Auf dem Einband ist ein Junge mit einem Pinsel zu sehen, sein Shirt ist weiß-rosa gestreift. Das Buch heißt »Pink Is for Boys« und will zeigen, dass Farben für alle da sind, unabhängig vom Geschlecht. Dieses Buch wurde aus Bibliotheken in zwei Schulbezirken entfernt. Eltern hatten sich beschwert, dass es Kinder verwirren könnte, weil es traditionelle Rollen von Männern und Frauen infrage stellt.
In den USA werden immer mehr Kinder- und Jugendbücher aus Schulen verbannt. Sie stehen im schlimmsten Fall nicht mehr in den Schulbibliotheken, dürfen nicht ausgeliehen und im Unterricht nicht mehr gelesen werden. Der amerikanische Autorenverband PEN America sammelt solche Fälle und führt eine Liste aller betroffenen Bücher. Im Schuljahr 2023/2024 wurden darauf 4231 Titel verzeichnet – so viele wie noch nie seit Beginn der Zählung.
Auffällig ist: Ein Großteil dieser Werke stammt entweder von Autorinnen und Autoren, die Minderheiten angehören, oder sie erzählen Geschichten über Menschen, die in den USA nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft gehören – Einwanderer, gleichgeschlechtliche Paare, Kinder aus Regenbogenfamilien.
Hinter den Verboten stecken häufig Elterninitiativen. Sie wollen mitentscheiden, welche Bücher in der Schule gelesen werden dürfen – und welche nicht. Sie nennen sich etwa »Moms for Liberty« (Mütter für die Freiheit) oder »Parents Defending Education« (Eltern, die die Bildung verteidigen). Diese Gruppen glauben, dass ihre Kinder durch bestimmte Bücher schädliche Inhalte mitbekommen.
Viele dieser Initiativen gehören zur konservativen Bewegung in den USA. Dieser Begriff kommt von dem lateinischen Wort »conservare«, das heißt »bewahren«. Wer sich als konservativ versteht, will gesellschaftliche Werte und Strukturen erhalten, so wie sie früher waren. Familie, Religion und Ordnung gelten als besonders wichtig. Viele Konservative lehnen gleichgeschlechtliche Partnerschaften ab. Sie möchten beeinflussen, wie in Schulen über Religion, Sexualität und Rassismus gesprochen wird. Auf ihr Drängen hin wurden zahlreiche Aufklärungsbücher oder Geschichten über unterschiedliche Familien aus dem Unterricht entfernt. Außerdem trifft es Werke, in denen Ungerechtigkeiten angeprangert werden.

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Darf man das einfach so, Bücher verbannen? Eigentlich nicht. Denn in den USA schützt die Verfassung, das oberste Rechtsdokument des Landes, die Meinungsfreiheit. Besonders wichtig ist dabei das »First Amendment«, also der erste Zusatzartikel zur Verfassung aus dem Jahr 1791. Darin wird unter anderem garantiert, dass der Staat niemandem verbieten darf, seine Meinung frei zu äußern. Auch Bücher sind ein Ausdruck von Meinungen, Gedanken und Ideen. Genau das schützt dieser Zusatzartikel. US-Gerichte haben deshalb immer wieder entschieden: Der Staat darf Bücher nicht verbieten, nur weil sie provozieren oder nicht allen gefallen.
Dass trotzdem Bücher verbannt werden, liegt an Ausnahmen zum ersten Zusatzartikel: Nicht alles ist durch die Meinungsfreiheit geschützt. »Anstößige Inhalte«, auf Englisch »obscenities«, zum Beispiel sind ausgenommen. Aber was genau damit gemeint ist, ist nicht klar definiert. So kann es passieren, dass ein Buch über einen Jungen im Rock als anstößig gilt.
»Dabei sind gerade diese Bücher für Kinder und Jugendliche besonders wichtig«, sagt Brian Bannon. Er arbeitet bei der New York Public Library, einer der größten Bibliotheken in den USA. »Als ich Teenager war, hatte ich ziemlich mit Legasthenie zu kämpfen – und gleichzeitig habe ich für mich versucht herauszufinden, wer ich eigentlich bin, auch was mein Schwulsein angeht. In meinem kleinen Ort gab es kaum jemanden, in dem ich mich wiedererkannt hätte. Die Bibliothek war einer der ersten Orte, an denen sich für mich neue Möglichkeiten aufgetan haben. Lesen war nie einfach für mich, aber durch die Geschichten konnte ich mir vorstellen, wie mein eigenes Leben mal aussehen könnte«, erzählt Brian Bannon.
Heute leitet er den »Teen Banned Book Club«, den Klub der verbotenen Bücher: In einer App werden all die Bücher zur Verfügung gestellt, die in Schulen nicht mehr zu finden sind, jeder kann sie ausleihen, es kostet nichts. »Wenn jemand sich selbst in einer Geschichte erkennt, fühlt er sich von der Gesellschaft wahrgenommen, verstanden und akzeptiert«, sagt Brian Bannon. Das Angebot kommt an, ständig stoßen neue Lesende dazu. Tausende junge Leute aus dem ganzen Land haben sich schon angemeldet.
Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 7/2025.

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