Auf dem Weg zum Rednerpult kann sich Alice Weidel ein Lächeln nicht verkneifen. Ist es Vorfreude? Angriffslust? Oder muss sich die AfD-Chefin womöglich selbst noch an die neuen Realitäten im Bundestag gewöhnen?
Ihre Partei ist mit 152 Sitzen die klar zweitstärkste Kraft im Bundestag, Weidel damit Oppositionsführerin – damit übernimmt sie jenen Job, den in den vergangenen knapp vier Jahren Friedrich Merz (CDU) beackern durfte. Einen, der ihr das Privileg gibt, an diesem Dienstag als erste auf die Regierungserklärung des Kanzlers zu antworten.
Weidel nutzt die Gelegenheit, um den Ton für die nächsten vier Jahre zu setzen. Sie brandmarkt das Bürgergeld als „Migrantengeld“ und schießt erwartbar geschmacklos gegen Migranten: Das „Morden, Messern und Vergewaltigen“ durch diese, so Weidel, gehe weiter. „Jeden Tag.“
Hatte ihr Co-Parteichef Tino Chrupalla nicht erst kürzlich angekündigt, die AfD werde zukünftig im Parlament auf einen gemäßigteren Ton setzen? Weidel braucht an diesem Tag keine zehn Minuten, um dies abzuräumen.
Merz macht es Weidel fast zu leicht
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Friedrich Merz ihr diesen Auftritt mit seinen eigenen Inkonsistenzen fast schon zu einfach gemacht hat. Ob Schuldenbremse, Heizungsgesetz oder „Verbrennerverbot“, sichtlich genüsslich rechnet Weidel dem Kanzler die offenen Flanken vor, die dieser sich in den vergangenen Monaten selbst zugefügt hat.
Er sei ein „Kanzler zweiter Wahl“ und ein „Kanzler der Linken“, sagt Weidel an Merz gerichtet. „Weil Sie Ihre Wahlversprechen mithilfe von Grünen und Linken abgeräumt haben.“
Die Adressaten sind klar: Konservative, die von Merz‘ zahlreichen Kehrtwenden frustriert sind und sich von ihm eine klarere Linie erhofft hatten. Von denen gibt es in der Union und ihrer Wählerschaft nicht wenige und Weidel macht in ihrer Rede keinen Hehl daraus, dass sie diese gerne auf ihre Seite ziehen würde.
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Wer in der Union „einen Politikwechsel“ und einen „Bruch mit linker Politik“ wolle, so Weidel, „der weiß, wo er die alternativen Mehrheiten findet“. So kann man ein Kooperationsangebot auch formulieren.
Doch für den Moment haben Weidel und ihre Partei andere Probleme: die Einstufung der Partei als gesichert rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz. Dieses Urteil ruht zwar derzeit bis zu einem Gerichtsentscheid, aber wie tief der Stachel sitzt, zeigt sich darin, dass Weidel fast die Hälfte ihrer Redezeit mit Verteidigung verbringt.
Wobei Verteidigung für sie natürlich Angriff bedeutet. Kurzerhand versucht die AfD-Chefin nämlich, die Definition von Extremismus umzudeuten.
Extremistisch sei nämlich nicht etwa die AfD, so Weidel, sondern so ziemlich alles, was die demokratischen Parteien in den vergangenen Jahren vertreten haben: das Asylrecht, die Coronapolitik, Staatsschulden, die Ukrainepolitik und natürlich das jüngste Gutachten des Verfassungsschutzes. Nicht unwahrscheinlich, dass dieser bei ihrer Rede genau hingehört hat.