Jede gute Geschichte ist eine Liebesgeschichte. Das sagt zumindest Charisse, Ferris’ Oma. So wie die Geschichte ihrer Geburt. Ferris war auf einem Jahrmarkt, genauer gesagt unter einem Riesenrad, zur Welt gekommen. Und weil diese in den USA „Ferris Wheel“ genannt werden, nennt niemand sie bei ihrem echten Namen, sondern einfach nur Ferris. Mit dieser spektakulären Geburt hatte sie es damals sogar in die Zeitung geschafft. Charisse hatte sie damals aufgefangen und war die Erste, die Ferris sah. „Willkommen, Liebes.“
Mittlerweile ist Ferris zehn Jahre alt. Sie und ihre Großmutter Charisse leben gemeinsam in einem Haus, zusammen mit Ferris’ Eltern, ihrer sechs Jahre alten Schwester Pinky, dem Hund Boomer und zurzeit auch ihrem Onkel Ted, der im Keller lebt, seit er sich von Ferris’ Tante Shirley getrennt hat.
Berufswunsch: Verbrecherin
„Der Sommer der unmöglichen Dinge“ der amerikanischen Autorin Kate DiCamillo ist eine rasante Geschichte, die zeigt, wie spektakulär, kurios, voller Wunder und Unerklärlichkeiten auch der Alltag sein kann. Es sind Ferien, und während Ferris’ Vater auf dem Dachboden Waschbären jagt, geht ihr Onkel im Keller das große Projekt an, die Geschichte der Welt zu malen, die er mit der Zeichnung eines Fußes beginnt und nur sehr schleppend voranbringt. Ihre Tante Shirley, die nicht einfach nur Haare schneidet, sondern Kosmetologin mit eigenem Salon ist, verpasst Ferris erst mal eine Dauerwelle, als das Mädchen versucht, für ihren Onkel herauszufinden, ob Shirley ihn vermisst. Und ihre kleine Schwester Pinky hat es sich in den Kopf gesetzt, Verbrecherin zu werden. Sie ist radikal und wild, bricht jede Regel und treibt damit nicht nur ihre Familie in den Wahnsinn. Dann ist da noch Ferris’ bester Freund Billy Jackson, der immer wieder den gleichen Song auf dem Klavier spielt. Sie sitzen oft auf dem Dach des Steakhauses seines Vaters, Big Billy Jackson, und schauen in den Himmel. Und dann sieht Charisse plötzlich einen Geist, der einen Auftrag für Ferris hat. Sie soll den Kronleuchter zum Strahlen bringen.
Die Autorin Kate DiCamillo ist für ihre Bücher vielfach ausgezeichnet worden, mit Geschichten wie „Winn-Dixie“ und „Kentucky Star“ schaffte sie ihren Durchbruch. Seichte Kinderliteratur schreibt sie nicht, sie traut sich an die schwierigen Seiten des Lebens heran. Ihre Geschichten handeln oft von Einsamkeit, Heimweh und Verlust. Ihre Figuren sind verwirrt und auf der Suche, finden sich aber auf dem Weg, sie entdecken sich neu.
Kate DiCamillo: „Der Sommer der unmöglichen Dinge“. Roman.VerlagSo auch in „Der Sommer der unmöglichen Dinge“. Ferris’ Familie ist chaotisch und liebenswert, ihre Mitglieder schrill und eigen. In all dem Trubel steht Ferris und versucht für ein bisschen Ordnung zu sorgen. DiCamillo zeichnet mit Ferris eine komplexe Figur, die vor vielen Herausforderungen steht. Die Zehnjährige ist patent, klug und mutig, zerbricht sich aber oft den Kopf. So hat sie Schuldgefühle, als sie beim Spionieren für ihren Onkel erwischt wird. Sie will, anders als ihre rebellische Schwester, alles richtig und korrekt machen. Und sie sorgt sich um ihre Oma. Charisse wird schwächer, der Arzt diagnostiziert eine Herzinsuffizienz.
Manchmal sind ihre Gefühle aber auch einfach diffus. „Sie konnte nicht genau erklären, wovor sie Angst hatte – dass Charisse so viel schlief? Dass die Geschichte der Welt nicht gemalt wurde? Dass Pinky in der Hand des Gesetzes war? Das Gesetz in der Hand von Pinky?“ Doch Ferris brauche keine Angst zu haben, sagt ihre Mutter. Denn so sei eben das Leben. „Lernen, in der Welt zurechtzukommen“.
Bei alldem hat die Erzählung auch eine Leichtigkeit und ist voller Witz. Dass Charisse zum Arzt muss, weil es ihr immer schlechter geht, ist traurig. Dass Pinky mit wehendem schwarzen Anzug durch die Praxis läuft, einer Schwester namens Marla Dean in die Hand beißt und dann trotzig die Szene verlässt, kreiert dagegen eine skurrile Komik. Es gibt immer wieder Momente, die ambivalent sind, weil sich Wut und Liebe, Angst und Hoffnung überlappen. So ist auch die Geschichte mal traurig, mal wirklich lustig und meistens beides gleichzeitig. Und erzählt davon, wie in diesem Sommer das Unmögliche möglich wird.
Kate DiCamillo: „Der Sommer der unmöglichen Dinge“. Roman.
Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Dtv, München 2025. 208 S., geb., 15,– €. Ab 10 J.

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