Israel-Gaza-Krieg: Flugblätter warnen Menschen mit Koranvers vor Großoffensive

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»Menschen in Gaza, Israels Armee kommt« – die Mitteilung, die auf im Gazastreifen verbreiteten Flugblättern steht, ist eindeutig.

Die Worte sind unter einem Koranvers gedruckt, dahinter spaltet sich das Rote Meer wie in der Geschichte von Moses. Auf Arabisch steht dort: »Also sagten wir Moses: ›Schlag mit deinem Stock auf das Meer.‹ So spaltete es sich, und jeder Teil war wie ein gewaltiger Berg.«

Der SPIEGEL kann die Echtheit der Flugblätter, die im Internet kursieren, bestätigen. Offenbar warf die israelische Armee sie über Deir al-Balah in der Mitte des Küstenstreifens ab. Die Flugblätter tragen das Wappen der israelischen Armee. Zuerst hatten Medien wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet.

Die Flugblätter in Deir al-Balah sind nicht die einzigen, die aktuell kursieren. In Beit Lahiya, im Norden des Gebiets, warf die israelische Armee weitere Flugblätter ab. Darin werden die Menschen zur Evakuierung in den Süden aufgerufen, egal ob sie derzeit in Zelten, Bunkern oder Gebäuden leben.

»Sie befinden sich in einem gefährlichen Kampfbereich, und ihr Aufenthaltsort ist unsicher«, heißt es auf den Flugzetteln, die dem SPIEGEL vorliegen und die es bis in den Westen von Gaza-Stadt schafften. Ähnliche Aufrufe hatte es zuvor bereits in anderen Bereichen des Gebiets gegeben – etwa in Chan Junis im Süden.

Das israelische Militär startete vor wenigen Tagen eine neue Großoffensive in dem Küstenstreifen. Seither gibt es täglich neue Informationen über Dutzende Todesopfer in der seit Kriegsbeginn vor mehr als anderthalb Jahren sowieso schon geschundenen Bevölkerung.

Israels Premier Benjamin Netanyahu bekräftigte zuletzt das Ziel der neuen Großoffensive: die vollständige Besetzung des Gazastreifens. Die Menschen vor Ort sind verzweifelt, weil sie immer wieder ihre Wohnorte verlassen sollen. Viele aus dem Norden sind wegen der schweren Bombardements bereits in andere Gebiete des Gazastreifens geflohen.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Monatelang blockierte Israel Hilfslieferungen in den Gazastreifen; jetzt sollen es zwar wieder Lieferungen in den Gazastreifen geschafft haben, doch laut Uno haben sie die Not leidenden Menschen noch nicht erreicht.

Kritik von engen Partnern

Die andauernden Beschränkungen versetzen inzwischen jedoch selbst enge Partner Israels in Aufruhr . Der israelische Sender N12 etwa berichtet von einer »politischen und diplomatischen Krise«. Und zwar womöglich der schwerwiegendsten und schwierigsten, die Israel je erlebt habe.

Noch drastischere Worte fanden zuletzt die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und Kanada. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen Emmanuel Macron, Keir Starmer und Mark Carney von einer »völlig unverhältnismäßigen Eskalation«. »Das menschliche Leid in Gaza ist unerträglich«, hieß es. Die drei Politiker drohten sogar mit »konkreten Maßnahmen«, sollte die neue Großoffensive nicht eingestellt werden. Details nannten sie nicht. London aber setzte etwa Freihandelsgespräche mit Israel aus.

Die Verhandlungen um eine Waffenruhe stocken. Israel kündigte unlängst an, seine führenden Unterhändler aus Katar abzuziehen. Das sorgt selbst in Israel für Kritik, etwa beim Forum der Geiselfamilien. Noch immer soll die Hamas rund 20 lebende Geiseln in ihrer Gewalt haben.

Wie der Gazakrieg den deutschen Blick auf Israel verändert, lesen Sie hier  in der SPIEGEL-Titelgeschichte.

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