Masern, Kinderlähmung, Tetanus: Forschende warnen vor dem Verpassen des WHO-Impfziels

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Ein Kinderarzt verabreicht einem Kleinkind eine Kombinationsimpfung zur Grundimmunisierung

Ein Kinderarzt verabreicht einem Kleinkind eine Kombinationsimpfung zur Grundimmunisierung

Foto: Fabian Sommer / dpa

Kinderlähmung, Diphtherie oder Masern: Impfungen schützen Kinder vor potenziell tödlichen Krankheiten. Doch weltweit sind die Immunisierungen ins Stocken geraten. Internationale Forscherinnen und Forscher kommen in einer neuen, im Fachmagazin »The Lancet«  veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass deshalb Millionen Menschenleben gefährdet sind.

Durch die Entwicklungen erhöhe sich die Gefahr künftiger Ausbrüche vermeidbarer Krankheiten, warnen die Wissenschaftler. Gleichzeitig würden durch umfangreiche Kürzungen internationaler Hilfen bisherige Fortschritte bei der Impfung von Kindern in aller Welt gefährdet. Für die Studie untersuchte ein internationales Team aus Forscherinnen und Forschern die Impfraten in mehr als 200 Ländern zwischen 1980 und 2023.

Spritze auf einem Impfbuch

Spritze auf einem Impfbuch

Foto: suedraumfoto / IMAGO

Corona ließ Routineimpfungen einbrechen

Impfkampagnen in der Vergangenheit hätten positive Auswirkungen gezeigt, heißt es. So habe ein Immunisierungsprogramm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den vergangenen 50 Jahren Schätzungen zufolge rund 154 Millionen Menschenleben gerettet. Im Kampf gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Masern, Polio und Tuberkulose habe sich zudem die Impfquote zwischen 1980 und 2023 verdoppelt, fand das Wissenschaftlerteam heraus.

Allerdings verlangsamte sich der Anstieg demnach in den Zehnerjahren, die Zahl neuer Impfungen zum Schutz vor Masern nahm in rund der Hälfte der Länder ab. Der stärkste Rückgang wurde in Lateinamerika verzeichnet. In mehr als der Hälfte aller einkommensstarken Länder ging unterdessen der Anteil der Kinder zurück, die zumindest eine Impfdosis gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Masern, Polio oder Tuberkulose bekamen.

Dann schlug die Coronapandemie zu: Wegen der Lockdowns und anderer Maßnahmen brach die Zahl der Routineimpfungen ein. Dies führte dazu, dass zwischen 2020 und 2023 die Zahl der Kinder, die nie eine Impfdosis erhielten, um weitere knapp 13 Millionen anstieg. Rund 15,6 Millionen Kinder haben der Studie zufolge nicht die aus drei Impfdosen bestehende, komplette Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten oder Masern erhalten.

Hepatitis-B-Impfung in Uganda

Hepatitis-B-Impfung in Uganda

Foto: Nicholas Kajoba / Xinhua / IMAGO

Eine der besten Gesundheitsmaßnahmen

»Routineimpfungen in der Kindheit gehören zu den stärksten und kosteneffektivsten öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen, die es gibt«, sagte Jonathan Mosser vom US-Institut für Gesundheitsmetriken und Evaluation (IHME), einer der leitenden Autoren der Studie. Anhaltende globale Ungleichheiten, Herausforderungen der Coronapandemie und die zunehmende Desinformation und Impfskepsis hätten »zusammen dazu geführt, dass der Immunisierungsprozess ins Stocken gerät«, fügte er hinzu.

Hinzu kämen »steigende Vertriebenenzahlen und zunehmende Ungleichheit wegen bewaffneter Konflikte, politischer Unbeständigkeit, wirtschaftlicher Unsicherheit, Klimakrisen«, ergänzte Emily Haeuser, ebenfalls leitende Autorin und vom IHME.

Die ungleiche Versorgung mit Impfungen hält der Studie zufolge an, vorwiegend in ärmeren Ländern. Von den 15,7 Millionen Kindern weltweit, die 2023 keinerlei Impfschutz hatten, lebten mehr als die Hälfte in nur acht Ländern, die mehrheitlich südlich der Sahara in Afrika liegen.

Gleichzeitig werden neue Krankheitsausbrüche bekannt:

  • In der Europäischen Union wurden im vergangenen Jahr zehnmal mehr Masernfälle gezählt als 2023.

  • Bei einem Masernausbruch in den USA wurden im vergangenen Monat mehr als 1000 Fälle in 30 Bundesstaaten registriert. Das sind mehr als im Gesamtjahr 2024.

  • Fälle von Kinderlähmung, die in vielen Regionen lange Zeit als ausgerottet galt, nehmen in Pakistan und Afghanistan wieder zu.

  • Papua-Neuguinea erlebt aktuell einen Polioausbruch.

WHO-Ziel gefährdet

Die Wissenschaftler warnen, dass die Rückschläge das Ziel der WHO gefährden könnten, bis 2030 insgesamt 90 Prozent aller Kinder und Jugendlichen auf der Welt mit den wichtigsten Impfungen zu versorgen. Die WHO will zudem bis 2030 die Zahl der ungeimpften Kinder gegenüber dem Stand von 2019 halbieren. Dies haben bislang nur 18 Länder erreicht, wie aus der von der Impfallianz Gavi und der Gates Stiftung finanzierten Studie hervorgeht.

Die globale Gesundheitsversorgung ist zudem ins Taumeln geraten, seitdem die US-Regierung von Präsident Donald Trump ihre internationalen Hilfen drastisch zusammengekürzt hat.

»Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird die Zahl sterbender Kinder in der Welt wegen massiver Kürzungen ausländischer Hilfsgelder wahrscheinlich steigen statt sinken«, erklärte Bill Gates. »Das ist eine Tragödie.« Der Gavi-Impfallianz, die am Mittwoch eine Geberkonferenz in Brüssel abhielt, sagte Gates 1,6 Milliarden Dollar zu, umgerechnet knapp 1,4 Milliarden Euro. Die Impfallianz treibt unter anderem die Impfungen von Kindern in ärmeren Staaten voran.

Die deutsche Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) will bis 2030 insgesamt 600 Millionen Euro für den globalen Impfschutz zur Verfügung stellen. Das kündigte die Ministerin mit Blick auf die Gavi-Konferenz an. Deutschland werde sich weiter engagieren, Menschen weltweit vor Krankheiten zu schützen, so Alabali-Radovan. Das sei nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, sondern auch ökonomisch klug und vorausschauend.

US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. will derweil Spenden der USA an Gavi einstellen. Das berichtet »Politico« unter Berufung auf eine Rede von Kennedy, die per Video auf der Gavi-Konferenz übertragen wurde. Kennedy ist ein ausgesprochener Impfskeptiker. Er warf Gavi demnach vor, Vertrauen mit zweifelhaften Impfempfehlungen missbraucht zu haben.

Zwischen Wahn und Wissenschaft: Robert F. Kennedy will Amerika gesünder machen. Aber er stoppt Forschungsvorhaben, entlässt Zehntausende Mitarbeiter und hinterfragt Impfungen. Experten fürchten, die Menschen könnten durch ihn am Ende kränker werden. Mehr dazu lesen Sie hier. 

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