Nach Berichten über Tote an Verteilzentren ermittelt Israel offenbar wegen möglicher Kriegsverbrechen. Die Regierung spricht von der "moralischsten Armee der Welt".
28. Juni 2025, 4:33 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, Reuters, dpa, hoe
Israels Militärstaatsanwaltschaft ermittelt einem Zeitungsbericht zufolge wegen möglicher Kriegsverbrechen in Zusammenhang mit Schüssen auf Palästinenser in der Nähe von Hilfszentren im Gazastreifen. Wie die Tageszeitung Ha'aretz berichtet, soll die Untersuchungseinheit beim Generalstab der Streitkräfte prüfen, ob israelische Soldaten, die die Verteilzentren der umstrittenen Gaza Humanitarian Foundation (GHF) sichern sollten, gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen haben.
Nach UN-Angaben sollen im Umfeld der Essensverteilung der GHF seit Ende Mai mindestens 410 Palästinenser getötet worden sein. In fast allen Fällen sollen israelische Soldaten ohne Anlass auf unbewaffnete Menschen geschossen haben, die sich vor der Öffnung dieser Zentren angestellt hatten.
Die GHF ist eine von Israel und den USA unterstützte Stiftung mit undurchsichtigem Hintergrund. Israel hatte sie nach einer wochenlangen Totalblockade des abgeriegelten Gazastreifens ins Spiel gebracht, um die Verteilung von Hilfsgütern durch die UN und andere Organisationen zu umgehen. Nach israelischer Lesart wird der Großteil der Hilfen, die durch diese Organisationen nach Gaza kommen, von der islamistischen Hamas gestohlen. Beweise für einen systematischen Raub dieser Hilfsgüter durch die Hamas gibt es allerdings keine.
"Todeszone" für Hilfesuchende
Dem Ha'aretz-Bericht zufolge bestätigen beteiligte Soldaten und Offiziere die unbegründete Tötung von Palästinensern in der Nähe der Verteilzentren. Demnach würden die Soldaten auf die Menschen feuern, um sie von den Zentren fernzuhalten, bevor sie öffnen. "Es ist eine Todeszone", zitierte das Blatt einen Armeeangehörigen, der selbst vor Ort war. "Sie werden wie eine Feindmacht behandelt, da gibt es keine Maßnahmen zur Kontrolle von Menschenmengen, kein Tränengas, nur Feuer aus allen erdenklichen Waffen, aus Maschinengewehren, Granatwerfern, Mörsern."
Die GHF-Zentren werden von privaten amerikanischen Sicherheitsfirmen betrieben, das weitere Umfeld soll von israelischen Einheiten gesichert werden. Dabei handelt es sich um klassische Kampftruppen, die für die Kontrolle von Menschenmengen nicht ausgebildet sind. "Unsere Art der Kommunikation (mit palästinensischen Hilfsbedürftigen) ist zu schießen", zitierte Ha'aretz den beteiligten Soldaten.
Regierung empört sich über Bericht
Der Bericht schlug in Israel hohe Wellen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz bezeichneten dies in einer gemeinsamen Erklärung als "böswillige Lüge". Diese würde nur dazu dienen, um "die moralischste Armee der Welt zu diffamieren". Frühere Vorwürfe, das Militär würde willkürlich auf Palästinenser im Umfeld der GHF-Zentren schießen, hatte die Armee mit dem Argument zurückgewiesen, dass in allen diesen Fällen für die betroffenen Soldaten eine Bedrohung geherrscht habe.
In einer Erklärung am späten Freitagabend sagte ein Sprecher der umstrittenen Hilfsorganisation GHF, dass es bisher keine Zwischenfälle oder Tote an oder in der unmittelbaren Umgebung der Verteilungsstellen gegeben habe. "Die GHF hat keine Kenntnis von diesen Vorfällen, aber diese Anschuldigungen sind zu schwerwiegend, um sie zu ignorieren, und wir fordern Israel daher auf, sie zu untersuchen und die Ergebnisse zeitnah und transparent zu veröffentlichen", sagte der Sprecher. In der Erklärung heißt es weiter, dass das israelische Militär die Aufgabe habe, allen humanitären Organisationen, die im Gazastreifen tätig seien, einschließlich der GHF, sicheres Geleit zu gewähren.