Der Auftrag der Medienanstalten ist, die Vielfalt der Medienangebote und Meinungen zu sichern, und die Medienfreiheit zu schützen. Ist das angesichts sozialer Medien und Intermediäre wie Google, die die Meinungsbildung bestimmen, überhaupt noch möglich?
Die Medienaufsicht hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Früher ging es vor allem darum, wer einen Sendeplatz im analogen Kabelnetz erhält, wie lange ein Schokoriegel im Dschungelcamp vor die Kamera gehalten wird oder ob sich Joko und Klaas am Alkohol berauschen. Diese Themen beschäftigen uns bis heute, sind aber der kleinste Teil unserer Aufgaben. Den größten Teil nimmt die digitale Welt ein. Dabei stellen wir fest, dass sich unsere Schutzgüter nicht verändert haben. Es geht noch immer um Vielfaltssicherung, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen und der Menschenwürde. Selbst die altbewährten Regulierungsprinzipien wie Zugangsoffenheit, Transparenz oder Diskriminierungsfreiheit greifen weiterhin.
Aber die Adressaten sind andere.
Einige schon, ja. Wir haben es inzwischen mit weltweit agierenden Plattformen zu tun, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette global skalieren. Diese Plattformen haben einen großen Einfluss darauf, wie wir uns informieren und unsere Meinung bilden. Auf diesen Paradigmenwechsel im öffentlichen Meinungsbildungsprozess müssen wir mit gut abgestimmter Gesetzgebung über Länder, Bund und Europa hinweg reagieren. Und bei der Rechtsdurchsetzung dürfen wir, zuständige Behörden, uns nicht von Algorithmus-Mogulen in Kompetenzstreitigkeiten schicken und damit auseinandertreiben lassen.
Sie haben kürzlich eine Studie zu den Auswirkungen KI-basierter Suchmaschinen vorgestellt. Wie wollen Sie Plattformen regulieren, die KI nutzen, um die Meinungsvielfalt zu reduzieren?
Für uns alle als Nutzer ist das Verschmelzen von Künstlicher Intelligenz und Suchmaschinen sehr bequem, da wir nicht nur schnell passgenaue Antworten erhalten, sondern sogar in einen vermeintlich natürlichen Dialog einsteigen. Problem ist, dass die KI-generierten Antworten der jeweiligen Plattform, die sich aus unzähligen Informationen von klassischen Inhalteanbietern speisen, an den oberen Rand unseres Bildschirmes rücken. Journalistische Anbieter als ursprüngliche Quelle rutschen nach unten und werden immer weniger wahrgenommen. Das gefährdet die journalistischen Geschäftsmodelle und die Medien- und Meinungsvielfalt. Jetzt geht es mit einem juristischen Gutachten weiter, parallel prüfen wir medienrechtlich und unterstützen die Branche der Inhalteanbieter dabei, dass dies ein Fall für die EU-Kommission wird.
Gerichtsverfahren dauern allerdings lange, inzwischen sind die Plattformen mit der KI-Anwendung längst weiter.
Die von der EU-Kommission mit dem Digital Services Act (DSA) angestoßenen Verfahren dauern tatsächlich bereits eine Weile. Von uns liegen wiederum grundsätzliche Fragen zur Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof. So ist leider die gegenwärtige Situation. Deswegen ist es entscheidend, dass die Gesetze auf Bundes-, Landes- und EU-Ebene ergänzend ineinandergreifen. Die EU-Kommission wollte die Kompetenz bei sehr großen Onlineplattformen und sich um die systemischen Risiken kümmern. Wir sichern als staatsferne Medienaufsicht die Medienvielfalt und gehen gegen einzelne Rechtsverstöße zum Beispiel im Jugendschutz vor. Wir ergänzen uns also wechselseitig, und, ja, wir müssen unseren jeweiligen Teil dazu beitragen, dass Plattformregulierung auch zu wirksamen Ergebnissen führt.
Seit Jahren kämpfen die Medienanstalten gegen Hetze, Bedrohungen und Falschmeldungen im Netz. Das wirkt wie ein Kampf gegen Windmühlen.
Ja und nein. Ja, es stimmt, dass sowohl die Quantität als auch die „Qualität“ der Rechtsverstöße im Internet nichts mit denen der klassischen TV- und Hörfunkwelt zu tun haben. Die Aufgaben der Medienanstalten sind heute deutlich komplexer als in der analogen Medienwelt. Und, nein, es ist deshalb kein Kampf gegen Windmühlen, weil wir uns weiterentwickeln. So erhalten wir stetig neue Zuständigkeiten vom Gesetzgeber, setzen Künstliche Intelligenz bei der Suche nach Rechtsverstößen gezielt ein und arbeiten kooperativ und effizient mit Bund und Ländern sowie den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Klar ist aber auch, dass wir gesetzliche Änderungen sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene benötigen.
Jahrelang haben die Plattformen behauptet, sie trügen keine Verantwortung für die Inhalte, die sie verbreiten. Sie seien nur „dumme Plattformen“. Ich habe Sorge, dass wir vor dem Hintergrund aktueller globaler politischer Diskussionen eine Rolle rückwärts hinlegen – ausgerechnet jetzt, da wir sowohl auf Ebene deutscher als auch europäischer Gesetze endlich von diesem Märchen der Plattformbetreiber abgerückt sind. Das darf nicht passieren, wenn wir es ernst damit meinen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und diejenigen, die Geld verdienen, auch Verantwortung tragen. Und wenn sie Teil des Meinungsbildungsprozesses sind, tragen sie diese Verantwortung aus meiner Sicht umso mehr. Wir müssen über die Grundsätze des Haftungsprivilegs und wohl auch des Herkunftslandprinzips reden.
Es gibt bei der Meinungsfreiheit anscheinend unterschiedliche Auffassungen in den USA und Europa. Wie beeinflusst das Ihre Tätigkeit?
Solche Reden wie die des US-Außenministers Vance beeinflussen unsere Arbeit zwar nicht direkt, aber sie hallen schon nach. Ich glaube jedoch nicht, dass das Verhärten der Fronten zu irgendwas führt. Nehmen wir also mal die politischen Spitzen einer solchen Rede aus der Gleichung. Was bleibt? Der Freiheitsbegriff der USA ist fast vollständig vom Freiheitsbegriff des einzelnen Menschen geprägt. Der europäische Freiheitsbegriff sieht stärker die gesellschaftlichen Konsequenzen der Meinungsäußerung, die Grenzen einer bestimmten Meinung. Deshalb rücken wir in Europa die Plattformen, die die Basis für massenhafte Meinungsäußerungen bereitstellen, in den Fokus und sehen die Notwendigkeit, diese zu regulieren. Grundsätzlich haben sicher auch Plattformen kein Interesse, dass rechtswidrige Inhalte verbreitet werden. Sie bereiten aber den Boden dafür – und mit der Bereitstellung dieses Bodens verdienen sie Geld.
Die Länder arbeiten an einem Digitale-Medien-Staatsvertrag. Welche inhaltlichen Klärungen braucht es?
Es geht uns vor allem um drei Themen: Erstens die Ausweitung vielfaltssichernder Maßnahmen auf Onlineplattformen. Zweitens sollten für eine noch effektivere Rechtsdurchsetzung Lücken in den Zuständigkeiten, auch zwischen Strafverfolgungsbehörden und Medienaufsicht, geschlossen werden. Und drittens braucht es für den Schutz unserer Kommunikationsräume neue Regeln. Wir sollten mehr auf die Verbreitung und damit auf die Wirkung demokratiezersetzender Inhalte und der systematischen Mechaniken dahinter blicken als auf die einzelnen Inhalte selbst. Das entlastet uns auch von hitzigen Diskussionen über den Wahrheitsbegriff. Wir begrüßen sehr, dass die Politik diese Probleme erkannt hat, wie am jetzt durch die Rundfunkkommission veröffentlichten Eckpunktepapier sichtbar wird. Wir freuen uns über den spürbaren Gestaltungswillen der Länder, zügig zu Lösungen und den dafür notwendigen Gesetzesänderungen zu kommen. Als Medienanstalten stehen wir parat.
Eva Flecken ist Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.

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