Mit dieser Reaktion war zu rechnen: Am Montagabend haben 20 israelische Kampfflugzeuge Angriffe gegen den strategisch wichtigen Hafen Hodeidah in Jemen und andere Ziele ausgeführt. Der Armee zufolge wurde dabei „Terrorinfrastruktur“ sowie „zentrale Zulieferungsrouten“ für iranische Waffen zerstört. Nach Angaben der Huthi-Miliz, die den Hafen kontrolliert, wurde mindestens ein Mensch getötet. Die Huthi feuern seit bald zwei Jahren aus Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen regelmäßig Raketen auf Israel ab. Erst am Sonntag war eine Rakete der Huthi nahe dem internationalen Flughafen von Tel Aviv eingeschlagen.
Die von Premier Benjamin Netanjahu angekündigte Vergeltung gegen die 2000 Kilometer entfernte jemenitische Miliz ist damit erfolgt, doch die Zerstörungen am Ben-Gurion-Flughafen erinnerten viele in Israel daran, dass diese Front trotz aller militärischer Überlegenheit gefährlich bleibt. So steuern Fluglinien wie Lufthansa oder British Airways Tel Aviv für einige Tage nicht an.
Brisanter ist die Lage an einer anderen Front, nur einige Dutzend Kilometer entfernt: im Gazastreifen. Von dort aus hatte die Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfallen, fast 1100 Israelis und 71 Ausländer ermordet und 250 Geiseln verschleppt.
Eine Reise von Trump an den Golf will Israels Regierung noch abwarten
Nachdem das israelische Sicherheitskabinett am Sonntag beschlossen hat, den Gazastreifen dauerhaft besetzen und die Hamas „endgültig“ besiegen zu wollen, tragen israelische Medien immer mehr Details zusammen. Unstrittig ist, dass die in Teilen rechtsextreme Regierung Netanjahus noch die Reise von US-Präsident Donald Trump nach Saudi-Arabien, Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate abwarten wolle. Diese soll am 15. Mai enden. Sollte danach keine Einigung über eine Waffenruhe und die Freilassung der verbliebenen Geiseln erreicht werden, würden erneut Zehntausende israelische Soldaten in das Küstengebiet einmarschieren.
Eine vorläufige Waffenruhe, die vor Trumps Amtsantritt ausgehandelt wurde, hat Israel Ende März aufgekündigt und lässt seither nur wenige Hilfslieferungen nach Gaza. Dort leben etwa zwei Millionen Menschen, seit Beginn des Krieges wurden mehr als 52 000 Tote gezählt.
Die Deadline der Trump-Reise lehnt die Hamas jedoch in Stellungnahmen für die BBC und mehrere Nachrichtenagenturen ab. „Angesichts des Hungerkriegs, den Israel im Gazastreifen führt, haben Verhandlungen oder die Auseinandersetzung mit neuen Vorschlägen keinen Sinn“, sagte Basim Naim vom Politbüro der Hamas. Nachdem europäische Länder wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die Vereinten Nationen Israels Pläne kritisiert haben, fordert Naim noch mehr internationalen Druck.
Ob die Regierung der USA, von deren Militärhilfe Israel abhängig ist, dazu bereit ist, bleibt offen. Am Montagabend sagte Trump über die Lage der Palästinenser in Gaza: „Die Leute verhungern und wir werden ihnen helfen, Essen zu bekommen.“ Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats erklärte, der US-Präsident wolle weiter „die sofortige Freilassung der Geiseln und ein Ende der Hamas-Herrschaft in Gaza“ erreichen.
Eine offizielle Untersuchung zum Massaker vom 7. Oktober verhindert Netanjahu weiterhin
Mit Netanjahu sympathisierende Medien wie Israel Hayom werfen der Hamas vor, für die Nahrungsmittelknappheit im Gazastreifen verantwortlich zu sein. Sie veröffentlichen Artikel, wonach auch moderne Smartphones in das Küstengebiet eingeschmuggelt werden. Hingegen attackieren Zeitungen wie Haaretz oder Maariv den Ministerpräsidenten scharf. Deren Experten bezweifeln nicht nur, dass eine Zerschlagung der Hamas möglich sei. Die Umsetzung des Plans würde in ein „Desaster“ führen; es würden Geiseln, israelische Soldaten und unzählige Palästinenser sterben. Sie werfen wie die Opposition und die Angehörigen der Geiseln Netanjahu vor, seinem politischen Überleben alles unterzuordnen.
Sicherheitsexperte Amos Harel wirft dem 75-Jährigen in Haaretz vor, die Lage in Gaza nur deswegen zu eskalieren, damit Israel nicht zur Normalität zurückkehren kann. Weder die Bedrohung Israels durch die Huthi noch Israels selbst erklärte Aufgabe als Schutzmacht der Drusen vor dem neuen Regime im Nachbarland Syrien reichen aus, um sich ständig im Ausnahmezustand zu fühlen. Dafür ist die Hamas nötig.
Laut Harel braucht Netanjahu die Ablenkung aus zwei Gründen: Ende Mai sollen in dem Prozess, in dem ihm Bestechlichkeit und Betrug vorgeworfen werden, die Kreuzverhöre beginnen. Solch unangenehme Termine lassen sich in Kriegszeiten leichter absagen. Und es ist möglich, eine zweite, noch brisantere Sache aufzuschieben: eine offizielle Untersuchung zur Verantwortung von Politik und Armee für den Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023. Das Urteil über den Langzeit-Regierungschef Netanjahu, der diese Massaker nicht verhindern konnte, dürfte sehr negativ ausfallen.
Am Sonntag stimmte das Kabinett gegen eine solche Kommission, weil der Krieg bisher nicht beendet sei und sie diesen nur störe. In einem Video sagte Netanjahu: „Wenn wir eine solche Untersuchungskommission einsetzen würden, dann müssten wir den Soldaten sagen, sich Anwälte zu suchen. Sie sollen sich aber mit Waffen und Munition ausrüsten und darauf konzentrieren, die Hamas zu besiegen.“