Wie viele Günter-Grass-Häuser braucht Lübeck? Eines hat es schon, in der Glockengießerstraße in der Altstadt. Ein zweites hätte die Hansestadt bekommen können, in Behlendorf, einem Örtchen mit vierhundert Einwohnern im Landkreis Lauenburg, wunderschön gelegen, aber vierzig Autominuten von Lübeck entfernt. Hier steht das ehemalige Wohnhaus von Günter und Ute Grass, eine Villa mit einer Wohnfläche von etwa 200 Quadratmetern und einer ehemaligen Remise, die dem Schriftsteller, der auch Zeichner, Grafiker und Bildhauer war, als Atelier diente.
Grass selbst hatte sich für das Haus eine kulturelle Nutzung gewünscht und den Testamentsvollstrecker beauftragt, binnen fünf Jahren nach dem Tod seiner Frau zu prüfen, ob eine solche Nutzung möglich sei. Ideen wurden gewälzt, Pläne geschmiedet, und der Bund und das Land Schleswig-Holstein haben sogar eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Am Ende sollte die Villa dem Günter-Grass-Haus in Lübeck als Dependance zugeschlagen werden. Jörg-Philipp Thomsa, der Leiter des Lübecker Grass-Hauses, hätte hier gern das gesellschaftspolitische Engagement des Schriftstellers beleuchtet, der sich immer wieder mit Themen wie Meinungsfreiheit, Flucht und Vertreibung oder Umweltschutz beschäftigt hat.
Eine Frage der Betriebskosten?
Aber die Lübecker Bürgerschaft lehnte einen entsprechenden Antrag der Kultursenatorin ab. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der aus dem Ruder gelaufenen Sanierung des Buddenbrookhauses mit Kosten von bis zu vierzig Millionen Euro scheute man die Betriebskosten, die sich schnell auf eine mittlere sechsstellige Summe im Jahr belaufen können. Man kann das kleinmütig nennen, kommt aber auch dann um die Frage, wie sinnvoll ein zweites Grass-Haus vor den Toren Lübecks wäre, nicht herum.
Kostet soviel wie eine Altbauwohnung in Berlin: Das ehemalige Haus von Günter Grass in BehlendorfdpaUnd eine andere Nutzung, etwa als Domizil für Stipendiaten? Gibt es schon. Zu den sechs Stiftungen, die Grass im Laufe seines Lebens gegründet und mit einem Stiftungsvermögen ausgestattet hat, gehört auch die Alfred-Döblin-Stiftung mit ihrem Stipendiatenhaus in Wewelsfleth. Jetzt wird das Haus in Behlendorf von der Erbengemeinschaft zum Verkauf angeboten, für 1,6 Millionen Euro. So viel kostet in Berlin eine große Altbauwohnung, an der ja vielleicht auch schon mal ein Schriftsteller vorbeigelaufen ist. Im Grass-Haus in Lübeck trauert man der verpassten Chance nach, weiß aber auch, dass der Spagat zwischen zwei Grass-Häusern schwierig geworden wäre.
Nun will man sich auf den hundertsten Geburtstag des Nobelpreisträgers im Jahr 2027 konzentrieren. Der Bund hat soeben 1,9 Millionen Euro für Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten bewilligt. Unter anderem soll neben dem Museumsshop ein „Tintenfass-Café“ entstehen, benannt nach den Romanen von Cornelia Funke, die mit Grass befreundet war. Die Einrichtung des Behlendorfer Ateliers, etwa tausend Objekte sowie die 5500 Bände umfassende Bibliothek des Nobelpreisträgers, geht ans Grass-Haus. Die geliebte Olivetti-Schreibmaschine, mit der Grass seine Romane abtippte, nachdem er sie per Hand am Stehpult niedergeschrieben hatte, wird dort 2027 zu sehen sein.

vor 2 Stunden
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