Der Rechtsstreit zwischen großen US-Plattenlabels und dem Internet Archive ist beigelegt. Das haben der Verband der US-Musikindustrie, die Labels und die Online-Bibliothek dem zuständigen Gericht mitgeteilt und darum gebeten, alle geltenden Fristen aufzuheben. Sobald bestimmte Bedingungen der Einigung erfüllt wurden, werde man einen förmlichen Antrag auf Abweisung der Klage stellen, das werde spätestens in 45 Tagen geschehen. In einem Blogeintrag des Internet Archive heißt es, dass die vertrauliche Einigung alle Ansprüche umfasst und man sich nicht weiter öffentlich dazu äußern werde. Beobachten könnte man derweil aber, was in den nächsten Wochen mit dem "Great 78 Project" geschieht, um das es in der Auseinandersetzung ging.
Digitalisierung der ersten Schallplattengeneration
Unter dem Namen "Great 78"-Projekt will das Internet Archive hunderttausende Schallplatten digitalisieren und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gepresst wurden. Verschiedene Einrichtungen und Personen haben die Schallplatten gespendet, damit das Internet Archive den Kulturschatz online stellen kann. Die sogenannten Schellackplatten waren für 78 Umdrehungen pro Minute ausgelegt und sind die Vorgänger der Vinylplatten. Inzwischen umfasst das frei durchsuchbare Archiv mehr als 200.000 Schallplatten und mehr als 400.000 Musikstücke, unklar ist aber jetzt, ob und wie es nach der Beilegung des Rechtsstreits weiter angeboten werden kann.
Die US-Musikfirmen sind im Sommer 2023 vor Gericht gezogen und haben wegen der Veröffentlichung der alten Aufnahmen und den damit verbundenen "Massendiebstahl" 150.000 US-Dollar für jede abrufbare Schallplatte verlangt. Damals ging es um insgesamt 372 Millionen US-Dollar. Später haben sie die Zahl der betroffenen Aufzeichnungen noch einmal auf mehr als 600 Millionen US-Dollar erhöht. Basis für die Klage ist ein unter US-Präsident Donald Trump 2018 gebilligtes Gesetz, das nachträglich bundesrechtlichen Urheberrechtsschutz für vor 1972 entstandene Tonaufnahmen einführt. Jetzt gelten die Monopolrechte US-weit für jeweils gut 100 Jahre (für Aufnahmen bis 1946) respektive bis 2067 (für Aufnahmen von 1947 bis 1972). Die Klage hat die Existenz des Internet Archives insgesamt bedroht.
Gegen das Vorgehen der Musikindustrie hat es viel Protest gegeben, darunter ein dramatischer Appell im Frühjahr. Darin hieß es, dass es in dem Verfahren nicht nur um Musik gehe, sondern darum, "ob unsere digitale Geschichte überhaupt überlebt". Die fragilen Aufnahmen seien "Teil einer verschwindenden amerikanischen Kultur". Obendrein sei das dadurch bedrohte Internet Archive vor allem wegen der Wayback Machine ein wichtiger öffentlicher Dienst, den Millionen täglich nutzen, um historische "Schnappschüsse" von Internetseiten einzusehen. Damit können Quellen überprüft, Desinformation begegnet und Rechenschaftspflicht geleistet werden. Mit der juristischen Attacke stehe deshalb eine "kritische Infrastruktur des Internets" auf der Kippe.
(mho)