Märchenfilm „Schwanensee“: Der Prinz entflammt für die Vogelfrau

vor 22 Stunden 1

Sie kommt aus dem See, verwandelt sich aus einem Schwan in eine Frau, schüttelt, dehnt und streckt sich, erprobt die Gelenkigkeit ihrer Menschenglieder und gleitet unversehens in einen grazilen Tanz. Spätestens an dieser Stelle des Märchenfilms, den die ARD zu Weihnachten ausstrahlt, tritt die Vorlage, Tschaikowskys „Schwanensee“, in aller Deutlichkeit hervor.

Männer, die Frauen das Federkleid stehlen

Hier wie dort geht es um die Ambivalenz jener mythischen Wesen zwischen Mensch und Tier, im Speziellen zwischen Frau und Schwan, und schon Tschaikowsky, der das tänzerische Potential dieser besonderen Verbindung auslotete, stand damit in einer langen Tradition. Sie findet sich im Märchenerbe vieler Kulturen und erzählt von Männern, die für Vogelfrauen entflammen, deren Federkleid sie stehlen, um sie zu zwingen, das Leben mit ihnen zu teilen. Meistens endet das glücklicherweise damit, dass die Frauen ihr Gefieder irgendwann zurückbekommen und davonfliegen.

Auf den ersten Blick sieht es in „Das Märchen vom Schwanensee“ anders aus. Denn Odette, gespielt von Samirah Breuer, verdankt ihr Doppelwesen eben nicht ihrer Natur, sondern dem Fluch des bösen Zauberers Rotbart (Fritz Karl) und wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder ganz Mensch zu sein und das Schwanenkleid nicht nur in den Nachtstunden abwerfen zu dürfen – besonders nach menschlicher Nahrung gelüstet es sie, und als der Prinz Friedrich, den Riccardo Campione meist mit entrücktem Lächeln spielt, das erkennt, unterstützt er seine Werbung um Odette mit handfesten kulinarischen Argumenten. Dabei hilft ihm der weise Koch Otto, der noch verkündet: „Für Liebe gibt es kein Rezept!“ Angesichts der vergnügt schmausenden, zunehmend an Friedrich interessierten Prinzessin möchte man das nicht unterschreiben.

Odettes Schwanenhaftigkeit hat es dem Prinzen angetan

Allerdings legt das Drehbuch von Silja Clemens und Barbara Miersch noch eine andere Spur. Denn noch bevor Friedrich Odette in ihrer menschlichen Gestalt begegnet, sieht er mit sehnsüchtigem Blick aus dem Schlossfenster vorbeifliegenden Vögeln nach. Und statt sich dem Wunsch seiner Mutter – „Friedrich, es geht um deine Zukunft!“ – zu fügen und sich nach einer Frau zum Fortbestand der Dynastie umzusehen, entwirft er Flugmaschinen auf dem Papier. Er träumt vom Fliegen, und es mag sein, dass es gerade die Schwanenhaftigkeit Odettes ist, die sie für ihn so attraktiv macht.

Zu solchen dezenten Tönen kommen in diesem Film unter der Regie von Christian Theede auch laute: Friedrich ist umgeben von zwei aufgekratzten Freunden, die für das Burleske zuständig sind und auch dafür, den Stoff, der optisch vage in der Tschaikowsky-Zeit angesiedelt ist, verbal in die Gegenwart, vielleicht auch in die Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, zu befördern. „Wann steigt die Party denn?“, fragt der Draufgänger Toni, und sein Resümee von Friedrichs Liebesgeschichte lautet: „Im Schloss wartet eine heiße Braut auf dich, und du willst lieber einen Schwan?“

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Will er tatsächlich. Und darum, was jeder und jede Einzelne eigentlich will, geht es in diesem Film in praktisch jeder Szene. Das beginnt mit den Fotos junger Frauen, die Friedrichs Mutter vor ihm aufstapelt und aus denen er diejenigen wählen soll, die er zum Fest einladen will – das Schieben der Fotos nach links und rechts ist als Datingplattform-Anspielung überdeutlich. Es geht weiter mit den vielen Anläufen des Zauberers, seine Tochter Odile anstelle von Odette in die Arme des Prinzen zu befördern, und mündet in deren letztlichem Ausstieg aus diesem Komplott. Sie will nicht das Double ihrer Schwester sein, sagt sie, sondern sie selbst. Und als ihr Vater insistiert, antwortet sie weise, dass man „Liebe nicht erzwingen“ könne – „das müsstest du doch am besten wissen“.

So ist es, die Machenschaften Rotbarts wurzeln in enttäuschter Liebe zu Odettes verstorbener Mutter. So wird hier manches kurzgeschlossen, das in Tschaikowskys Ballett angenehm vage bleibt, und alles unter das Rubrum der Liebe gestellt. Wenn man sich aber darauf einlässt, sieht man einen hübschen, grundharmlosen Märchenfilm.

Das Märchen vom Schwanensee läuft am ersten Weihnachtstag, 25. Dezember, um 14.20 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek.

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