibt manche Monate, in denen wir überhaupt nichts verkaufen“, sagt Saher Ba’arah. „Was wir brauchen, ist eine Politik der Versöhnung.“ Doch politische Entscheidungen trifft seit mehr als zwanzig Jahren ein und derselbe Mann: Mahmud Abbas, 89 Jahre alt. Er ist der Präsident des Palästinensergebietes, das kein Staat ist, und hat das System mittlerweile auf sich zugeschnitten. Dass er und seine Vertrauten die Situation verbessern könnten, glaubt der Möbelhändler schon lange nicht mehr. „Sie managen die Krise nur und lösen sie nicht“, sagt er.

Abbas und seine hochbetagte Clique sind unter vielen Palästinensern verhasst. Denjenigen, die sich einen stärkeren Widerstand gegen die israelische Besatzung wünschen, gilt er als zu angepasst. Jüdische Siedler, die seit einigen Jahren auch die Regierungspolitik Israels bestimmen, haben ihre Ortschaften in die Hügel des Westjordanlands gebaut, Straßen gezogen und entgegen allen Vereinbarungen immer neue Außenposten errichtet. Siedler gehen teils brutal gegen die palästinensische Bevölkerung vor, die israelische Armee beschützt sie. Abbas lässt die Israelis auf Grundlage einer Sicherheitskooperation gewähren und genießt im Gegenzug das Vertrauen der Besatzer – und erhält auch so seine Macht.

Vor einer Woche hat der Palästinenserpräsident nun zum ersten Mal einen Stellvertreter im Exekutivkomitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation ernannt, welches das zentrale politische Organ ist. Hussein al-Scheich, 64 Jahre alt, nennt sich nun „Vizepräsident des Staates Palästina“ und könnte Abbas im Falle dessen Todes wohl nachfolgen – allerdings ist er nicht der Einzige, der dafür infrage kommt.

Mahmud Abbas hat seit 2005 keine Präsidentschaftswahlen mehr zugelassen

Al-Scheich gilt als ein Mann, der schon lange die Gespräche mit Vertretern Israels und den USA führt. Auch in arabischen Staaten sei er gut vernetzt, heißt es über ihn. Ahmad Majdalani, der ebenfalls im Exekutivkomitee sitzt, sagt, al-Scheich werde bald vom Präsidenten mit einzelnen Aufgaben betraut. „Innerhalb eines Jahres“ werde es außerdem Wahlen geben, sagt er der SZ in seinem Büro in Ramallah.

Mahmud Abbas hat seit 2005 keine Präsidentschaftswahlen mehr zugelassen. 2006 gewann die Hamas die Wahlen zum Legislativrat, einer Art Parlament, welches seit 2007 allerdings nicht mehr getagt hat und mittlerweile als aufgelöst gilt. Die Ernennung eines Stellvertreters durch Abbas, für Ratebeh Al-Natsheh von der linken Palästinenserpartei Fida ist diese Reform „einfach ein Witz“. Nicht nur, weil Abbas seinem Vize die zugewiesenen Aufgaben wieder entziehen kann. Sondern auch, weil er erst im November erklärt hatte, dass ein anderer Mann sein Amt innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde übernehmen soll, sollte er nicht mehr sein: Rauhi Fattuh. Als sei dies nicht genug, gibt es innerhalb seiner Partei Fatah noch einen dritten Stellvertreter und somit möglichen Nachfolger: Mahmoud Aloul.

Die Politikerin Ratebeh Al-Natsheh ist halb so alt wie Abbas. Am Dienstagabend sitzt sie in einem modernen Büro in Ost-Jerusalem, von dem aus sie mit ihrem Mann eine Bauingenieurfirma führt. Für sie war die Ernennung al-Scheichs lediglich ein Versuch des Präsidenten, seine Nachfolge weiter im Unklaren zu halten, um seine eigene Position zu stabilisieren. Sie kritisiert die Entscheidung: „Wir können nicht noch mehr Verwirrung gebrauchen in dieser Situation“, sagt sie. Bei all den Toten in Gaza, den Vertreibungen innerhalb des Westjordanlands und der Position der israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, keinen palästinensischen Staat zulassen zu wollen, brauche das palästinensische Volk jetzt Führung. Oder zumindest kreative Ideen, wie es seiner immer perspektivloseren Lage begegnen könnte.

Eine Mehrheit der Palästinenser, das zeigen Umfragen, sieht es wie sie: Der Führungszirkel um Abbas wird als intransparent wahrgenommen, als korrupt und unfähig, die wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern oder die Rechte der Menschen unter der Besatzung zu verteidigen.

Dass Netanjahus Regierung einen souveränen Palästinenserstaat ablehnt, ist allen ohnehin klar

Der Vorsitzende der gemäßigten Palästinensischen Nationalen Initiative, Mustafa Barghouti, war bei der letzten Wahl 2005 Präsidentschaftskandidat. Damals holte er 20 Prozent der Stimmen, und noch heute prognostizieren im Umfragen hohe Zustimmungswerte. Barghouti ist 71 Jahre alt und engagiert sich mittlerweile bei einer medizinischen Hilfsorganisation für Palästinenser, in Ramallah ist sein Büro. Barghouti sagt, egal welcher Stellvertreter nach einem Tod von Abbas nachfolgen würde, Legitimität als neuer Präsident könne er ohnehin nur durch Wahlen erhalten. „Unsere Regeln sind sehr klar“: Im Fall von Abbas’ Tod würde der Vorsitzende des Parlaments die Führung übernehmen, nach 60 Tagen müsse es Neuwahlen geben. Der Zweck der Ernennung von Hussein al-Scheich zum Stellvertreter, dieser sogenannten „Reform“, sei lediglich, solche Wahlen zu unterbinden, meint Barghouti.

In Israel schaut man skeptisch auf diese möglichen Wahlen. Nicht, dass die Hamas wieder Stimmen gewinnt, jene Organisation, die für das Massaker im Oktober 2023 Verantwortung trägt. Dass Netanjahus Regierung einen souveränen Palästinenserstaat ablehnt, ist allen ohnehin klar. Die Verbindungen zwischen Palästinensern in Gaza und dem Westjordanland sind nicht erst seit dem Krieg gekappt, und der Landstrich im Osten Israels ist aufgrund der vielen israelischen Siedlungen schon lange kein zusammenhängendes Staatgebiet mehr. Mustafa Barghouti, der Präsidentschaftskandidat von damals, spricht mittlerweile über eine andere Lösung: einen gemeinsamen Staat von Palästinensern und Israels, nach dem Vorbild Südafrikas. „Wir fordern einen Staat, weil wir sehen, dass zwei Staaten unmöglich geworden sind“, sagt er: „Wenn Netanjahu zwei Staaten ablehnt, was will er dann tun?“ Barghouti glaubt, dass der Plan der aktuellen israelischen Regierung die Vertreibung aller Palästinenser ist. Und die Verhinderung dessen die wichtigste politische Aufgabe der Zukunft.

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