Bislang waren Julien Baker und Mackenzie Scott als Songwriterinnen unterwegs. Jetzt haben sie ein queeres Country-Album aufgenommen – und wollen Konservative empören.
18. April 2025, 20:39 Uhr
Alle wollen Country sein: Gwen Stefani, Post Malone, Beyoncé natürlich und jüngst auch Lana Del Rey. Country hat sich aus seiner Nische herausentwickelt und den US-amerikanischen Musik-Mainstream übernommen. Ausgerechnet jetzt, da die politische Zukunft der USA ungewiss erscheint, ist Country größer denn je: diese Musik, die wie keine andere für dieses Land steht, geboren aus Einflüssen aus Afrika, Mittelamerika, der Karibik, aus den Appalachen, aus der Arbeiterklasse. Der Mainstream hat diese Spuren verwischt. Country als Spiegel US-amerikanischer Geschichts- und Realitätsverweigerung: Diese Metapher ist fast zu platt, um wahr zu sein.
Inmitten dieser Country-Renaissance haben die Musikerinnen Julien Baker und Mackenzie Scott ein Album aufgenommen, das ebenfalls dem Genre huldigt: Send a Prayer My Way. Es wäre leicht, das Duo als weiteres Beispiel für all jene zu verstehen, die die Country-Welle mitreiten wollen, zwei Künstlerinnen, die, eigentlich in anderen musikalischen Welten unterwegs, nun erstmals als Countrykünstlerinnen in Erscheinung treten.
Doch Scott und Baker passen nicht ganz hinein in diese Erzählung: Ihre Version des Country wendet sich ab vom Pop-Crossover, das heute dominiert, und sucht nach älteren Wurzeln. Und: Beide leben offen queer und singen auf ihrem Album genau davon. Queerness, das ist in der Welt des Mainstream-Country bis heute ein Tabu.
Im Zoom-Interview trägt Scott, blond gefärbte Haare, einen Pullover mit der Aufschrift Lesbians Inspire – Lesben inspirieren. "Das da hinten ist meine Cowboyhutsammlung, die meine Frau in unseren Keller verbannt hat", sagt sie. Baker sitzt in einem lichtdurchfluteten Raum voller Schränke und Poster, hinter ihr stapeln sich Gitarren. Die beiden Musikerinnen leben an unterschiedlichen Enden des Landes: Scott mit ihrer Ehefrau in Brooklyn, Baker in Los Angeles, genau wie ihre Bandkollegin Lucy Dacus, mit der sie, wie nach diesem Interview bekannt wird, auch in einer romantischen Beziehung ist. Send a Prayer My Way ist ihre erste Zusammenarbeit. Mackenzie Scott ist als Solokünstlerin unter dem Namen Torres bekannt, Julien Baker tritt als Einzelkünstlerin, vor allem aber als Teil der Indieband Boygenius mit Phoebe Bridgers und Lucy Dacus auf.
Hat Country Platz für zwei queere Künstlerinnen, die offen geoutet auf der Bühne stehen? Diese Frage stellen Scott und Baker erst gar nicht. Sie ignorieren sie. In den zwölf Songs des Albums singen sie über Beziehungen, über Alkohol- und Drogensucht, darüber, das eigene Zuhause zu verlassen und ein neues zu finden – gern in den Armen einer Partnerin.
Seinen Anfang nahm Send a Prayer My
Way in der Pandemie, erzählt Baker. 2020, während des ersten Lockdowns,
habe sie eine SMS von Scott erhalten, die sie bis dahin nur flüchtig kannte: "LOL, willst du mit mir ein Country-Album aufnehmen?" So willkürlich, wie es
klinge, sei diese Nachricht aber gar nicht gewesen, sagt Scott: "Ich wollte
schon lange ein Country-Album veröffentlichen, aber ich wollte es nicht allein
machen." Und wer läge da näher als eine Kollegin, die ebenfalls aus dem tiefen
Süden stammt und mit Country aufgewachsen ist? "Wir sind zwei queere Southerner,
die sich aus ihren Restriktionen herausgekämpft haben, um etwas zu schaffen,
das größer ist als wir selbst."
Ihre Zusammenarbeit sei geprägt von gegenseitiger Begeisterung, erzählen die beiden im Interview. Baker erinnert sich, dass sie besessen gewesen sei von Scotts zweitem Album Sprinter. Scotts Konzerte hätten ihr gezeigt, wie man als Musikerin Raum einnehmen, eine eigene Identität schaffen, die Erwartungen des Publikums ignorieren könne. "Ich habe in der Highschool angefangen, Mackenzies Musik zu hören", erzählt Baker, "über die Plattform Grooveshark – sorry, Mackenzie, du hast an keinem dieser Streams etwas verdient." Scott lacht. Sie fand in Bakers Musik ihre eigenen biografischen Erfahrungen wieder: Beide Musikerinnen stammen aus baptistischen Familien. Im Interview erzählen sie von der frühen Begegnung mit christlichem Fundamentalismus, von Freunden, die aufgrund ihrer Homosexualität in sogenannte "Konversionstherapie" gezwungen wurden. Das Aufwachsen als queere Außenseiterinnen im US-amerikanischen Süden verbinde sie, erzählt Scott. "Dadurch hatte ich das Gefühl, Julien auf eine Art vertrauen zu können, wie ich niemand anderem vertrauen kann."