Lee Jae Myung: Er muss ein tief gespaltenes Land vereinen

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Auf Südkoreas neuen Präsidenten Lee Jae Myung wartet eine schwere Aufgabe: Die Demokratie steht unter Druck und die Gesellschaft ist stark polarisiert.

3. Juni 2025, 18:47 Uhr

 Lee Jae-myung, Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, kommt zu einer Wahlkampfveranstaltung.
Lee Jae-myung, Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, kommt zu einer Wahlkampfveranstaltung. © Lee Jin-man/​dpa

Schon mit den ersten Zahlen, die am Dienstagabend um acht Uhr (Ortszeit) rauskamen, war alles klar. Live-TV-Kameras zeigten, wie die Blauen jubelnd aufsprangen, die Roten reglos sitzen blieben. In Blau treten in Südkorea die Liberalen um die Demokratische Partei (DP) auf, Rot ist die Farbe der konservativen People Power Party (PPP). Und die ersten Umfragen am Wahlabend deuteten einen Sieger an: Lee Jae Myung vereint rund die Hälfte aller Stimmen auf sich. Er wird wohl Südkoreas neuer Präsident.

Mit einem Statement lässt der designierte Wahlsieger während des Stimmenauszählens noch auf sich warten. Doch ganz Südkorea dürfte im Gedächtnis haben, was er die Tage zuvor immer wieder gesagt hat: Er, der vor einem halben Jahr, als eine Staatskrise ausbrach, ins abgeriegelte Parlament eindrang, um die Demokratie zu retten, sei der Beschützer vor den "Putschkräften". Damit meinte Lee die Leute von der PPP. Ab Mittwoch muss sich Lee dann präsidialer geben. Er muss einen Staat lenken.

Als neuer Präsident für die 52 Millionen Bürgerinnen und Bürger steht Lee vor einer riesigen Aufgabe: Ein tief gespaltenes Land muss er vereinen, so sehr es nur geht. Und das wird schwierig. Wie in anderen Ländern hat die politische Polarisierung auch in Südkorea über die letzten Jahre zugenommen. Südkorea, wo sich einst nicht nur die Wirtschaft in hoher Geschwindigkeit entwickelte, sondern ebenso die Demokratie, ist im Hinblick auf Polarisierung ein Extrem.

Wie krisenhaft die südkoreanische Demokratie ist, zeigt schon, dass diese Wahl bereits am 3. Juni 2025 stattgefunden hat und nicht erst 2027, wie eigentlich vorgesehen. Am 3. Dezember 2024 hatte Yoon Suk Yeol, der das Land bis dahin in populistisch-autoritärem Stil regiert hatte, überraschend das Kriegsrecht ausgerufen. Yoon begründete dies mit einer vermeintlichen Unterwanderung der liberalen DP, die seit 2024 die Mehrheit im Parlament hält, durch den nordkoreanischen Feind. Fans hat Yoon dafür bis heute, Beweise bleibt er schuldig.

Sechs von zehn jungen Menschen misstrauen der Politik und der Justiz

Wie schuldig er für seine Tat ist, beurteilt derzeit ein Strafverfahren. Am Abend der Kriegsrechtserklärung – als es Verhaftungslisten für politische Gegner gab und Soldaten die Erlaubnis hatten, zu schießen – waren es oppositionelle Abgeordnete, die eine Diktatur abwandten, indem sie das Parlament stürmten und gegen Yoons Beschluss votierten. Wird Yoon Suk Yeol, der die PPP verlassen hat, um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden, schuldig gesprochen, droht ihm lebenslange Haft oder gar die Todesstrafe.

Aber der autoritäre Ex-Präsident ist eben längst nicht der einzige Verlierer seines Putschversuchs. Während auf den ersten Blick die demokratischen Kräfte in Südkorea siegreich aus der Affäre hervorgingen, hat die Demokratie große Dellen erlitten. Fake-News durch YouTuber haben dazu beigetragen, dass das Diskursklima harscher geworden ist, Grautöne verloren gehen.

Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters ergab zuletzt, dass 53 Prozent der Menschen im Land auf YouTube als Nachrichtenquelle zurückgreifen. Nur 31 Prozent konsumieren dagegen traditionelle Formate wie Zeitungen, TV, Radio oder Websites von Zeitungen – im internationalen Vergleich ein geringer Anteil. Gleichzeitig zeigte eine Umfrage von Gallup von 2024, dass sechs von zehn Personen zwischen 15 und 29 Jahren der Politik und der Justiz im Land misstrauen. Heute könnte der Wert noch höher liegen.

Oh Yong Hee, Verantwortlicher für internationale Angelegenheiten in der PPP, sieht zwischen diesen Statistiken einen Zusammenhang. Am Tag vor der Wahl sagte er in Seoul: "In Südkorea haben Influencer über die letzten Jahre stark an Einfluss gewonnen. Ihnen geht es aber oft um Entertainment, extreme Positionen. Und viele Akteure in der Politik versuchen, dies zu kopieren." Der Debatte tue dies nicht gut. "Im Grunde ist das aber auch ein Problem des Publikums, das dies ja nachfragt."

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