Machtmann Klingbeil vor dem Parteitag: Demut und Denkzettel

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Eine gute halbe Stunde ist vergangen in dieser Debatte, als eine Genossin die entscheidende Frage stellt: „Wo ist die Veränderung? Wo sind die Vorschläge dafür, dass wir auf die Veränderungen im gesellschaftlichen Mindset reagieren?“

Dresden am vergangenen Samstag. Die SPD Sachsen trifft sich zum Landesparteitag. Hier tagt, ausweislich der Umfragen im Land, eine Sechs-Prozent-Partei. Die Frage, wie es wieder aufwärts gehen kann, ist die gleiche wie in ganz Deutschland. Nur dringender.

„Wenn wir so weitermachen, marschieren wir geradewegs auf die Fünf-Prozent-Hürde zu, und dann ist Schicht im Schacht“, sagt eine Delegierte. Ganz so schlecht sieht es für die SPD im Bund noch nicht aus. Aber wer weiß, was noch kommt.

In der SPD hat sich seit der desaströsen Niederlage bei der Bundestagswahl viel gerüttelt. Und zwar exakt so, wie ein Mann das wollte: Parteichef Lars Klingbeil.

Er ist so mächtig, wie es in der SPD lange niemand mehr war. Er hat seine Partei durch die Wirren nach der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl gesteuert. Und dabei seine höchst persönlichen Interessen immer sehr genau im Blick gehabt.

Die Frage ist: Ist das gut nur für ihn – oder auch für seine Partei?

Unser Hauptproblem ist, dass uns niemand so wirklich glaubt, was wir erzählen.

Ein Delegierter auf dem Landesparteitag in Dresden

Am Freitag beginnt der Bundesparteitag der SPD in Berlin. Und da ist die zweite Frage, ob Klingbeil so stark aus diesem Parteitag herauskommt wie er hereingegangen ist.

Denn in der Partei sind viele wütend auf ihn. Am vergangenen Samstag, in Dresden, war das schon zu erleben.

Zu Gast bei den Sachsen: Lars Klingbeil auf dem Parteitag in Dresden.

© dpa/Sebastian Kahnert

Es gibt durchaus Zuspruch für den Genossen Lars. Aber so einige Parteimitglieder sind auch reichlich sauer. Mehr Demut fordert eine Rednerin. „Unser Hauptproblem ist, dass uns niemand so wirklich glaubt, was wir erzählen“, sagt ein Delegierter.

Möglich, dass die Wahl zum Denkzettel wird

Eine andere Rednerin nennt die Art und Weise, wie die SPD auf die beispiellose Niederlage bei der Bundestagswahl reagierte, einen „historischen Tiefpunkt“. Sie spricht von Machtmanövern, billig und würdelos, denen die scheidende Parteichefin Saskia Esken ausgesetzt gewesen sei. „Ein Team tritt gemeinsam an und geht dann auch gemeinsam.“

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So wird es bekanntlich nicht kommen. Anstelle von Esken soll Bärbel Bas übernehmen. Klingbeil aber, der so wie Esken als Parteivorsitzender das Wahlergebnis zu verantworten hat, will sich im Amt bestätigen lassen.

Denkbar, dass er ein gutes Ergebnis bekommt, weil die Delegierten wissen, dass es der Partei am Ende nichts nützt, ihren stärksten Mann zu beschädigen. Denkbar aber auch, dass die Wahl zum sprichwörtlichen Denkzettel wird.

Denn die Wut auf den Vorsitzenden, sie ist da. Weil er sich noch am Abend der dramatischen 16,4-Prozent-Niederlage zum Fraktionschef ausrief, als hätte es nichts Dringenderes gegeben. Weil er, der Mann, aufsteigt, Esken, die Frau, aber gehen muss. Weil er durchregiert hat bei der Vergabe der Posten und ins Kabinett sowie sein Vizekanzleramt lauter Vertraute berufen hat. Und zwar ohne Rücksicht auf verdiente Leute wie Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich oder Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil, für die nun kein Platz mehr ist.

Rolf Mützenich, der ehemalige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

© dpa/Kay Nietfeld

Jeder dieser drei Gründe für die Wut auf den Parteichef ist nicht nur in der Rückschau von Belang. Sondern auch beim Blick nach vorn.

Seine Sicht zum Thema Fraktionsvorsitz erzählt Klingbeil in Dresden noch einmal persönlich. Den Begriff des „Taschenspielertricks“, so hat es ein Delegierter genannt, weist er zurück. Es habe nun einmal schnell Klarheit gebraucht, damit jemand „auf Augenhöhe“ mit Friedrich Merz verhandeln kann.

Der Kanzler und sein Vize: Friedrich Merz und Lars Klingbeil im Plenarsaal des Bundestags.

© imago/Andreas Gora/IMAGO/Andreas Gora

Und doch: In der SPD ist der Eindruck hängengeblieben, dass der Vorsitzende einen Schockmoment genutzt hat, um die eigene Partei zu überrumpeln – und die eigenen Karrierepläne zu befördern. Klingbeil gilt nun als einer, der eiskalt durchzieht.

Drei Absagen hintereinander weg

Hätte nicht auch Saskia Esken mit Friedrich Merz auf Augenhöhe verhandeln können? Selbstverständlich nicht, so hart muss man es wohl sagen. Ihren Namen erwähnt Klingbeil in diesem Zusammenhang erst gar nicht.

Sie wird auf dem Parteitag als Vorsitzende verabschiedet: Saskia Esken.

© picture alliance/dpa/Fabian Sommer

Robust musste Esken davon überzeugt werden, dass für sie am Kabinettstisch kein Platz sein wird. Damit ist in der Partei wohl niemand glücklich. Aber sie hat es freiwillig eben einfach nicht eingesehen, so die allgemeine Lesart.

Im Machtkampf um die Vergabe der Kabinettsposten fragte Esken alle drei Strömungen in der Bundestagsfraktion, ob sie sie unterstützen würden. Und bekam hintereinander weg drei Absagen.

Die eine kommt, die andere geht: Saskia Esken gratuliert Bärbel Bas nach deren Ernennung zur Arbeitsministerin.

© dpa/Sebastian Gollnow

Der Umgang mit Esken wird in der Partei nachhallen. Auch wenn die vielen Anekdoten, die nun noch zu hören sind, bald Geschichte sein werden.

Ich halte für realistisch, dass Klingbeil zehn Prozentpunkte weniger bekommt als Bas.

Ein Bundestagsabgeordneter über die Aussichten für die Wahl der Parteispitze

Von Veranstaltungen in Ortsvereinen mit der Parteichefin als Gast, für die sich nicht einmal die eigenen Parteimitglieder herbequemen, von Wählerinnen und Wählern ganz zu schweigen. Von ungeschickten Talkshow-Auftritten und Fraktionssitzungen, bei denen Esken Referate zur politischen Lage verstolperte.

Aber es gibt eine andere Seite: Die Härte, mit der Saskia Esken beurteilt wurde, ist im politischen Betrieb und in der medialen Öffentlichkeit für Frauen reserviert, so sehen das sehr viele in der Partei.

Andererseits: Klingbeil hat viele Frauen ins Kabinett berufen hat, und es ist auch sein Verdienst, dass in der Fraktionsführung die Posten paritätisch besetzt wurden.

Dennoch gilt als ausgemacht, dass Klingbeil schlechter abschneiden wird als Bas, die Hoffnungsträgerin der Stunde. „Ich halte für realistisch, dass Klingbeil zehn Prozentpunkte weniger bekommt als Bas“, sagt ein Bundestagsabgeordneter.

Die Aufregung um das „Manifest“ ist groß

Esken hat immerhin öffentlich klar gemacht, dass sie keine Probleme zu machen gedenkt und nicht vorhat, als Ex-Vorsitzende von der Seitenlinie zu schlaumeiern. Andere – namentlich: Rolf Mützenich – lassen in der neu gewonnen Freiheit weniger Zurückhaltung walten. Und so ist die Frage, welche Risiken darinstecken, dass Klingbeil auch bei der Postenvergabe im eigenen Interesse durchregiert hat.

Mützenichs Dienste als Fraktionschef waren nicht mehr gewünscht, der Klingbeil-Vertraute Matthias Miersch hat den Posten übernommen. Und schon klingt Mützenich in Sachen Russland, Frieden, Aufrüstung ganz anders als zu Zeiten, als er die Fraktionsdisziplin noch selbst durchzusetzen hatte.

Er hat das „Manifest“ unterzeichnet, mit dem eine Gruppe um Ralf Stegner um Sicherheit nicht vor, sondern mit Russland wirbt. Eine Idee, die die SPD hinter sich gelassen haben wollte.

Manifest: Wer ein Papier so nennt, hängt die Sache absichtlich hoch, merken die vielen Sozialdemokraten an, die von dem Papier gar nicht begeistert sind. Allgemein wird die Sache nicht nur, aber auch als Retourkutsche Mützenichs in Richtung der Führung verstanden.

Klingbeil gefällt das Manifest nicht, er hat das allerdings zurückhaltend formuliert. Stand er nicht einmal dafür, die naive, ja unglückselige und erfolglose Russland-Politik der SPD abwickeln zu wollen?

Die Aufregung um das Papier ist groß. Es wird auf dem Parteitag zu unbequemen Debatten führen, die die Parteiführung gerade so gar nicht gebrauchen kann.

Dabei soll von der Versammlung doch eigentlich das Signal ausgehen, dass es für die SPD nun endlich wieder aufwärts geht.

Viel Hoffnung ruht auf Bärbel Bas, der künftigen Parteichefin. An dieser Personalie lässt sich übrigens auch sehen, wie andere, die in herausgehobener Position nicht mehr erwünscht waren, mit dieser Lage umgehen.

Hubertus Heil wäre gern Minister geblieben oder Fraktionschef geworden. Beides hat nicht geklappt, nun ist er nach langen Jahren an der Spitze plötzlich nur noch einfacher Abgeordneter. Seinen Job im Arbeits- und Sozialministerium, diesem stolzen sozialdemokratischen Kernressort, hat Bas übernommen.

An der neuen Wirkungsstätte: Bärbel Bas im Ministerium für Arbeit und Soziales.

© dpa/Kay Nietfeld

Doch Heil stellt sich, so ist zu hören, weiter in den Dienst der Partei. Er soll großen Anteil daran gehabt haben, dass Bärbel Bas nach langem Zögern und Zaudern am Ende doch zustimmte, den SPD-Vorsitz zu übernehmen. So ist auch dafür gesorgt, dass die Bedarfe des Arbeitsministeriums in der Parteispitze bestens bekannt sind.

Sie also, Duisburgerin mit Aufstiegsgeschichte, soll für die SPD den Aufbruch verkörpern. Die Erwartungen sind enorm, das kann auch zur Belastung werden.

So klug und beliebt Bas auch ist: Auch ihr Tag hat keine 48 Stunden. Sie hat sich in die Materie eines großen, mächtigen Ministeriums einzuarbeiten, in dem von Rente bis Mindestlohn sozialdemokratische Herzensthemen bearbeitet werden.

Schon jetzt ist klar, dass auf diesem Feld in den kommenden vier Jahren viele harte Konflikte mit dem Koalitionspartner Union auszutragen sein werden. Das wäre eigentlich Arbeit genug für eine Politikerin, die in diesem Themenfeld neu ist.

Nun kommt der Parteivorsitz obendrauf, auch der ist für sich genommen schon eine riesige Aufgabe. Und so gibt es durchaus Mitglieder, die sich – ganz unabhängig von der Person Bärbel Bas – wünschen, für den Vorsitz würde eine Frau antreten, die sich auf diese Aufgabe konzentrieren kann.

Klingbeil und Bas, beide eingebunden in die Kabinettsdisziplin, beide bis oben hin eingedeckt mit Regierungsarbeit: Womöglich ist das gar nicht die Spitze, die die SPD braucht, wenn sie sich jenseits der Regierungsarbeit profilieren will.

Eine weitere Bas-Debatte steht der Partei außerdem bevor. Im Frühjahr 2027 wählt Nordrhein-Westfalen. Ist Bas die ideale Spitzenkandidatin, wie manche in der SPD sagen, damit im einstigen Kernland endlich wieder ein Wahlerfolg gelingt? Oder wird sie es auf keinen Fall machen, weil sie in Berlin gebraucht wird, wie andere meinen?

Der sorgenvolle Blick auf den Wahlkalender

Es ist noch Zeit, diese Frage zu beantworten. Doch schon jetzt blicken sie in der SPD mit Anspannung auf den Kalender der Wahlen bis zur nächsten Bundestagswahl. Vom Rheinland-Pfalz über Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland bis nach Niedersachsen: Es müssen unbedingt Erfolge her.

Sollte etwa in Mainz Alexander Schweitzer sein Amt verlieren, wäre das ein Debakel. Die SPD stellt in Rheinland-Pfalz seit 1991 den Ministerpräsidenten. Ändert sich das, könnte es für Klingbeil sehr ungemütlich werden.

Der Parteitag in Berlin soll zur wichtigen Etappe auf dem Weg zur Erneuerung werden. Bisher hat sich in den bundesweiten Umfragen im Vergleich zum Desaster bei der Bundestagswahl nichts getan. Die Wahl ist zwar erst vier Monate her, der Regierungsalltag hat gerade erst begonnen.

Und trotzdem führt an einer bekannten Wahrheit gerade noch kein Weg vorbei: Wenn es so einfach wäre, die SPD zu retten, dann hätten sie es ja schon längst getan.

Und so hat es einen humorigen Beiklang, wenn Lars Klingbeil auf dem Parteitag der Sachsen-SPD große Ziele ausgibt. „Mein Anspruch ist, dass die SPD bei der nächsten Bundestagswahl wieder da ist, wo sie hingehört – auf Platz eins“, sagt der Vorsitzende. Dafür, so viel ist klar, ist noch viel zu tun.

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