Kopfsprung in die Klamottenkiste: Die Serie „Government Cheese“ bei AppleTV+

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Die Oberfläche funkelt. Szenen, die zugleich elegant komponiert und vertraut scheinen und eine musikalische Untermalung, die den Augen via Ohr signalisiert, was vom Gesehenen zu halten ist. „Government Cheese“, benannt nach jenem Käse, den die amerikanische Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg in Schulen, Sozialhilfeeinrichtungen und gegen Lebensmittelmarken ausgab, ist jene Art Serie, wie sie Streamingportale zuletzt immer häufiger produzieren lassen: hübsch eingebettet in eine ferne, wenn nicht bessere, dann zumindest besser aussehende Zeit – hier Ende der Sechzigerjahre –, in der es weder Staub noch schlechte Zähne zu geben scheint. Als Zuschauer fühlt man sich etwas angekumpelt von der behaupteten Leichtigkeit und vom Auftritt David Oyelowos, der als Scheckfälscher Hampton Chambers unter Beifall im Gefängnis aufschlägt, dort erzähltechnisch aber nur einsitzt, um den Preis seiner familiären Probleme in die Höhe zu treiben.

Denn eigentlich geht es Herrn Chambers gar nicht so schlecht: Er hat eine kluge, attraktive Frau namens Astoria (Simone Missick) und zwei gesunde Söhne, die ihrer Mutter in Sachen Klugheit in nichts nachstehen, weshalb einer in weiser Voraussicht Einstein (Evan Ellison) genannt wurde – aber das ist nur einer von vielen Zaunpfählen in dieser Räuberpistole, der für ihren Fortgang kaum von Bedeutung ist. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, beginnen für Hampton die üblichen Pro­bleme: Geld knapp, Schulden bei Personen mit rustikalen Moralvorstellungen, ein Sohn (Jahi Winston als Harrison) entfremdet, Frau genervt sowie anderweitig Nähe suchend – ein warmer Empfang sieht anders aus. Obwohl es aus jedem einzelnen Bild schreit: Alles wird gut.

Einfälle, die wie Jahrmarktsattraktionen nebeneinanderstehen

Zeitgenossenschaft erreicht die Serie eher unfreiwillig mit ihrer Hübsch-aber-egal-Attitüde, nach der Figuren und ausgeflippte Einfälle wie lärmende Jahrmarktsattraktionen nebeneinanderstehen: Hamptons verkrachter Kumpel Manny Brinks (Jeremy Bobb), der ihm helfen soll, mit seinem „Bit Magician“ (einer von ihm erfundenen sich selbst schärfenden Bohrmaschine) groß ins Geschäft einzusteigen, verschwindet zwischendurch ebenso schnell und folgenlos wie (leider, leider) die großartige Sunita Mani, die Hamptons spirituelle Welt als eine Art bezaubernde Jeannie im Eilverfahren geraderückt.

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Man könnte diese Folgenlosigkeit auch als Entspanntheit interpretieren: Nichts, was die Serie auf- und anbietet, lässt sie je unter Druck geraten. Die kanadischen Prevost-Brüder, die Hampton im Nacken sitzen, sollen sehr brutal sein, aber das vergisst der Zuschauer schnell wieder, weil er den Söhnen von Hampton dabei zusieht, wie sie sich mit putzigen Minimotorrädern auf die Quest begeben, eine Adlerfeder zu finden. Dem zäh inszenierten Überfall auf den Tresor einer jüdischen Gemeinde – als Alibi fährt Hampton mit seinem Sohn campen und füllt ihn ob seines gerechten Schlafes mit Bier ab – folgt eine durchaus sehenswerte Episode, in der Hamptons Frau versucht, ihr eigenes Leben vorwärts zu bringen. Abgehalten wird sie von der fiktiven Dame einer unmöglichen Kaffeewerbung und ihrer verrückten Nachbarin, die ihr zeigt, wie unglücklich alle um sie herum sind. Ein kathartischer Sprung in den Pool wäscht alle seelischen und Alltagshindernisse von ihr. Wenn’s nur immer so einfach wäre.

Im Gefängnis sagt eine groß und breit eingeführte Figur, die man in der dritten Episode bereits wieder vergessen hat, zu Hampton: „Wenn du nicht Gottes Pfad folgst, dann macht er dich platt.“ Der Serie wiederum hätte man gewünscht, sie würde all ihren Pfiff darauf verwenden, ihrer Geschichte zu folgen. Nun mag zwar Gott hier ein Auge zudrücken, immerhin strotzt „Government Cheese“ vor biblischen Motiven, doch den Zuschauer macht es irgendwann etwas platt – auch wenn ihn die Wundertütenhaftigkeit jeder einzelnen Episode bei der Stange hält.

Sich zu fragen, was oder wohin diese Serie will, ist müßig. Genauso gut könnte man sich fragen: Was oder wohin wollen Eiscreme oder Überraschungseier? Die Stärke der Serie ist, dass man diese Fragen bald wieder vergisst und feststellt, dass man doch schon bei Episode sieben gelandet ist. Sicheres Auftreten trotz erzählerischer Orientierungslosigkeit, das ist eines dieser neuen Erfolgsrezepte jener Streamingmaschinen, die gezwungen sind, ihrem oft sehr selbstbewussten Publikum immer wieder vor Augen führen, wie smart sie zu unterhalten wissen. Und so demonstriert dieser unterhaltsame Käse immerhin den Unterschied zwischen Smartness und Klugheit: Letztere braucht Kohärenz.

Government Cheese läuft bei AppleTV+.

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