Hightech-Agenda: Merz fordert Schulterschluss für technologische Souveränität

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"Wir dürfen nicht zulassen, dass die USA und China allein die technische Zukunft bestimmen." Dieses Zitat des französischen Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers Philippe Aghion machte sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Mittwoch bei der Auftaktveranstaltung zur Hightech-Agenda der Bundesregierung in Berlin zu eigen. Damit unterstrich er die Notwendigkeit, die Innovationskraft Deutschlands und Europas zu stärken. Der Regierungschef betonte: "Wir brauchen nicht weniger und mehr als technologische Souveränität, wo sie erreichbar ist."

Deutschland müsse alle Aufmerksamkeit darauf richten, wie Wissenszuwachs zu technologischer Innovation und nachhaltigem Wachstum führe, hob Merz hervor. Die Bundesrepublik sei auf diesem Feld aktuell nicht so innovations- und wachstumsstark, wie es sein könnte. Es bestehe erheblicher Verbesserungsbedarf bei der Übersetzung exzellenter Forschung in Produkte und Dienstleistungen, insbesondere müsse bei Künstlicher Intelligenz (KI) aufgeholt werden.

"Mit der Hightech-Agenda richten wir unsere Wirtschafts- und Forschungspolitik umfassend neu aus auf Wertschöpfung und technologische Souveränität", erklärte der Kanzler. Letztere sei angesichts tektonischer Machtverschiebungen und geopolitischer Systemkonflikte zwischen autoritären und freiheitlichen Staaten essenziell für Wohlstand, Sicherheit und Freiheit.

Im Rahmen der im Juli beschlossenen Strategie fokussiert die Regierung auf die sechs Schlüsseltechnologien KI, Quantentechnologien, Mikroelektronik, Biotechnologie, Kernfusion und klimaneutrale Energieerzeugung sowie Technologien für die klimaneutrale Mobilität. Bis 2030 sollen Staat und Wirtschaft mindestens 3,5 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufwenden – schwerpunktmäßig in den genannten Bereichen. Konkret hat die Regierung etwa das Ziel ausgegeben, das weltweit erste Fusionskraftwerk in Deutschland zu errichten. Allein dafür sollen bis 2029 über zwei Milliarden Euro in die Forschung fließen.

Für die Umsetzung der Agenda hält Merz einen Schulterschluss von Wissenschaft und Wirtschaft für unerlässlich. Es sollten Fahrpläne mit konkreten Meilensteinen entwickelt werden. Eine Korrektur der Trägheit im Lande sei nötig, appellierte er. Der bürokratische Wildwuchs müsse reduziert werden.

Er machte sich dafür stark, weniger über Datenschutz und mehr über Datennutzung zu sprechen. Es gelte auch, die Risikoaversion an deutschen Börsen und Banken zu bekämpfen, um die Skalierungsphase innovativer Unternehmen stärker im Inland zu halten. Der Wagniskapitalmarkt müsse gestärkt werden.

Die technologische Souveränität Europas sei entscheidend, pflichtete Ekaterina Zaharieva, EU-Kommissarin für Startups und Forschung, Merz bei. Deutschland müsse als bester Ort für Innovationen vorangehen. Sie bedauerte, dass es für den ab 2026 geplanten "Scaleup Europe"-Fonds für schnell wachsende Firmen noch "keinen Anker-Investor aus Deutschland" gebe.

Forschungs- und Technologieministerin Dorothee Bär (CSU) sagte, dass das Land "wahnsinnig viel" habe und könne. Es gehe jetzt darum, "die PS auf die Straße zu bringen", um Deutschland zur Hightech-Republik zu machen. Das ständige Jammern, es sei "alles schon zu spät", gehe ihr "total auf den Senkel". Sie hielt dem den Anspruch entgegen, zu sagen, "dass wir es hinbekommen können". Es gebe auch kein anderes Land, das seine Champions verstecke. Zudem sei es auch in der Bundesrepublik nicht verboten, "mit guten Ideen Geld zu verdienen".

Gezielte Rankhilfen und eine "entschlossene Gärtnerhand" hält Bär für sinnvoll. Sie verweist dazu etwa auf das 1000-Köpfe-Plus-Programm zum Anziehen von Talenten und die Errichtung eines Institute of Health auf dem Charité-Gelände. Zugleich untermauerte sie den Anspruch, dass mindestens eine von vier bis fünf geplanten europäischen KI-Gigafabriken nach Deutschland kommen solle. Das Land müsse aufhören, sich mit Mittelmaß zufriedenzugeben.

Deutschland müsse bei KI aktiv teilnehmen und vorne dran sein, da sie die bislang "innovativste Kraft" der Menschheit sei, verlangte Digitalminister Karsten Wildberger (CDU). Der naheliegendste Ansatz sei es, Industriedaten zu nutzen und mit "agentischer KI" Lösungen zu bauen für Europa und die Welt. Dabei vermisst der Ex-Manager im zu risikozentrierten Deutschland noch "die Besessenheit, es schaffen zu können".

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) warb dafür, das umstrittene Forschungsdatenzentrum mit Befunden von 70 Millionen Versicherten rasch ans europäische Netz in Form des Gesundheitsdatenraums EHDS anzubinden. Datenschutz dürfe dabei kein Totschlagargument sein.

Auch im Silicon Valley werde nur mit Wasser gekocht, hat Michael Förtsch, CEO der Firma Q.ANT, von dort mitgenommen. Das von ihm geleitete Unternehmen ist auf photonische Prozessoren spezialisiert. "Wir können diese Chips komplett in Deutschland herstellen", betonte er. "Wir fertigen am Standort Stuttgart."

Auf diesem Sektor sei es möglich, den internationalen Wettbewerb zwei, drei Jahre auf Abstand zu halten, sagte Förtsch. Entscheidend sei die Geschwindigkeit der Exploration und das schnelle Begraben nicht funktionierender Technologien.

Bernhard Montag, Chef von Siemens Healthineers, sieht in der Agenda die Chance, die Identität des Landes nachzuschärfen und aus der defensiven Haltung herauszukommen. Ein Anspruch sollte sein: "Wir wollen jetzt auch wirklich das modernste Gesundheitswesen haben."

Auf hervorragende Spitzenforschung in nationalen KI-Zentren und über 30 deutsche hoch bewertete Firmen in diesem Bereich verweist die Gründungsdirektorin des Dortmunder Lamarr Instituts für Maschinelles Lernen, Katharina Morik: "Das nenne ich nicht abgehängt." Auch der Übersetzungsdienst DeepL behaupte eine internationale Führungsposition.

Edge AI, also die automatisierte Verarbeitung von Daten direkt auf einem Endgerät, biete kurz- und mittelfristig den größten Hebel, sagte der Deggendorfer KI-Forscher Patrick Glauner. Sie senke Latenzzeiten, Kosten und die Abhängigkeit von US-Clouds und sei datenschutzrechtlich spannend.

(wpl)

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