Influencerin Marie-Joan Schmidt: Wie »Dr. Rambazamba« über Sex aufklärt

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»Dinge, die beim Rambazamba normal sind, aber über die niemand spricht, weil unsere Gesellschaft einen Stock in der Hintertür hat«, sagt Marie-Joan Schmidt in ihre Kamera. Die 23-Jährige, blonde Haare, pinkfarbenes Top, bunte Strickjacke, buntes Perlenkettchen, sitzt mit einer großen Kaffeetasse auf ihrer Bettkante und dreht ein Video für Social Media. Sie zählt auf:

Erstens »VV-Furze«, medizinisch Flatus Vaginalis . Die »kannst du nicht einhalten«, denn »VV-Furze ist was anderes als normale Furze, die entstehen nämlich, wenn da Luft reingepumpt wird und es wird schlimmer, wenn ihr ohne Gummi macht. Durch seine Soldaten, die schrettern da noch mal so richtig durch«, sagt sie und kann sich ein Kichern nicht verkneifen.

Zweitens: »Ihr habt angefangen und du hast plötzlich keine Lust mehr«, sagt sie und wird etwas ernster. »Man kennt es, normal. Dann sagst du, du hast keine Lust mehr – du machst nicht ihm zuliebe weiter, oder ihr zuliebe«, rät Schmidt eindringlich. »Jemand, der in diesem Moment anfängt, dich zu überreden oder bettelt oder flennt … das ist die übelste Red Flag, die es überhaupt gibt.«

Drittens: »Der Brudi ist gefallen«, sagt Schmidt und knickt eine Plüschkarotte um. »Girl, das hat nichts mit dir zu tun. Das kann an ihm liegen, er ist aufgeregt, sein Körper will nicht so, wie sein Kopf will.«

Wie Marie-Joan Schmidt zu Dr. Rambazamba wurde

Mit solchen Videos erreicht »Marie Joan« ein beachtliches Publikum im Internet. Rund 935.000 Accounts folgen ihr auf TikTok , 600.000 sind es auf Instagram , 375.000 auf YouTube . Medien nennen sie die neue »Dr. Sommer« – nur dass die meisten ihrer Fans, die sie »geile Söckchen« nennt, wohl nie eine »Bravo« in der Hand gehalten haben.

Ihre Community nennt Schmidt lieber »Dr. Rambazamba«. Ob Sommer oder Rambazamba, die Inhalte sind ähnlich. Die junge Rheinländerin spricht über Themen, die das Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewegen. Sie macht freche Sketche über Sex, Verhütung, Herzschmerz und Beziehungen. Spricht aber auch in ernsten Tönen über Themen wie sexuelle Übergriffe, Selbstbestimmtheit und Grenzen. Wie wurde Schmidt zur Aufklärerin der Gen Z – und was ist ihre Mission?

Ende August, Schmidt lädt den SPIEGEL zur Sprechstunde in ihre Altbauwohnung bei Köln, wo die beiden Kaninchen Turbo und Glöckchen über den quietschbunt-gefleckten Teppich im Wohnzimmer hoppeln. Im Regal vor ihrer Küche hat sie Sexspielzeuge aufgereiht, Gleitgel und Kondome. »Unbenutzte Geschenke von Kooperationspartnern, meine eigenen sind im Schlafzimmer«, sagt sie mit einem verschmitzten Grinsen. »Darf man sich überhaupt einfach so aus Spaß Doktor nennen, oder bekommt man dann Ärger?«, fragt sie. »Ich sage ja selbst lieber CEO of Rambazamba.«

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Rambazamba, eines ihrer Codewörter, steht hier für Sex. So versucht sie, den Filtern und Sperr-Algorithmen von Social Media zu entkommen. »VV« (gesprochen »Vivi«) gehört auch dazu, es steht für Vagina. Ab und zu werden ihre Kanäle trotzdem gesperrt, »aber wir haben ja Kontakte und bekommen die bislang jedes Mal zurück«, sagt Schmidt.

Dann erzählt sie, wer hinter dem ganzen Rambazamba steckt.

Vom Mobbing zur Selbstakzeptanz

Ihre Geschichte beginnt mit einem kriselnden Elternhaus. Mit wenig Geld. Mit Unsicherheit über den eigenen Körper. »Ich hatte noch nie ein gesundes Verhältnis zum Essen«, sagt sie. Als Kind wurde sie in der Schule wegen ihres Gewichts gemobbt, erzählt Schmidt. Mit dem Wunsch, selbstbewusster zu sein und dazuzugehören, habe sie in den Sommerferien der siebten Klasse mehr als zehn Kilo abgenommen. »Auf einmal hatte ich Freunde, war in den beliebten Cliquen, das macht was mit dir. Ich dachte, ich muss jetzt für immer dünn bleiben, und habe mich ins andere Extrem entwickelt.«

Doch immer öfter habe sie unter Fressattacken gelitten, weil sie sich selbst so ausgehungert habe, sagt Schmidt. Sie ging in Therapie. »Erst kurz vor meinem 16. Lebensjahr wurde das besser, weil ich mir irgendwann selbst gesagt habe, dass ich keine Lust mehr habe, essgestört zu sein. Hilfe von außen ist zwar gut, aber irgendwann muss dieser Impuls auch von innen kommen.«

Schmidt lernte, wie Selbstakzeptanz geht – und wie sie sich selbst reflektiert. Gleichzeitig prägten Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen in der Jugend ihre feministische Haltung.

Etwa als sie das erste Mal Opfer von Catcalling wurde, da war sie gerade mal in der siebten Klasse. Oder als sie auf offener Straße angegrabscht wurde. Oder in Momenten, in denen Jungs sie zu sexuellen Erfahrungen überredet haben, in denen sie nach mehrfachem Neinsagen verunsichert eingeknickt sei, wie sie erzählt. Das prägendste Ereignis sei gewesen, als sie im Alter von 17 Jahren auf einer Party einen sexuellen Übergriff erlebte. »Meine Therapeutin hat mir ein halbes Jahr später, als ich das erste Mal darüber gesprochen habe, klargemacht, dass das eine Vergewaltigung war«, sagt Schmidt heute. »Ich habe das lange verdrängt und erst vier Jahre später so richtig verstanden und als Vergewaltigung anerkannt.«

»Mein Körper, meine Entscheidung«

Es sind Erfahrungen, die so oder so ähnlich zu viele Frauen in ihrem Leben machen. »Von meinem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, habe ich immer gehört, ›Ah ja, so sind die Männer eben, die muss man einfach so akzeptieren‹«, sagt Schmidt. Dulden wollte sie das nicht.

Schmidt engagierte sich nach eigenen Angaben früh politisch, und neben ihrem Studium in Frühförderung an einer Kölner Uni fing sie 2020 mit ihrer Aufklärungsarbeit auf Social Media an. Sie postete Bilder von sich selbst mit feministischen Botschaften, ihre Followerzahlen wuchsen stetig, erinnert sich Schmidt.

Ihren Weg zum Internetruhm ging »Dr. Rambazamba« fast wissenschaftlich kalkuliert an. Sie beschäftigte sich intensiv damit, wie die Algorithmen auf Instagram und später auf TikTok funktionieren. »Ich habe mir einen Plan geschrieben, nach dem ich angefangen habe, regelmäßig zu posten – und habe damit bis heute nicht aufgehört.«

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Im Sommer 2021, nach der Trennung von ihrem damaligen Partner, habe sie angefangen, in ihren Videos auch über Sex zu reden, erinnert sie sich. »Als ich das erste Mal über meine Vergewaltigung gesprochen habe, war das ein Schlüsselmoment«, sagt sie. »Es war erschreckend, wie viele Girls mir jeden Tag schreiben, dass sie ähnliche Erfahrungen machen mussten.«

Bereits im Herbst 2021 habe sie das erste Mal gemerkt, dass aus ihrer Aufklärungsarbeit tatsächlich eine Karriere werden kann. »Da hat mein Management, in dem ich gerade frisch war, gesagt, dass ich mein Bafög abmelden kann«, sagt Schmidt und wirkt darüber bis heute etwas ungläubig. »Zu dem Zeitpunkt habe ich monatlich 1000 Euro mit Social Media verdient, das war total surreal für mich«, sagt Schmidt. »Im Vergleich zu damals sind das heute natürlich noch mal ganz andere Summen, die ich selbst nicht fassen kann.«

Zwölf Stunden Arbeit am Tag, sieben Tage die Woche

Schmidt hat bei allem Idealismus auch ein gut funktionierendes Business aus ihrer Arbeit als »Dr. Rambazamba« aufgebaut. Ihre Videos spielen Geld ein, außerdem hat sie »Kooperationspartner«, wie es im Influencer-Slang heißt, sie macht Werbung für Cremes, Sexspielzeuge oder Dessous.

Sie stehe früh auf, zwischen 5.30 Uhr und 6.30 Uhr, »Kaffee trinken und dabei die ersten Direktnachrichten und Kommentare beantworten«, sagt Schmidt. Danach: »Rechnungen schreiben, den Tag planen, Content-Ideen sammeln, Thumbnails basteln, und dann mache ich mich auch schon fertig, um Videos zu drehen.«

Alles passiert in ihrer Altbauwohnung. Durchschnittlich zwölf Stunden arbeite sie am Tag, sieben Tage die Woche, sagt die Influencerin. Vielleicht ist es die Angst, dass es bei den auf Dauer unberechenbaren Social-Media-Algorithmen auch schnell wieder vorbei sein kann mit der Internetkarriere. Schmidt weiß jedenfalls, wie es ist, Existenzängste zu haben. Sie selbst sagt, sie lebe noch immer so bescheiden wie möglich. »Wenn ich im Supermarkt einen Fetakäse im Angebot sehe, freue ich mich immer noch und nehme den mit«, sagt sie.

»Luxus« sei es für Schmidt, wenn sie beim Shoppen zwei schöne Teile anprobiert und einfach beide kauft. »Oder die E-Gitarre da«, sagt sie und zeigt auf das schwarze Instrument, das vor dem Wohnzimmerfenster auf einem Verstärker steht. »250 Euro hat die gekostet, früher wäre das undenkbar gewesen, dass ich mir so was kaufe, einfach weil ich gerade Bock darauf habe.«

Das mag bescheiden wirken, vor allem im Vergleich zu anderen Influencern, die mit fetten Uhren und teuren Autos flexen – ist es vielleicht auch. Doch alles andere würde auch nicht zu Schmidts sorgfältig gepflegten Image passen. Ein Teil ihres Erfolgs liegt darin, dass sie nahbar wirkt.

Sie selbst beschreibt das so: »Ich glaube, mein Content ist deshalb so beliebt, weil ich für viele wie eine beste Freundin bin, die einem etwas erklären kann, weil sie mehr über Rambazamba weiß als der Durchschnitt«, sagt sie. »Dabei ist mein Body Count jetzt auch nicht so hoch«, sagt Schmidt und lacht. Der »Body Count«, das ist der Jugendslang für die Anzahl von Sexualpartnern, sei allerdings kein Faktor für die Kompetenz beim Thema Sex, sagt »Dr. Rambazamba«. »Ich beschäftige mich aber schon lange mit dem Thema und höre Menschen zu, wenn sie über Sex reden.«

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»Nein heißt nein!«

Jeden Tag erhält sie Nachrichten und Fragen von ihren Fans. Während sie Zimtschnecken mit Erdbeeren und Frischkäsecreme für ein YouTube-Video ihres Formats »Backen & Schnacken« zubereitet, beantwortet sie »Rambazamba-Fragen«:

»Er liket von sehr freizügigen Girls alle Beiträge. Soll ich rennen oder bleiben?«

»Ist es normal, als Mädchen generell ✨sein Ding✨ nicht schön/hässlich zu finden?«

»Ich hab total Probleme mit meinem Intimgeruch und es wird nicht besser :(«

»Sinnvoll eine Person anzuflirten, die eigentlich außerhalb der eigenen Liga ist?«

»Was tun, wenn mein Freund das NEIN nicht akzeptiert? :(«

»Schlussmachen«, antwortet Schmidt auf die letzte Frage und schaut dabei tief in die Kamera.

Es ist ihre zentrale Botschaft, völlig uncodiert: »Nein heißt nein! Und du darfst jederzeit Nein sagen, auch wenn du erst Ja gesagt hast und dich mittendrin umentscheidest.«

Immer wieder predigt sie das, in der Hoffnung, dass ihre Rebellion irgendwann wirkt – und sie ihr Lebensziel erreicht: dass irgendwann jeder versteht, dass »nein« wirklich »nein« heißt – »jeder Mann, jede Frau, alle dazwischen«.

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