Wie stabil ist die Demokratie in Deutschland? Und welche Rolle nehmen Medien in ihrer Verteidigung ein? Panelistinnen und Panelisten aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft haben diese Fragen am Montag beim Sommerempfang des Tagesspiegels diskutiert. Dabei ging es unter anderem um den Umgang mit Spaltung und der AfD, Sozialen Netzwerken und Künstlicher Intelligenz. Die Gespräche waren Teil des Tagesspiegel-Debattenformats High Noon.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel gab an, sich um den Zustand der Demokratie nicht explizit zu sorgen. „Wenn Sorgen haben heißt, diese Demokratie steht gewissermaßen am Kliff und könnte kollabieren, dann halte ich das für empirisch ziemlich unsinnig“, sagte er. Im weltweiten Vergleich habe Deutschland auch in den letzten Jahren immer recht gut abgeschnitten.
„Die Strukturen unserer Demokratie sind im Gegensatz zu Polen, Ungarn, jetzt auch Amerika noch eindeutig funktional“, hielt auch Michel Friedman fest. Er stelle sich aber die Frage, warum die 80 Prozent der Bevölkerung, die die AfD nicht gewählt hätten, so leise und unauffällig seien. „Eine Möglichkeit, die ich sehe, ist, dass wir eine gelangweilte Demokratiegesellschaft haben, teilweise auch eine gleichgültige.“
Viele Menschen wüssten nicht mehr, wofür sie strahlen sollten, wenn sie über Demokratie redeten. „Ich kann strahlen. Ich bin wirklich ein Handelsvertreter, der in seinem Köfferchen das heißeste Produkt hat: das Grundgesetz“, sagte Friedman. „Ich kann nur Mensch sein, dank dieser Demokratie und dank des Grundgesetzes.“
Auch Anna Herrhausen sprach von einer „Veränderungsmüdigkeit“, von einer Vielzahl von Krisen und dadurch einem verloren gegangenen Vertrauen in staatliche Strukturen.
Wir sind keine gelangweilte Demokratie. Wir sind eine polarisierte Demokratie.
Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler
Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel widersprach Friedman: „Wir sind keine gelangweilte Demokratie. Wir sind eine polarisierte Demokratie.“ In vielen Fragen wie der Handhabung der Coronapandemie, der Migration oder der Klimakrise würden sich häufig schnell Lager bilden, die Austausch sehr schwer machen würden.
Dass Demokratie kein Selbstzweck sei, sagte auch Unternehmer Harald Christ. „Sie lebt davon, dass man jeden Tag aufs neue Gesicht zeigt, sich zu Wort meldet und Dinge, die wir als Fehlentwicklung sehen, auch ganz klar addressiert“, sagte er. „Da sind wir alle gefordert in der Zivilgesellschaft, Unternehmerinnen und Unternehmer, auch Medien, miteinander immer wieder deutlich zu machen, wie wichtig eine stabile Demokratie für unser Land ist“, sagte er.
Einigkeit herrschte bei den Mitgliedern des Panels in der Sorge vor rechten Entwicklungen wie dem hohen Wahlergebnis der AfD und einem erodierten Vertrauen in etablierte Parteien. Auf ihren Podcast über das Aufwachsen in Ostdeutschland angesprochen, sagte Lilly Blaudszun, es werde beim Sprechen über Ostdeutschland viel über die AfD und den Rechtsruck gesprochen. Das sei grundsätzlich nicht falsch. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass da viele Menschen sind, die sich engagieren und eine ganz andere Lebenswirklichkeit haben. Auch auf die müssen wir blicken und auch die müssen wir darstellen.“
Unterschiedliche Ansichten gab es etwa bei der Frage nach einem möglichen AfD-Verbot. Während Wolfgang Merkel sich gegen ein Verbot aussprach, da damit weder die Wähler noch die Repräsentanten der Partei verschwinden würden, plädierte Friedman dafür, das Verbot prüfen zu lassen. Schließlich könne die AfD, deren Unique Selling Point Hass und Hetze seien, in nicht allzu langer Zeit einen Ministerpräsidenten stellen.
Freie Medien als Indikator für Demokratie
Demokratie lebe von Partizipation und Streit, sagte Ulrike Demmer, die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, im zweiten High-Noon-Gespräch des Abends. „Mein Wirtschaftslehrer hat gesagt: Apathie ist der größte Feind der Demokratie.“
© Marie Staggat für den Tagesspiegel
Menschen verschiedener Zielgruppen weiterhin zu erreichen, sahen Demmer, Claus Grewenig und Christian Tretbar in ihrem Gespräch als demokratiestärkende Aufgabe an. Autokraten würden die Medien als Erstes angreifen, sagte Demmer. Am Zustand der freien Presse könne man daher auch einen Eindruck gewinnen, wie es um die Demokratie in einem Land bestellt sei.
Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar verwies unter anderem auf reichweitenstarke, kostenlose Angebote, die eine besondere Verantwortung tragen würden. „Es werden in Zukunft noch mehr kostenlose News-Aggregatoren kommen, allein über KI“, sagte Tretbar. „Alles, was journalistisch kuratiert und redaktionell betreut ist, hat eine hohe Verantwortung.“
Den sozialen Netzwerken wurden auf dem Panel unterschiedliche Rollen zugesprochen. Einerseits gebe es in gewissen Kreisen eine Rückkehr zu traditionellen, auch kostenpflichtigen Informationskanälen. Andererseits könnten sie auch Chancen bieten, Zielgruppen anzusprechen, die man bisher nicht habe erreichen können, wie Claus Grewenig betonte. Grewenig ist Vorstansvorsitzender von VAUNET, einer Interessenvertretung privater Mediendienste. „Die Chancen sind da, sie werden mit KI auch noch einmal steigen“, sagte Grewenig. „Aber die Verantwortung für uns als klassische Medien hat sicherlich nicht abgenommen.“