Konklave: Die Stunde der Polarisierer

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Eigentlich soll es ja der Heilige Geist richten, der den Kardinälen im Konklave die Hand führt, wenn sie einen Namen für das Amt des Papstes auf den Stimmzettel schreiben – möglichst leserlich, so ist es erwünscht, gern auch mit verstellter Schrift, damit der Stimmzettel nicht zuzuordnen ist. Weil der Heilige Geist aber nicht immer überall und sofort zur Stelle ist, braucht es in der Regel mehrere, womöglich viele Wahlgänge, bis ein Kandidat die erforderliche Mehrheit erreicht. Dabei kommen, Heiliger Geist hin oder her, auch im Konklave wahltaktische Überlegungen zum Tragen.

Mehr noch: Das praktizierte Wahlverfahren fordert es geradezu heraus, dass sich von Wahlgang zu Wahlgang neue Koalitionen bilden und neue Mehrheiten finden. Etwa durch Nebenabsprachen, sagt der Volkswirtschaftsprofessor Salvatore Barbaro von der Universität Mainz und fügt entschuldigend hinzu: „Wir Ökonomen denken vielleicht zu schlecht über Menschen.“ Anders aber sei es nicht zu erklären, warum man eine Vielzahl von Wahlgängen anstrebt und das Prozedere zwischen den Wahlgängen weitgehend ungeregelt lässt: „Das Verfahren ist somit in höchstem Maße anfällig für strategische Entscheidungen“, sagt Barbaro.

In der ersten Phase sind klar abgegrenzte Positionen gefragt

Nach den Erkenntnissen der Public-Choice-Theorie, also der Wissenschaft von der öffentlichen Wahl, ist es wahrscheinlich, dass in den ersten Wahlgängen gerade Kandidaten mit pointierten Positionen besonders viele Stimmen auf sich vereinen können. Die Wähler haben jeweils und immer aufs Neue nur eine einzige Stimme, die sie tendenziell einem Kandidaten geben, der sich ihnen durch klare Aussagen empfiehlt. Wer polarisiert, erklärt Barbaro, hat viele Unterstützer und kommt womöglich auf Platz eins – auch wenn ihn gleichzeitig viele andere entschieden ablehnen.

:So läuft das Konklave ab

Die Wahl eines neuen Papstes folgt einem Jahrhunderte alten, geheimnisumwitterten Prozedere. Eine 3D-Reise an die wichtigsten Schauplätze.

Kompromisskandidaten, die eher für den Ausgleich von Interessen stehen, sind in dieser Phase kaum gefragt. Wenn sie aber in den ersten Wahlgängen mit nur wenigen Stimmen abschneiden, ist es wahrscheinlich, dass sie sich von diesem schlechten Start nicht mehr erholen. Man will seine Stimme ja nicht verschenken. Deshalb fallen diese Kandidaten von Wahlgang zu Wahlgang meist weiter zurück. Gut möglich also, dass bei dieser Papstwahl ausgerechnet jene Namen, die in der Öffentlichkeit und in den Wettportalen groß gehandelt werden, überraschend schnell aus dem Spiel sind.

Dafür schälen sich bald Favoriten heraus, die die meisten Stimmen auf sich versammeln. Aber auch dahinter kann Wahltaktik stecken. So berichtete Franziskus, der sich als Papst um das eigentlich eherne Geheimhaltungsgebot keinen großen Kopf machte, über das Konklave von 2005, als es um die Nachfolge von Johannes Paul II. ging, dass er selbst in zwei Wahlgängen jeweils knapp ein Drittel aller Stimmen erhalten habe. Das habe aber gar nicht ihm gegolten, sondern sollte nur den Durchmarsch des konservativen Kardinals Josef Ratzinger verhindern.

Franziskus selbst empfand sich als Zählkandidat. „Sie brauchten mich, hatten aber bereits einen anderen Kardinal im Hinterkopf.“ Der Argentinier machte diesem Spiel ein Ende, indem er das Signal gab, nicht zur Verfügung zu stehen – womit der Weg frei war für den führenden Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI.

Schreitet das Konklave voran, lässt der Nimbus der Extremen nach

Im späteren Verlauf des Konklaves verlieren die Extremen allerdings ihren Nimbus. Besonders, wenn sie einander blockieren. Dann wird plötzlich wieder ein Gemäßigter attraktiv – weil er das Patt auflösen kann. In der Folge kommen möglicherweise neue Kandidaten ins Spiel, die nicht schon am Anfang „verbraucht“ worden sind. Ihre Namen fallen natürlich auch nicht vom Himmel, sondern werden in den Ruhepausen zwischen den Wahlgängen, wenn die Kardinäle sich zum Essen und Schlafen wieder im Gästehaus Santa Marta befinden, in spontanen oder weniger spontanen Runde womöglich regelrecht ausgekungelt.

Das Domus Sanctae Marthae (Gästehaus Santa Marta) ist ein weniger verschwiegener Ort, als es den Anschein hat.
Das Domus Sanctae Marthae (Gästehaus Santa Marta) ist ein weniger verschwiegener Ort, als es den Anschein hat. (Foto: Alessia Giuliani/CPP/KNA)

Am Ende führt nach der derzeit geltenden Wahlordnung kein Weg daran vorbei, dass der nächste Papst mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden muss. Das setzt die Hürden einer Einigung sehr hoch. Deshalb hatte Johannes Paul II. im Jahr 1996 eigentlich verfügt, dass bei der Wahl seines Nachfolgers nach 33 oder 34 Wahlgängen sich die Kardinäle entschließen dürften, auch die einfache Mehrheit als ausreichend anzusehen. Benedikt XVI. hatte diese Erleichterung 2007 aber wieder rückgängig gemacht. Allerdings soll es jetzt nach 34 oder 35 Wahlgängen nur noch Stichwahlen zwischen den beiden jeweils Bestplatzierten geben – weiterhin mit dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit.

Wissenschaftler Barbaro weist darauf hin, dass der große Kirchengelehrte Nikolaus von Kues, genannt Cusanus, schon im 15. Jahrhundert die Defizite des Papstwahlverfahrens und die Gefahr von Mauscheleien und Nebenabsprachen erkannt und Abhilfe vorgeschlagen hatte. In seiner Schrift De concordia catholica von 1433 beschreibt Cusanus, der selbst Kardinal war, eine Methode, die heute in der Wissenschaft als Borda-Verfahren bekannt ist: Jeder Wahlberechtigte gibt seine Präferenzen in einer Rangliste an, dann bekommt jeder Erstplatzierte eine bestimmte Anzahl von Punkten, jeder weitere Platzierte je einen Punkt weniger.

Bei der Borda-Wahl küren die Teilnehmer also ihre Favoriten und prägen damit den weiteren Verlauf der Entscheidung. Doch das Verfahren hat sich in der römisch-katholischen Kirche nie durchsetzen können. Dafür kennt man es von weltlichen Wettstreiten wie dem European Song Contest.

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