Iran: Was bedeutet die Fatwa gegen Trump?

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Ein iranischer Geistlicher hat eine Fatwa gegen US-Präsident Donald Trump verhängt, weil dieser den geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei mit dem Tode bedroht hat. So zumindest berichtet es die regimetreue Tehran Times. Die Fatwa stamme von einem prominenten Geistlichen aus Qom, Ayatollah Nasser Makarem Schirasi. Dieser habe auf die Anfrage eines Gläubigen erklärt, „Personen oder Regime, die eine islamische Herrschaft oder deren religiöse Führer bedrohen oder gar gegen sie vorgehen, gelten als Mohareb“ – als Terroristen oder Feinde Gottes.

Trump, den Schirasi namentlich gar nicht erwähnt, hatte vor einigen Tagen gedroht, Irans oberster Führer Chamenei sei ein leichtes Ziel. Er werde ihn aber nicht „ausschalten“, so Trump, „zumindest nicht im Moment“. Schirasis religiöse Erläuterung habe unbedingt den Rang einer Fatwa, so die Tehran Times, sei damit für „alle Muslime“ bindend. Selbst wenn islamische Staaten keine Möglichkeit fänden, sie zu vollstrecken, sei der einzelne Muslim in jedem Fall verpflichtet zu handeln. Und als hätte es dessen noch extra bedurft, erinnerte die Zeitung noch einmal an die berühmteste Fatwa der Neuzeit, an den Todesaufruf Ayatollah Ruhollah Chomenis gegen Salman Rushdie.

Der Mann, der Salman Rushdie angriff, war zum Zeitpunkt der Fatwa noch nicht einmal geboren

1989 hatte Chomeni die Muslime der Welt aufgefordert, den indisch-britischen Schriftsteller – und seine Verleger – zu töten, weil dieser mit seinem Buch „Die Satanischen Verse“ den Islam, den Koran und den Propheten beleidigt habe. Später hatte Irans Reform-Präsident Mohammad Chatami den Mordaufruf abgeschwächt, die Falken des Regimes das Kopfgeld aber anschließend wieder auf umgerechnet 2,8 Millionen Euro erhöht.

Jahre hatte Rushdie im Verborgenen verbracht, sich dann doch wieder an die Öffentlichkeit gewagt, bis im August 2022 Hadi Matar, ein 24-jähriger Muslim auf die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua bei New York stürmte und auf den Romancier einstacht, Hand, Nacken, Brust, Auge traf. Ob Matar, der zum Zeitpunkt der Fatwa nicht einmal geboren war, sich tatsächlich als Vollstrecker von Chomenis Fatwa sah, ist bis heute unklar.

Und doch bietet der Fall für die iranischen Hardliner eine willkommene Analogie: Selbst wenn es lange dauert und die Kräfte des zuständigen islamischen Staates so schwach sind wie jene des derzeit militärisch schwer gebeutelten Iran, kann jeder Muslim überall auf der Welt einspringen. Es ist diese globale Geltung, die Konstruktion einer ubiquitären Feindschaft aller Muslime gegen ihre vermeintlichen Feinde, die den Islam in den Augen vieler zu einer Bedrohung macht.

Die Fatwa gegen Trump teilt die Logik von jener gegen Rushdie

Aber schaut man sich die religiöse Tradition der Fatwa oder auch nur ihre aktuelle Praxis an, stellt man fest, dass Chomenis mörderischer Aufruf eine spektakuläre Ausnahme war: politisch durchaus kalkuliert in der Rivalität zu Saudi-Arabien, theologisch angreifbar – Rushdie war kein iranischer Staatsbürger und unterlag nicht den Gesetzen der Scharia in Iran. Nach den Weltgeltungsansprüchen der islamischen Revolution war er aber durchaus logisch. Dass Ayatollah Nasser Makarem Schirasi mit seinen Drohungen gegen Trump diese Logik teilt, liegt auf der Hand.

Doch Fatwas, islamische Rechtsgutachten, sind keineswegs für alle Muslime bindend, sondern nur für jene Gläubigen, die die Autorität des ausstellenden Geistlichen, fast immer: des Muftis, anerkennen. In Chomenis Fall waren das Millionen, nicht nur Iraner, nicht nur Schiiten. Aber welcher Sunnit kennt Nasser Makarem Schirasi?

Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer hat beschrieben, wie Muslime über Jahrhunderte das Instrument der Rechtsgutachten für die Auslegung religiöser Texte nutzten, oder auch nur, um Widersprüche ihres Glaubens gegenüber der realen Welt abzubilden. Bis heute seien mehrdeutige Koran-Passagen Gegenstand von Fatwas, so Bauer.

Für die Mehrheit der Muslime ist die Fatwa eine Art religiöser Lebenshilfe

Die überwiegende Mehrzahl der Muslime aber benutzt das Instrument der Rechtsgutachten heute als eine Art religiöser Lebenshilfe. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland befragte die Gelehrten der Al-Ashar in Kairo zur Frage, ob Profifußballer im Ramadan fasten müssen, was dieser verneinte. Der indonesische Gelehrtenrat erließ 2014 eine Fatwa gegen Wilderei. Und muslimische Geistliche in Saudi-Arabien, Indien oder Großbritannien erließen 2014 eine Fatwa gegen den Islamischen Staat. Es gibt Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsender, die Fatwas darlegen und natürlich auch längst die Online-Fatwa.

Aufmerksamkeit erregen sie naturgemäß erst, wenn sie zur Gewalt aufrufen – jetzt gegen Trump, 1993 gegen die Frauenrechtlerin Taslima Nasrin aus Bangladesch, 2013 gegen den ägyptisch stämmigen Publizisten Hamid Abdel-Samad. Und natürlich gegen Salman Rushdie.

Nach der Fatwa habe er den Angriff in Gedanken ungezählte Male durchlebt, schreibt Rushdie in seinem Buch „Knife“.  Als dann der Angreifer im August vor drei Jahren tatsächlich auf der Bühne des Chautaugua-Theaters auf ihn zustürmt, habe er sich aufgerichtet, zu ihm gedreht und schützend die Hand gehoben. „Du bist es also“, habe er gedacht. Und: „Echt jetzt? Es ist so lang her.“

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