Diskussion vor deutschem Ärztetag Erst zum Hausarzt, dann zum Facharzt?
Um Wartezeiten zu verkürzen und Kosten zu sparen, sollen Patienten künftig erst zum Hausarzt, dann zum Spezialisten – so steht es etwa im Koalitionsvertrag. Doch Patientenschützer sind skeptisch.
25.05.2025, 15.56 Uhr

Wer zum Facharzt möchte, muss zuerst zur Hausärztin gehen – so sieht es das geplante Primärarztsystem vor (Symbolbild)
Foto: Christin Klose / picture allianceDer Deutsche Ärztetag beginnt zwar erst am Dienstag in Leipzig, doch schon jetzt steht fest: Bei der Frage, wie Patientinnen und Patienten den passenden Arzt finden und wie das Gesundheitssystem in Deutschland sinnvoll reformiert werden kann, gibt es gegensätzliche Meinungen.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird etwa ein »verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl« vorgeschlagen. Ziel ist es, dass Patientinnen und Patienten bei unklaren Beschwerden zunächst eine Hausarztpraxis aufsuchen, die dann die Weiterbehandlung koordiniert. Dies soll nicht nur die Wartezeiten auf Termine verringern, sondern auch die medizinische Versorgung verbessern und Kosten senken.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hatte sich unlängst für dieses Konzept ausgesprochen. »Es sollte zum Normalfall werden, dass sich Patientinnen und Patienten bei einer Hausarztpraxis einschreiben, die dann die Koordinierung der Weiterbehandlung übernimmt«, sagte er.
Fast zehn Kontakte zu Ärzten pro Kopf im Jahr
Reinhardt erläuterte, in Deutschland würden Patientinnen und Patienten systembedingt weitgehend allein gelassen, ihre Versorgung zu organisieren. »Besonders betroffen sind die Schwächsten: ältere Menschen, chronisch Kranke, Menschen mit geringerer Gesundheitskompetenz.«
Deutschland habe mit 9,6 Arztkontakten pro Kopf im Jahr eine der höchsten Raten weltweit. In bestimmten Regionen habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte. »Diese Entwicklung ist nicht nur ineffizient, sie ist angesichts von Personalengpässen und begrenzten finanziellen Mitteln schlicht nicht mehr tragbar«, sagte der Ärztepräsident. Es benötige dringend Reformen, denn: »Unser Gesundheitswesen steuert ungebremst auf einen Versorgungsnotstand zu, wenn wir nicht entschlossen gegensteuern.«
Patientenschützer: »Versorgungsnotstand ist hausgemacht«
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bezweifelt jedoch, dass diese Maßnahmen die gewünschten Effekte erzielen: »Während Bundesärztekammer und Bundesregierung schnell bei der Hand sind, eine Patientensteuerung zu fordern, verlieren sie kein Wort über vertraglich zugesicherte wöchentlich 25 Stunden Präsenzzeiten für Kassenpatienten. Auch die telefonische Erreichbarkeit wird nicht überprüft«, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.
Es fehle zuallererst eine effiziente Steuerung der ambulanten Praxen. »Es gibt Ärzte, die über 2000 Patienten versorgen. Andere wiederum erreichen nicht mal die Hälfte. Zudem sind Ballungsräume überversorgt, jedoch mangelt es an medizinischen Angeboten im ländlichen Raum, wo 60 Prozent der Bevölkerung wohnen«, erklärte Brysch. »Der Versorgungsnotstand ist also hausgemacht.«
Laut der Stiftung stoßen die Pläne zum sogenannten Primärarztsystem zudem schon jetzt auf Ablehnung in der Bevölkerung. Zwei Drittel der Deutschen glaubten nicht daran, dass sich damit die Versorgung der Patienten verbessern würde und Kosten in Milliardenhöhe einsparen ließen, sagte Brysch.
Debatte über KI in der Gesundheitsversorgung
Der Deutsche Ärztetag startet am Dienstag in Leipzig. Die Mediziner wollen bei ihrem ersten Treffen mit der neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) die gesundheitspolitischen Vorhaben der Bundesregierung diskutieren. Zur Eröffnung werden rund 1000 Gäste in der Nikolaikirche erwartet, wie die Bundesärztekammer am Freitag in Berlin ankündigte.
Neben der Frage, ob Hausarztpraxen zur Drehscheibe werden sollen, wollen die Teilnehmenden über den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Gesundheitsversorgung sowie in der Forschung unter medizinischen, wissenschaftlichen und ethischen Gesichtspunkten sprechen. Zudem steht das Thema Schwangerschaftsabbrüche auf der Tagesordnung. Das Ärzteparlament wird bis kommenden Freitag tagen.