Kritik auf Booktok: Wenn es nach der Lektüre mal nicht fünf Sterne gibt

vor 11 Stunden 1

Wenig ist im Internet kost­barer als Enthusiasmus. Wenn sogenannte Bookfluencer Romane zeigen, denen sie sechs von fünf Sternen geben, generiert das neue Leser. Das wissen auch Ver­lage. Und laden die Multiplikatorinnen zu Bloggerfrühstücken ein oder senden ihnen schicke Schmuckausgaben. Doch nicht alle Werke kommen auf sechs Sterne. Was dann? Zeigt man sie nicht? Aus Sorge, von der Gästeliste zu fliegen und die Urheber zu verletzen?

Kolumnistin Susanne RomanowskiKolumnistin Susanne RomanowskiF.A.S.

Oder zeigt man sie, und es gibt Stress. So wie bei Buchladenbesitzerin und Influencerin Louisa Dellert. Sie postete kürzlich ein Video unter dem Titel „Bücher, die ich mögen wollte“. Zwar äußern in den Kommentaren viele ihre Erleichterung – endlich sagt’s jemand! –, doch auch die Kritik war groß. So warf man Dellert vor, mit ihrem Einfluss Debüt-Autorinnen zu schaden, überhaupt die Arbeit von Frauen zu diskreditieren. Dabei erklärt Dellert fast behutsam, was ihr nicht gefallen hat. Zu atmosphärisch das eine Buch, zu fragmentarisch ein anderes.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Schaut man genauer hin, fällt auf: Nicht Kritik an sich ist ein Problem; online wird genüsslich verrissen. Bei Bookfluencern, die eher Belletristik als Genreliteratur lesen, schärft so manche Ablehnung gar das Profil. Weg mit dem Selbsthilfekitsch von „Das Café am Rande der Welt“, raus mit den Holzschnittromanzen von Booktok-Heldin Colleen Hoover. Nun sind Bookfluencer keine Journalisten. Sie können Bücher besprechen, ohne sie in gesellschaftliche oder literarische Kontexte zu setzen. Manchmal reicht ein Format wie „Ja, nein, vielleicht“, mit dem sie Bücher sortieren wie Wäsche. Dass sie ihre Lektüren so niedrigschwellig kommentieren, macht sie zu nahbaren Lesevorbildern. Und als solche lesen sie eben, was auf Tiktok und Instagram beliebter ist als sonst: Bücher von jüngeren, oft selbst auf Social Media aktiven Autorinnen.

Toll, wenn Bookfluencer diese nun auch differenzierter besprechen. Schließlich möchte keine Autorin aus diffuser Girl-Power-Solidarität heraus gefeiert werden, sondern für ihre Ar­beit. Und auch die Kritik an der Kritik hat etwas Gutes. Denn dass die Abwertung von vermeintlich weiblichen Themen in der Kulturkritik System hat, zeigte Nicole Seifert mit ihrem Buch „Frauen Literatur“. Wenn alle darauf nun stärker sensibilisiert werden und durch solche Debatten lernen, gute von schlechter Kritik zu unterscheiden, verdient das ein großes Like.

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